Die Regierung hat die Tradition aufgekündigt
Der Wirtschaftsstandort hat vom sozialen Frieden profitiert, aber die Akzeptanz demokratischer Grundprinzipien hat gelitten.
Der Wirtschaftsstandort hat vom sozialen Frieden profitiert, aber die Akzeptanz demokratischer Grundprinzipien hat gelitten.
Die Debatte. Darf's a bisserl Streik sein?
Zum Thema: Generalstreik. "Ein Generalstreik soll die Regierung in die Knie zwingen!" Noch nicht lange her, hätte niemand nachfragen müssen, ob hier etwa gar von Österreich die Rede sei, sondern alle wären sofort gewiss gewesen, dass es um Jugoslawien oder andere Länder geht. Heute ist das nicht mehr so. Androhungen wie die obige und verschärfte Varianten davon ("Dann brennt die Republik!" Gewerkschafter Rudolf Kaske) sind in Österreich geläufig geworden. Sollte es bis zum 5. Oktober zu keiner Einigung zwischen Regierung und Öffentlichem Dienst kommen, drohen die Gewerkschaften mit Streik. Und zwischen 70 und 90 Prozent der Beamten stehen dahinter. Dürfen's denn das überhaupt, hat die furche gefragt, und wie ist grundsätzlich der Streik als politisches Ausdrucksmittel zu bewerten? Eine spanndene Debatte. WM In Österreich sind wir gewohnt, Streiks in Sekunden zu messen. Demonstriert wurde in erster Linie von Bauern mit Traktoren. Das Verhandeln am Tisch der Sozialpartnerschaft und der Kompromiss zählten zu den österreichischen Besonderheiten. Der Wirtschaftsstandort hat vom sozialen Frieden, der Absenz von Arbeitsniederlegungen profitiert.
Demgegenüber aber hat die wohlwollende Akzeptanz demokratischer Grundprinzipien, wie Streik- und Demonstrationsrecht, gelitten. Der Großteil der Bevölkerung bringt Streiks und Demonstrationen wenig Verständnis entgegen. Diesem demokratischen Grundrecht, das Minderheiten wie Mehrheiten gehört, steht eine obrigkeitsstaatliche Einstellung gegenüber, die Demokratie als Regierungsentscheidung identifiziert. Dies ist die Saat der Zweiten Republik, die die Regierung jetzt erntet. Die Regierung ihrerseits versteht es, Streiks als egoistische Interessen einzelner Gruppen, die sich einem "allgemeinen" Ziel verschließen wollen, abzutun.
Dass gegenwärtig von der Gewerkschaft Streiks nicht ausgeschlossen werden, ist unter anderem auf Folgendes zurückzuführen: erstens auf Brüche der politischen Kultur durch das "neue" Regieren; zweitens auf die wenig durchdachten, aber drastischen Einschnitte im Sozialsystem, die insbesondere die sozial Schwächsten am stärksten treffen.
Die möglichen Streiks sind vom ziemlich radikalen Bruch der politischen Kultur provoziert. Die Konsensdemokratie auf der Basis sozialpartnerschaftlicher Einigungen wurde innerhalb weniger Monate zu Ende gebracht. Dem politischen Muster des Verhandelns folgt ein direktiver politischer Stil, der lediglich kommunikativ vom Dialog abgefedert wird.
Der Dialog wird von der Bundesregierung angeboten, ja gefordert - an den medialen Pranger, wer den Dialog verweigert! - allerdings erst nachdem die Entscheidungen gefällt sind und innerhalb der von der Regierung detailiert festgesetzten Ziele. Am Beispiel der unverhältnismäßig knapp bemessenen (eine Woche) Begutachtungsfristen für die Gesetze der Budgetmaßnahmen wird der Bruch der politischen Kultur deutlich.
Nun gilt: Wer die Sozialpartnerschaft, das heißt das Aushandeln zwischen Gruppen nicht mehr haben will, riskiert andere Formen der politischen Kultur. Es ist die Regierung, die die Tradition aufkündigt und mit rasantem Tempo, ohne Einbeziehung der Repräsentanten/innen der betroffenen Guppierungen, Entscheidungen durchsetzen will.
Einzig der Altparteiobmann der FPÖ, der im Koalitionsausschuss sitzt und die Sparpakete mitverhandelt, kann im Nachhinein über Medien eine Änderung bewirken. Die politische Botschaft: Jene, die das Paket geschnürt haben, können eben dieses Paket im Nachhinein noch medienwirksam aufschnüren; jene, die nicht beteiligt waren, werden zu einem Dialog eingeladen, bei dem vorher bereits feststeht, dass an den Entscheidungen nichts zu machen ist.
Die Regierung kalkuliert mit der Harmoniebedürftigkeit, aber auch mit dem "Man-kann-eh-nichts-tun"-Syndrom des/der Einzelnen. Die Regierung nährt dieses Bewusstsein, in dem sie es strategisch versteht, Sparen und Nulldefizit als politisches Ziel, das für jeden und jede gleichermaßen gilt, zu mystifizieren. Wenn "alle" sparen müssen, warum dann nicht auch die Beamten (insbesondere jene, die bereits in menschenverachtender Weise als "parasitäre Elemente" bezeichnet wurden) oder die Studenten/innen? Gleichzeitig betont die Regierung, dass 75 Prozent der Bevölkerung von den Sparmaßnahmen nicht betroffen sein werden. Ein Widerspruch?
"Sparen" wird in der Bevölkerung als notwendiges Ziel akzeptiert, aber bekanntlich sind mit dem Sparen auch andere Ziele verbunden, und es sind vor allem Menschen betroffen. Es stellt sich abschließend daher die Frage: Welche Gesellschaft visiert die Regierung mit dem Null-Defizit eigentlich an?
Die Autorin ist Politikwissenschafterin an der Universität Wien.
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