WKO und ÖGB - © Illustration: Rainer Messerklinger

Plädoyer für die Sozialpartnerschaft

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Das Buch „Sozialpartnerschaft“ der Politikwissenschaftler Emmerich Tálos und Tobias Hinterseer ist kein Nachruf auf die typisch ­österreichische Konsensdemokratie – sondern ein historisch versiertes Plädoyer für ihre Wiederbelebung. Ein Gastkommentar.

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Das Buch „Sozialpartnerschaft“ der Politikwissenschaftler Emmerich Tálos und Tobias Hinterseer ist kein Nachruf auf die typisch ­österreichische Konsensdemokratie – sondern ein historisch versiertes Plädoyer für ihre Wiederbelebung. Ein Gastkommentar.

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Ein Buch über die österreichische Sozialpartnerschaft? Ja, gibt es die noch? Und ist sie noch zeitgemäß? Solche Fragen können einem in den Sinn kommen, wenn man das neue Buch von Emmerich Tálos und Tobias Hinterseer in die Hand nimmt. Und genau auf die aktuellen Chancen sozialpartnerschaftlicher Gestaltung staatlicher Politik läuft ihre Darstellung der österreichischen Sozialpartnerschaft hinaus. Doch die Analyse ist grundsätzlicher angelegt. Will man nämlich das Phänomen der heimischen Sozialpartnerschaft verstehen, ist ein Blick in die Geschichte nötig. Nur dadurch ist dieses besondere Arrangement der Abstimmung von Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen nachvollziehbar, das sich in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet hat. Entsprechend ausführlich gehen die Autoren auf die historischen Wurzeln und auf die Entwicklungen zwischen 1957 und 1985 ein.

„Verfallserscheinungen“ ab 1990ern

Im Alltagsgebrauch wird der Begriff „Sozialpartnerschaft“ bisweilen auf die Beziehungen zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften und insbesondere die Kollektivvertragsverhandlungen angewandt. In diesem Band geht es dagegen primär um die Beziehungen zwischen diesen Verbänden und der Regierung. Sozialpartnerschaft verstehen die Autoren entsprechend als dreiseitige Interessenvermittlung und Interessenpolitik, die von den Dachverbänden der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerorganisationen und von der Regierung getragen werden. In der „Hochblüte“ der österreichischen Sozialpartnerschaft bedeutete sie vor allem die Mitgestaltung wichtiger Politikfelder durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen. Ganz zentral war dabei, dass im Zuge von Verhandlungen Kompromisse gefunden wurden, wodurch unterschiedliche Interessen in die Gesetzgebung oder andere Entscheidungen Eingang fanden. Tálos und Hinterseer bewerten die Ergebnisse dieser Einbeziehung im Rückblick als klar positiv: „Die wirtschaftliche und soziale Erfolgsgeschichte Österreichs in der Zweiten Republik wurde wesentlich durch sozialpartnerschaftliche Interessenpolitik mitgetragen und mitgestaltet.“ (S. 71)

Aber auch die sozialpartnerschaftlichen Schattenseiten werden erwähnt, wenn auch nicht weiter ausgeführt. Sie bestehen darin, dass die Interessen der Nicht-Erwerbstätigen und die Fraueninteressen nicht in dieses auf informeller Basis funktionierende System einbezogen waren. Die tiefgreifenden Veränderungen der österreichischen Sozialpartnerschaft zwischen 1985 und 2017 sind aber weniger dieser zu wenig umfassenden Vertretung gesellschaftlicher Interessen geschuldet. Vielmehr sahen sich die Träger der Sozialpartnerschaft geänderten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen gegenüber, und der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union führte zu massiven Veränderungen des politischen Prozesses. Die Autoren beschreiben die „Verfallserscheinungen“ der Einrichtungen der Sozialpartnerschaft insbesondere in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre. Dazu kommt die schwindende Übereinstimmung von Regierung, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden in grundsätzlichen Fragen der Wirtschaftspolitik, der Regulierung des Arbeitsmarktes und der Sozialpolitik. Als im Jahr 2000 eine ÖVP-FPÖ-Koalition die Regierung übernahm, folgte eine „weitgehende Ausschaltung sozialpartnerschaftlicher Einflussnahme“. Die traditionelle sozialpartnerschaftliche Verhandlungskultur wurde durch neue Gesprächsforen mit „Event- und Showcharakter“ ersetzt. Die nunmehr stark eingeschränkte Beteiligung insbesondere der Arbeitnehmervertretungen an Entscheidungen und die strikten inhaltlichen Vorgaben durch die Regierung bedeuteten, so die Autoren, einen „weitgehenden Bruch mit der traditionellen Vorgehensweise in politischen Entscheidungsprozessen“ (S.101).

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