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Turbulenz am grünen Tisch

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Im März 1957 wurde die Paritätische Kommission, das Nervenzentrum des weltweit einzigartigen Systems der österreichischen Sozialpartnerschaft, ins Leben gerufen. Die Leistungen dieser Verbändekooperation sind unbestritten. Aber auch sie kämpft zunehmend mit krisenhaften Erscheinungen und neuen Herausforderungen und muß nach Strategien suchen.

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Im März 1957 wurde die Paritätische Kommission, das Nervenzentrum des weltweit einzigartigen Systems der österreichischen Sozialpartnerschaft, ins Leben gerufen. Die Leistungen dieser Verbändekooperation sind unbestritten. Aber auch sie kämpft zunehmend mit krisenhaften Erscheinungen und neuen Herausforderungen und muß nach Strategien suchen.

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Gegen den Willen der Verbände fällt kein Ziegel vom Dach der österreichischen Wirtschaftspolitik.” Das sagte Ernst Eugen Veselsky 1966.

Fragt man heute, 20 Jahre später, den berühmten kleinen Mann auf der Straße nach seiner Einschätzung dieses spezifisch österreichischen Systems der Konfliktbewältigung, der Sozialpartnerschaft, so hört man ähnliche Worte. Keine Regierung — so meint man — kann es sich leisten, die Wünsche und Empfehlungen der großen Interessenvertretungen zu ignorieren.

Fest steht auch, daß keine heimische Institution nach wie vor im Ausland so oft oewundernd zitiert und kommentiert wird wie diese Verbändekooperation. Jenem „historischen Kompromiß” zwischen Staatsapparat, Geschäftswelt, Unternehmern und Arbeiterbewegung, wie das der Soziologe Bernd Marin in einem Buch formulierte.

Genauso oft wurde auch in Österreich schon erläutert, aus welchen spezifischen historischen und soziologischen Bedingungen diese Kooperation zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern entstanden ist. Immer wieder wird das gemeinsame Leid während der nationalsozialistischen Herrschaft betont, das aus Gegnern von einst Verbündete gemacht hat.

Ob das Phänomen damit hinreichend erklärt ist, mag dahingestellt bleiben. Fest steht jedenfalls, daß Sozialpartnerschaft von keiner Theorie — ob Wirtschaftsoder Staatswissenschaft — quasi „erfunden” und dann in die Praxis umgesetzt wurde.

Faßt man die positiven Auswirkungen der Sozialpartnerschaft seit der Gründung der Paritätischen Kommission vor 30 Jahren zusammen, so herrscht in folgenden Punkten bei Außenstehenden wie Funktionären weitgehend Ubereinstimmung: • Im Bereich der Lohn- und Preispolitik ist es gelungen, die spezifischen Interessen einer Gruppe den allgemeinen unterzuordnen. So wurde beispielsweise trotz der günstigen Konjunktur in den siebziger Jahren eine Niedriglohnpolitik verfolgt, um die Hartwährungspolitik zu untermauern.

• Vollbeschäftigung und die Sicherung von Arbeitsplätzen wurden ein politisch unumstrittenes Ziel über alle ideologischen Grenzen hinweg. (Vor diesem Hintergrund ist auch das geflügelte Wort Bruno Kreiskys zu sehen, dem in den siebziger Jahren bekanntlich ein paar Millionen mehr Schulden weniger Kopfzerbrechen bereiteten als ein paar Arbeitslose.)

• Die Gewerkschaften konnten in den letzten Jahrzehnten ihre Anliegen wie Mitbestimmung besser artikulieren und durchsetzen.

• Der soziale Friede bescherte den heimischen Unternehmern (neben der Schweiz) die niedrigsten Streikraten der Welt.

• Interessenvertretungen, vergleicht der Politikwissenschaftler

•Emmerich Tälos, haben in anderen Ländern, wo Konflikte nicht am „grünen Tisch” ausgetragen werden, unterm Strich auch nicht mehr für ihre Gruppen „herausgeholt” als in Österreich. (Natürlich ist es schwierig, positive Ergebnisse eindeutig einer bestimmten Institution zuzurechnen. So streiten Ökonomen nach wie vor darüber, ob die niedrige Inflationsrate auch ohne Preiskontrolle durch die Paritätische Kommission erzielt worden wäre.)

Aber sei's drum, der Sozialpartnerschaft können sicherlich großartige, greif- und meßbare Ergebnisse zugerechnet werden.

Nur so ist auch erklärbar, daß die Zustimmung der österreichischen Bevölkerung noch immer sehr hoch ist, obwohl die Verbände im gesetzesfreien Raum agieren und Umfragen beweisen, daß die Vorstellungen über Organisation und Aufgabengebiete noch immer sehr diffus sind.

Aber Erfolge verpflichten bekanntlich, und diese Tatsache könnte unter anderem auch für die Sozialpartnerschaft zum Problem werden. Sie zeigte in den Jahren ihres Bestehens zunehmend die Neigung, sich für viele wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme zuständig zu fühlen. Man glaubte, jedes Problem ließe sich auf einen Nenner „hindiskutieren”.

Entsprechend groß war der Schreck am 5. November 1978, als bei der Zwentendorfabstimmung eine Mehrheit mit „Nein” stimmte. Zum ersten Mal konnten die Interessenverbände eine gemeinsame Auffassung nicht durchsetzen.

Erstmals wurde sichtbar, daß Sozialpartnerschaft nicht mehr die ausschlaggebende Stelle ist, die festlegt, wohin sich die österreichische Gesellschaft — in diesem Fall in Richtung Nutzung der Kernenergie — bewegen soll.

Seither sind die Spitzenfunktionäre der Sozialpartnerschaft — und nicht nur sie — mit Orientierungen und Wertvorstellungen konfrontiert, die nicht in ihre langjährigen Denkvorstellungen passen und mit denen sie auch ihre Schwierigkeiten haben. Aus verständlichen Gründen:

Jene Repräsentanten, die heute das Sagen haben, kommen aus einer Zeit, in der auf Wirtschaftswachstum und Produktivitätssteigerung gesetzt wurde. Damals ließen sich die meisten Probleme auch mit diesen Strategien lösen. Sichtbarer Beweis damals: wenig Arbeitskämpfe, niedrige Arbeitslosenrate, zweistellige Lohnerhöhungen und Aufhebung kraßer sozialer Unterschiede. . Heute sind sie mit dem Bewußtsein konfrontiert, daß Produktivitätssteigerung kontraproduktiv sein kann, indem sie beispielsweise Umwelt unwiederbringlich zerstört. Trotzdem ist Wirtschaftswachstum auf der Prioritätenliste ganz oben angesiedelt, obwohl sich die Rahmenbedingungen geändert haben und Wachstum um jeden Preis zunehmend in Frage gestellt wird.

Die Krise habe aber weitere Kritik mobilisiert, neue Konfliktfelder geoffenbart: • Die mangelnde Solidarität der Gewerkschaften gegenüber jenen, die durch das soziale Netz gefallen sind oder gar nicht die Chance haben, hineinzukommen (Jugendliche, Frauen). Die Gewerkschaften, so wird bemängelt, halten mit allen Mitteln den hohen Standard ihrer Kernschichten aufrecht. Binnensolidarität kommt vor jedem Engagement mit „Außenstehenden”.

• Dazu kommen die bekannten Kritikpunkte wie fehlende Transparenz und Mitbestimmungsmöglichkeit bei Entscheidungen, obwohl der Zeitgeist in die andere Richtung weht. (Den Kritikern wird hier entgegengehalten, daß eine freiwillige Kooperation ohne gesetzliche Basis wie die Sozialpartnerschaft nur funktionieren kann, wenn Hierarchien stark ausgeprägt sind und nur einige wenige letztlich die Entscheidungen fällen.)

• Schwächere Gruppen wie Landwirte wurden immer mehr an den Rand gedrängt. Was zählt, ist die numerische Überlegenheit. Und hier haben die Bauern im Zuge der „Strukturbereinigung” ohne großes Aufsehen Tausende Arbeitsplätze verloren. Ihre volkswirtschaftliche Bedeutung ist aber nach wie vor ungebrochen. Ihre Einkommen liegen aber teilweise um einiges hinter anderen Gruppen mit stärkeren Lobbies zurück.

• Bekannt ist auch die Kritik an der starken Verflechtung der Trägerorganisationen mit „ihren” politischen Parteien und die Rollenkonflikte, die sich daraus für manchen politischen Funktionär ergeben.

Doch gleichgültig, ob man nun die Sozialpartnerschaft kritisch sieht im Sinne eines übermächtigen Einflusses starker Gruppen, die immer mehr Aufgaben übernehmen will und auch erhält,oder die Erhaltung des sozialen Friedens als Maßstab nimmt: Sie ist kein endgültiges Arrangement in der österreichischen politischen Landschaft und sind sich der Probleme auch durchaus schon bewußt, das zeigen die Beiträge auf Seite zwölf und dreizehn.

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