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Heilige Kühe schlachten

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Schweden, das sozialdemokratisch regierte Königreich im Norden Europas, war durch viele Jahre das Reiseziel jener Politiker und Wirtschaftler, die das Geheimnis eines fast ununterbrochenen Arbeitsfriedens und einer anscheinend sehr vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Staat und Privatwirtschaft, zwischen Gewerkschaften und Arbeitsgebern erkunden wollten. Die Schweden sind nun dabei, dieses wunderbare Bild in Trümmer zu schlagen. Der letzte von der staatlichen Schlichtungskommission abgegebene Vorschlag bedeutet für die Industrie eine Lohnkostenerhöhung von etwa 15 Prozent in den nächsten zwei Jahren; für die Textilindustrie, die Schuhindustrie und das Bäckereigewerbe würde es sogar Kostenerhöhungen zwischen 18 und 20 Prozent bringen. Der Vorschlag wird sowohl von den Arbeitgebern wie auch von den Gewerkschaften entschieden abgelehnt!

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Schweden, das sozialdemokratisch regierte Königreich im Norden Europas, war durch viele Jahre das Reiseziel jener Politiker und Wirtschaftler, die das Geheimnis eines fast ununterbrochenen Arbeitsfriedens und einer anscheinend sehr vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Staat und Privatwirtschaft, zwischen Gewerkschaften und Arbeitsgebern erkunden wollten. Die Schweden sind nun dabei, dieses wunderbare Bild in Trümmer zu schlagen. Der letzte von der staatlichen Schlichtungskommission abgegebene Vorschlag bedeutet für die Industrie eine Lohnkostenerhöhung von etwa 15 Prozent in den nächsten zwei Jahren; für die Textilindustrie, die Schuhindustrie und das Bäckereigewerbe würde es sogar Kostenerhöhungen zwischen 18 und 20 Prozent bringen. Der Vorschlag wird sowohl von den Arbeitgebern wie auch von den Gewerkschaften entschieden abgelehnt!

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Der Konflikt scheint unvermeidlich, und in dieser Situation hat nun Wirtschaftsminister Wxckman mitgeteilt, daß der Staat einen Lohnkampf dieses Ausmaßes ganz einfach nicht tolerieren kann, und das heißt, daß die Regierung zu einem Diktat greifen wird, um den Arbeitsfrieden zu erhalten. Gerade das aber haben Gewerkschaften und Arbeiterpartei bisher entschieden abgelehnt. Den Eingriff des Staates auf den Arbeitsmarkt!

Schweden ist eben dabei, die heiligste seiner heiligen Kühe zu schlachten!

Der letzte große Streik innerhalb der Metallindustrie Schwedens fand vor 24 Jahren statt, der letzte wirklich große Arbeitskonflikt traf das Land vor nunmehr 60 Jahren; die Wirkungen beider Konflikte erscheinen belanglos dm Vergleich mit den Schäden, die nun dieser Zusammenprall auf dem Arbeitsmarkt mit,sich führen müßte: „Wir standen niemals zuvor vor einer ernsteren Situation als jetzt“, sagte einer der Führer der Gewerkschaften, „und ich war niemals zuvor so pessimistisch wie jetzt!“ — Arne Geijer, durch viele Jahre Vorsitzender der Gewerkschaftsinternationale, steht vor einer seiner schwersten Entscheidungen. Das erste Ausspiel der Gewerkschaften und des Arbeitgeberverbandes im vergangenen Herbst zeigt sofort die Größe der Gegensätze. Noch vor Jahresschluß setzte die Regierung eine Schlichtungskommission ein, deren letzte Vorschläge nun abgelehnt worden sind. Entweder muß nun die Regierung eingreifen und die Bedingungen des Arbeitsfriedens diktieren — was sie bisher noch niemals getan hat! — oder einer der Partner kündigt den offenen Arbeitskonflikt an. Betroffen sind 26.000 Unternehmer der verschiedensten Branchen und 850.000 organisierte Arbeiter, die noch 500.000 bis 600.0000 andere Arbeiter und Angestellte mit sich ziehen dürften. Ein Streik der in erster Linie berührten 850.000 Arbeiter würde Schweden monatlich drei Milliarden Kronen kosten. Die LO dürfte stark genug sein, weite Teile der Privatindustrie zu zerschlagen, die Arbeitgeberverbände wiederum sind stark genug, die Gewerkschaften vollständig ausbluten zu lassen. Das Resultat dieser Machtprobe wäre jedenfalls ein Trümmerhaufen sondergleichen.

Man hat das bestimmte Gefühl, daß sich Gewerkschaften und Arbeitgeber, trotz der großen Gegensätze, auch diesmal einigen werden, da es in beiden Lagern verantwortungsbewußte Führer gibt. Kompliziert wird die Situation jedoch durch den Sondergang der SACO, die vor zwei Jahren Gehaltserhöhungen bis zu 19 Prozent durchsetzte — nachdem sich die Gewerkschaften mit 2,5 bis 3,5 Prozent begnügt hatten! Nicht genug damit, hat die SACO im raschen Tempo einen starken Kampffonds aufgebaut, um weitere Forderungen durchsetzen zu können. Der Verband operiert nun mit dem Begriff des „Lebenslohnes“, was in der Praxis bedeutet, daß der Beamte, der mit 22 oder 24 Jahren in den Beruf eintritt und mit sechzig pen-niert wird, für ebenso viele Jahre bezahlt werden soll wie der Arbeiter, dar erst mit 67 Jahren die Volkspen-sion erhält. Das ist eine Argumentation, die auch von vielen Akademikern scharf abgelehnt wird und zur Opposition ganzer Berufsverbände führte. .Auch verlangt man Kompensation für die stärkere Besteuerung der hohen Einkommen, in Wahrheit also Steuerprivilegien. Alles das vergiftet das Verhandlungsklima in Schweden und veranlaßte die LO, nun eine Beachtung der Träger kleiner Einkommen zu fordern.

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