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Sohyo braucht Zenro

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„GEWERKSCHAFTEN? EIN AMI- IMPORT, mit dem sie uns Demokratie beibringen wollten”; definiert Sato- san, Direktor der Mitsubishi-Schiffswerften in Kobe.

„Gewerkschaften? — Instrument Pekings, Tarnorganisation der Kommunisten”, antwortet ein hoher Funktionär der Sicherheitsbehörden.

„Gewerkschaften? — Die sind bei uns der einzige Bürge einer revolutionären Zukunft”, deklamiert Yami- kushi, Verbindungsmann zwischen dem pazifistischen „Hiroshima-Komitee” und der KP-Fraktion im Gewerkschaftsbund SOHYO.

Ich habe diese Antworten in meinem Notizbuch. Dazu noch einige Dutzend Variationen zum selben Thema und in ähnlicher Tonart. Nur die Antwort des Fabrikarbeiters stand noch aus. Ich hatte in Dutzenden Betrieben mit Hunderten von Arbeitern gesprochen. Über alles Mögliche unter dem weiten Himmel; darunter über die Wiener Zwölftoner und die Alban- Berg-Festspiele bei Nara im vergangenen Jahr. „Sie sind sicherlich nicht hingefahren, verwöhnt als Wiener”, sagte er.

Aber wenn ich nach den Gewerkschaften fragte kam nichts. Wahrscheinlich die Höflichkeitsfrage eines Fremden nach einer japanischen Institution, von der er kürzlich las, dachten sie ganz offensichtlich. Sie übergingen meine Frage, da man doch nicht „Danke, es geht ihnen gut”, antworten kann.

Bis mir einer sagte; „Die gehören nicht zu uns. Wir haben ihre Leute in den Betriebsrat gewählt, weil es so vorgeschrieben ist. Aber wenn Sie mehr wissen wollen, fragen Sie in der Direktion oder in def Redaktion deT Kobe-Ausgabe von Asahi.”

Also: Weit außerhalb des Lebenskreises eines Arbeiters stehen die Gewerkschaften; gar nicht viel anders als die Politik der Regierungspartei, nur viel uninteressanter.

Die einzige Ausnahme war eine Kohlenmine der MUKE. Da stand der Streik vor der Tür, und die Gewerkschaften waren eine lebenswichtige Realität, wie die Polizei und die Streikbrecher eine bedrohliche. Und dort, in einem abgelegenen Bergarbeitertal im herben Norden Japans, war die Atmosphäre zum Schneiden dicht und die Gewerkschaften hatten das Gesicht der anarchistischen WIW in der Zeit des klassischen Klassenkampfes in Amerika

DIE DREI GROSSEN GEWERKSCHAFTSVERBÄNDE Japans sind noch nicht in das Leben und in das Bewußtsein der japanischen Arbeiter eingedrungen. Ohne Tradition, durch einen Administrativerlaß der USA-Be- satzung untet Mac Arthur a n- geordnet, sind sie zu Tummelplätzen ambitionierter Linkspolitikei geworden und werden von streberischen Werksangestellten gemanagt, die den Weg in die Politik finden wollen; zugleich Beherrscher und Werkzeuge der Linksparteien.

Der drei Millionen umfassende linksradikale SOHYO lebt in unruhiger Lebensgemeinschaft mit der Sozialistischen Partei Japans. Autonom, das heißt zwischen dem kommunistischen Weltgewerkschaftsbund und dem demokratischen Internatio- nationalen Bund freier Gewerkschaften stehend, nützt er diese Position zu Seitensprüngen in das Bett des japanischen und internationalen Kommunismus aus, von wo er immer eine ganze Menge schwer zu bekämpfender Infektionen in den legitimen Haushalt zurückbringt.

Der kaum eine Million umfassende antimarxistische ZENRO (affiliiert dem IBFG) hat sich trotz der Beschränktheit einer sterilen Bürokratie aus Berufsantikommunisten ganz gut durchgewurstelt, bis er Pate bei der Geburt der „demokratisch-sozialistischen Partei” Nishios stand; einer Frühgeburt, deren Hinsiechen an den Lebenskräften ihres Taufpaten zehrte.

Nur TANRO, ein nach der Art des AFL orthodox industriell gegliederter Gewerkschaftsverband (rund 800.000 Mitglieder) entwickelt echt gewerkschaftliches Leben Seine industrielle Gliederung ist aber eine Zwangsjacke, aus der er nicht heraus- und in die Massen der japanischen’ Arbeiter kommt.

TANROv ist aber das Rückgrat einer neuen Entwicklung in der japanischen Arbeiterbewegung, die vor zwei Monaten begann und über Industrie- und Wirtschaftskämpfe — vielleicht — zu einer echten, demokratischen Gewerkschaftsbewegung führen wird. Die neue Entwicklung geht von einem Pakt aus, den die drei Gewerkschaftsverbände vor zwei Monaten schlossen — „zur stärkeren Teilhaberschaft der Arbeiter an der Konjunktur in Japan”. Eine Welle von Wirtschaftskämpfen soll im März beginnen.

Eine Entwicklung nach den politischen Kämpfen, auf die sich die japanischen Gewerkschaften unter kommunistischem Einfluß im letzten Jahr konzentrierten. Eine notwendige Entwicklung, denn die Konjunktur in Japan gibt dem Land ein neues Gesicht. Nur in den Arbeiterwohnungen zeigt es sich noch viel zu verschämt und schüchtern.

Über den japanischen Arbeitersiedlungen sind Wälder von Fernsehantennen gewachsen. Kühlschränke haben ihren Einzug in die Küchen der Facharbeiter gehalten. Auch aus den Hütten der Arbeiter war die Konjunktur nicht ganz auszusperren. Die Arbeitslosigkeit ist verschwunden, und es gibt ein komplettes staatliches System der Sozialversicherungen, das allerdings noch zum „Unterentwickelten” in Japan gehört.

Die „japanischen Hungerlöhne” sind ein Märchen, das aus der Vergangenheit kommt und von den Industriellenverbänden der westlichen Länder, hauptsächlich aus Konkurrenzgründen, weitererzählt wird Die Löhne der Industriearbeiter in Japan sind um zwanzig bis dreißig Prozent niedriger als in Österreich — das Preisniveau um ungefähr 20 Prozent. So groß ist also der Unterschied nicht. Weiß Gott, wie dann die niederen Preise der japanischen Waren zustande kommen. Durch Hungerlöhne nicht.

ICH LERNTE DIE ARBEITERIN MAKO MITSUKO kennen. Sie ist 18 Jahre alt, ungelernte Kraft an einer der tausenden Spindeln einer japanischen Textilfabrik. 9500 Yen, das sind zirka 700 Schilling Monatslohn bei strikter 46-Stunden-Woche. Für Essen und Schlafen im modern und appetitlich eingerichteten Werksheim zahlt sie 2500 Yen. Der Rest bleibt ihr —oder sollte ihr bleiben. Aber sie muß 6000 Yen im Monat nach Hause schicken, zur Unterstützung einer Verwandtschaft, die unendlich verzweigt ist und zum großen Teil aus kranken, überschüssigen Kindern, alten . Ehrwürdigen” usw. besteht.

Die Löhne sind gar nicht so niedrig. Aber die Verwandtschaften sind unglaublich groß und fressen den größten Teil der Löhne. Nicht das soziale, sondern das familiäre System drückt auf den Lebensstandard des Arbeiters und läßt die Konjunktur im Arbeiterviertel in abgetragenen Kleidern herumlaufen. Der Arbeiter kann sich den familiären Verpflichtungen nicht entziehen. Die Kinderzahl verringert sich nur langsam. So ist der Kampf um die Erhöhung der Löhne der einzige Weg, auf dem Arbeiter und Prosperität einander treffen können. Der Weg soll durch den Pakt der Gewerkschaften freigelegt werden.

WEDER DER LINKSRADIKALE SOHYO noch der uninteressierte ZENRO haben den Pakt mit Begeisterung abgeschlossen und gehen mit Enthusiasmus in die Wirtschaftskämpfe. Der Sohyo hätte die Weiterführung der politischen Kämpfe gegen den Sicherheitspakt mit den USA bei weitem vorgezogen Aber die sind im warmen Sand der Vollbeschäftigung endgültig versiegt, und das langsame Erwachen des Selbstbewußtseins läßt auch den organisierten SOHYO- Arbeiter an seiner Loy alitätis Verpflichtung gegenüber einer politisch ehrgeizigen Führung zweifeln.

Der Linksradikalismus der Straße ist unmodern geworden, und nicht einmal der kommunistisch - trotz- kistische Studentenverband ZENGA- KUREN bringt seine Leute heute auch nur in die Nähe von Barrikaden. Die Weiterführung der antiamerikanischen Tour als Hauptpunkt :m Repertoire des SOHYO würde die Führung nicht nur von der Masse der Arbeiter, sondern auch von den eigenen Mitgliedern isolieren Die japanischen Politiker der neuen Epoche sind aber Meister des politischen Opportunismus. So schaltet SOHYO den Antiamerikanismus auf langsame Touren, will von Seitensprüngen mit dem Kommunismus nichts wissen und gibt sich ganz dem Kampf für die Teilhaberschaft der japanischen Arbeiter an der Konjunktur hin. Generalsekretär Ohta, ein sehr eigenwilliger Herr, hielt sich bei seiner Rundreise durch

Europa in Prag beim Weltgewerkschaftsbund und in Brüssel beim Internationalen Bund freier Gewerkschaften auf. Die SOHYO-Gewerkschaftspresse verheimlichte fast den Aufenthalt in Prag — bei den Blutsbrüdern von gestern — und brachte Seiten über die Verbrüderung in Brüssel. Als Zeuge dieser Entwicklung braucht SOHYO aber den antikommunistischen ZENRO zum Paktgenossen.

ZENRO hat eine schwere Zeit hinter sich. Er ist krank, verkalkt, immobil. Kämpfe liebt er überhaupt nicht. Das Umschwenken des SOHYO auf den (bisher verachteten) wirtschaftlichen Kampf droht ZENRO aber den letzten Einfluß in den japanischen Betrieben zu entziehen. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als die angebotene „Bruderhand” des SOHYO anzunehmen und aufs beste, das heißt auf TANRO zu hoffen.

TANRO hat die Zukunft in seinen Händen. Natürlich weiß TANRO von den Gefahren des Dreierpaktes der Gewerkschaften in Japan. Siegt der linke Flügel im SOHYO, so werden die radikalpolitischen Gewerkschaften bei der ersten Gelegenheit die neue Maske des „Nurgewerkschaftertums” abwerfen und den Pakt, der ausdrücklich auf Wirtschaftskämpfe beschränkt ist, zum Sprungbrett neuer revolutionärer Aktionen machen. Dann kann es sein, daß die Vorgänge des Juni I960 sich wiederholen und die spärlichen Ansatzpunkte demokratischen Gewerkschaftslebens restlos zerstören. Gelingt es aber TANRO, die kommenden Wirtschaftskämpfe von Industriearbeitern in Bahnen demokratisch-industrieller Auseinandersetzungen zu zwingen — kann das die endgültige Isolierung der Linksradikalen bedeuten; innerhalb des SOHYO und in der ganzen japanischen Arbeiterschaft und in den Betrieben wird eine junge Garnitur von Gewerkschaftsführern entstehen.

Die Kämpfe für die „Teilhaberschaft der Arbeiter an der Konjunktur” können zur Geburtsstunde einer demokratischen Gewerkschaftsbewegung in Japan werden.

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