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Digital In Arbeit

Die Luxusstreiks

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Betrachtet man Mitte 1975 die Verhältnisse auf dem schwedischen Arbeitsmarkt, dann drängt sich immer häufiger jene Frage auf, die der Generalsekretär der Schwedischen Arbeitgeberverbände, Curt-Stef^an Giesecke, gelegentlich einer öffentlichen Diskussion an den Führer der Gewerkschaftszentrale, Gunnar Nilsson, zu stellen gezwungen war: „Wohin führt eigentlich in Schweden der Weg? Im Verhältnis der Gewerkschaften zu ihren Mitgliedern muß etwas faul sein. — Wohin soll diese Flut von wilden Streikaktionen führen?“

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Betrachtet man Mitte 1975 die Verhältnisse auf dem schwedischen Arbeitsmarkt, dann drängt sich immer häufiger jene Frage auf, die der Generalsekretär der Schwedischen Arbeitgeberverbände, Curt-Stef^an Giesecke, gelegentlich einer öffentlichen Diskussion an den Führer der Gewerkschaftszentrale, Gunnar Nilsson, zu stellen gezwungen war: „Wohin führt eigentlich in Schweden der Weg? Im Verhältnis der Gewerkschaften zu ihren Mitgliedern muß etwas faul sein. — Wohin soll diese Flut von wilden Streikaktionen führen?“

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„Es ist zu einer Auflösung der Moral im Arbeitnehmerlager gekommen, vielleicht deshalb, weil wir noch einer ,verlorenen Generation' angehören, die gelernt hat zu gehorchen und keine Autorität anzuzweifeln“, antwortete Gunnar Nilsson. — „Nun aber lehrt die Schule der jungen Generation, Stellung zu nehmen, nichts als sicher anzunehmen, alles zu bezweifeln. Darum kommt es auch im Arbeitsleben zur Auflösung alter Werte. Die strenge Disziplin, die vor fünfzig Jahren unentbehrlich schien, ist dahin!“

In dieser Antwort liegt etwas Wahres, doch sie erklärt nicht alles. Zu schnell erfolgte die Wandlung von einer vielgerühmten „Oase des Arbeitsfriedens in der Welt“ zu einer von endlosen wilden Streiks erschütterten Gesellschaft, in denen wirklich jede Autorität, die des Unternehmers, des Staates und der Gewerkschaften, in Frage gestellt wird. Ein Überblick über die Ereignisse der letzten Wochen ist da sehr aufschlußreich.

Auf den Streik der Putzfrauen, der sich wie ein Lauffeuer von Bezirk zu Bezirk ausbreitete, folgte der zehn Wochen währende Streik der Waldarbeiter, der sich durch den Streik der Flösser ausweitet und der Holzindustrie schweren Schaden zufügte. Vor kurzem gab es den Streik der Arbeiter der Müllabfuhr in Stockholm; nun wollen 35.000 Beamte in der Industrie in Streik treten, zu denen sich eventuell 200.000 andere gesellen werden. Die Apothekerbranche steht vor einem Konflikt, drei Gruppen von Akademikern drohen mit der Arbeitsniederlegung, und eben kommen auch noch neue Streikdrohungen aus den Erzfeldern Lapplands. Was ist los in diesem Schweden? kann man wahrhaftig mit den Vertretern der Gewerkschaften und der Arbeitgeber fragen. Was ist das Resultat dieser klar gesetzwidrigen, immer aber sehr fragwürdigen Aktionen?

Der Streik der Putzfrauen endete mit der Verurteilung der Teilnehmerinnen zu einer Geldstrafe von je

200 Kronen. Die zwei Frauen jedoch, die man als Rädelsführerinnen bezeichnet und deshalb fristlos entlassen hatte, erhielten vom Gericht eine Entschädigung von je 55.000 Kronen zugesprochen, da die Entlassung grundlos erfolgt war.

Die Waldarbeiter erzwangen die

Einführung eines Monatslohnes von 3300 Kronen, zu denen noch ein Leistungslohn von 500 bis 800 Kronen kommen soll. Für die 30.000 Waldarbeiter bedeutet das den größten Erfolg seit den Anfängen der Arbeiterbewegung in Schweden. Für die Gewerkschaftsführung ist es ein schwerer Vertrauensverlust, da der Streik gegen ihren Willen durchgesetzt wurde. Die Holzindustrie hat — außer den erhöhten Lohnkosten — einen Produktionsverlust von 300 Millionen Kronen zu tragen und den Verlust von vielen Tausenden von Baumstämmen, die, mangels einer geregelten Flösserei, teils in den Uferregionen, teils im Meer, verlorengegangen sind.

Den Arbeitern der Müllabfuhr erschien eine angebotene Lohnerhöhung von 900 sKr pro Monat(!) zu niedrig und sie erzwangen sich Verhandlungen, die ihnen einen Monatslohn von 4400 bis 4800 sKr geben dürften. Schon die Löhne, die man bisher erhalen hat, lagen über dem Durchschnitt der Industriearbeiterlöhne, und der Streik erschien deshalb, von sozialen Gesichtspunkten aus gesehen, als kaum berechtigt. Mehr als einmal fiel in den letzten Tagen in Stockholm das böse Wort von einem „Luxusstreik“.

Die Industriebeamten und die Akademiker wollen als „Kompensation“ für die gleitenden Löhne in der Industrie höhere Zuschläge als sie die Gewerkschaften durchsetzen konnten, und das heißt: Gehaltserhöhungen über 20 Prozent! Alle vier Berufsgruppen kann man bereits jetzt der höheren Mittelklasse zurechnen, deren Angehörige ganz sicher nicht am Hungertuche nagen.

Geht es diesen Menschen wirklich so schlecht, daß sie solche übertriebene Forderungen stellen müssen, oder ist hier nur der Neid am Werk, die Sucht, jede andere Gruppe mit den eigenen Forderungen zu übertrumpfen?

Bei einer Erhöhung des Bruttona-tionalproduktes um 2 Prozent konnte im 1. Quartal dieses Jahres der Einzelhandel seine Umsätze mengenmäßig um 8 Prozent erhöhen, die Warenhäuser erhöhten um 5 Prozent, der Auto- und Treibstoffhandel sogar um 29 Prozent! In laufenden Preisen gerechnet stieg der Umsatz um 13 Prozent,

Der Weg in die Wohlstandskatastrophe ist mit maßlosen Forderungen gepflastert. Irgendwann einmal wird man das auch in Schweden erkennen müssen!

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