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Der Klassenkampf der Reichen

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Die Streikbewegungen, die zur Stunde Schweden erschüttern und das Land in chaotische Verhältnisse zu sürzen drohen, sind gekennzeichnet durch unüberbrückbar erscheinende Gegensätze und eine Gehässigkeit der Argumentation, wie man sie bisher nicht gekannt hat. In den späten Nachtstunden des „Hauptkampftages" richtete die neutrale SchUch-tiingskommission in Stockholm alle Anstrengungen darauf, die Still-legung der schwedischen Eisenbahnen doch noch zu verhindern. Zur selben Stunde gaben die streikenden Beamtenverbände bekannt, daß nicht weniger als 35 weitere Beamtengruppen der höchsten Lohnklassen ebenfalls in den Streik treten würden.

Der Direktor des streikenden Akademikerverbandes richtete eine bittere Anklage gegen die Regierung, daß sie cüe Streiks imd Aussperrungen rücht habe verhindern wollen; zur selben Stunde teilte sein Verband jedoch mit daß er die meisten jener Staatsbeamten, die er bisher aus sozialen, sicherheitspolitischen oder humanitären Gründen vom Streik ausgenommen hatte, ebenfalls heim-beordem werde. Die Unehrlichkeit der Argumentation war für jeden offenbar, der das Geschehen genau verfolgte.

Die Aufzählung aller Gruppen, die bis spätestens 15. Februar die Arbeit niederlegen wollten, erfoiderte in „Dagens Nyheter" fast zwei volle Zeitungsspalten. In zahlreichen Krankenhäusern sollen alle Oberärzte, Chefärzte und deren Stellvertreter die Arbeitsplätze verlassen. Streiken sollen jedoch auch die Unterärzte einiger Krankenhäuser, die Kinderärzte und 2000 Zahnärzte, die in der Schulzahnpflege beschäftigt sind, die Lotsen der Schiffahrt, der Wetterdienst die Beamten der

Fleisch- und Fruchtkontrolle und — die Richter und Staatsanwälte! Alle strategisch wichtigen Stellen der Verwaltung, des Verkehrs, der Strom- und der Wasserversorgung sollen stillgelegt werden. Ein Todfeind dieses Landes hätte es nicht geschickter machen können. Das alles geschah, um den großen Einkommensvorsprung der Bezieher höchster Einkommen noch zu vergrößern. Der Akademikerverband SACO hält knochenhart an seiner Fordenm/g von hohen prozentuellen Gehaltsverbesserungen fest, obwohl das Durchschnittseinkommen in den hier vertretenen Gruppen schon bei 52.000 Kranen (260.000 Schilling) jährlich liegt. Es gibt dabei in Schweden zwei Millionen Menschen, fast ein Drittel der Bevölkerung, die jährlich teilweise weit unter 20.000 Kronen verdienen. Für diese benachteiligten Schichten würde, bei Erfüllung der Beamtenforderungen, nicht eine Krone übrigbleiben. Alle Beamten können außerdem mit einem geregelten Beförderungsweg rechnen, der natürlich automatisch zu höheren Einkommen führt. Die Arbeiter müssen aber mit zunehmendem Alter einen Rückgang des Einkommens hinnehmen. Bei einem jährlichen Zuwachs des Bruttonationalproduktes von 3,5 Prozent kann eine Einkommensverbesserung über 2,5 Prozent nicht hinausgehen — sofern man nicht von Ausländsanleihen leben oder die Notenpresse in Gang setzen will. Ist dieser Streik gegen den Staat (und, möchte man sagen, die AUge-meinheit) als ein vorwiegend politischer Kampf zu werten, dann muß die Partnerschaft im „Generalstab" verblüffen: Neben ausgesprochenen Konservativen finden sich hier Spitzenfunktionäre der Kommunistischen Partei, die fanatischer noch als ihre Beamtenkollegen auftreten.

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