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Die Budgetdebatte zwischen Show und Konfrontation

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Tägliche, stundenlange Debatten, institutionalisierte und damit ritualisierte Konfrontationen zwischen Regierung und Parlament — so präsentiert sich auch derzeit wieder in seiner alljährlichen Budgetdebatte der österreichische Nationalrat. Das Budget ist dabei nur der äußere,' krückenhafte Anlaßfall für eine politische Generaldebatte (weshalb es auch an Vorschlägen zur Reform der Budgetdebatte nicht fehlt1); was jedoch den alljährlichen Kraftakt des Parlamentarismus vom Grundsätzlichen her zur Diskussion stellt, ist die Präsentation des Parlaments als Institution der Demokratie — als jenes Kontroll-Bewil-ligungs- und Repräsentationsforum, dessen Publizität Durch- und Einsichtigkeit in die Staatsverwaltung ermöglichen soll. Diese Publizität wird heute durch die Massenmedien und ihre Übertragungen vermittelt. Sie zaubern das Hohe Haus in fast jedes Wohnzimmer und erweitern die parlamentarische Öffentlichkeit zur Einsehbarkeit in den politischen Prozeß — freilich eingeschränkt auf die oberste gesetzgebende Körperschaft. Aber sie machen auch die Frägwürdigkeit dieser Öffentlichkeit klar — einer Öffentlichkeit, die hergestellt ist, wenn die Mehrheitspartei stereotyp das Budget akzeptiert, die Parlamentsminderheit aber regelmäßig ablehnt. Kein Strich, keine Post wird geändert. Der Ritus der Abstimmungsmaschinerie schließt Pannen aus.

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Tägliche, stundenlange Debatten, institutionalisierte und damit ritualisierte Konfrontationen zwischen Regierung und Parlament — so präsentiert sich auch derzeit wieder in seiner alljährlichen Budgetdebatte der österreichische Nationalrat. Das Budget ist dabei nur der äußere,' krückenhafte Anlaßfall für eine politische Generaldebatte (weshalb es auch an Vorschlägen zur Reform der Budgetdebatte nicht fehlt1); was jedoch den alljährlichen Kraftakt des Parlamentarismus vom Grundsätzlichen her zur Diskussion stellt, ist die Präsentation des Parlaments als Institution der Demokratie — als jenes Kontroll-Bewil-ligungs- und Repräsentationsforum, dessen Publizität Durch- und Einsichtigkeit in die Staatsverwaltung ermöglichen soll. Diese Publizität wird heute durch die Massenmedien und ihre Übertragungen vermittelt. Sie zaubern das Hohe Haus in fast jedes Wohnzimmer und erweitern die parlamentarische Öffentlichkeit zur Einsehbarkeit in den politischen Prozeß — freilich eingeschränkt auf die oberste gesetzgebende Körperschaft. Aber sie machen auch die Frägwürdigkeit dieser Öffentlichkeit klar — einer Öffentlichkeit, die hergestellt ist, wenn die Mehrheitspartei stereotyp das Budget akzeptiert, die Parlamentsminderheit aber regelmäßig ablehnt. Kein Strich, keine Post wird geändert. Der Ritus der Abstimmungsmaschinerie schließt Pannen aus.

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Eine Kritik an der Praxis der Budgetdebatte kann sich freilich nicht allein auf die Diskussion im Plenum beschränken; sie gilt im Grunde auch für die Ausschußberatungen, ja den ganzen Vorgang der Gesetzwerdung des Budgetgesetzes.

In der Zeit der großen Koalition bildeten alljährlich die Beratungen im Koalitionsausschuß den eigentlichen Höhepunkt der machtpolitischen Auseinandersetzung zwischen den beiden Regierungspartnern. Die „Bereichsopposition“' wurde als partielle Blockade des Budgets wirksam. Die Zuteilung von Budgetmitteln an die einzelnen Ressorts wurde dabei nicht nach den Kriterien eines allgemein-verbindlichen Prioritätenkatalogs vergeben (der zum Teil aus den gemeinsamen Regierungserklärungen ableitbar gewesen wäre), sondern nach der Gewichtung von Macht und Einfluß. Tatsache ist auch, daß der auf maximales Wirtschaftswachstum ausgerichtete Wertkatalog beider Koalitionsparteien quantifizierte Größen benötigte, um das Verdienst an diesem Wachstum meßbar zu machen; weil (was auch heute noch gilt) die politische Propaganda bereits den Budgetmitteleinsatz als Leistungskriterium für politische Arbeit qualifiziert. Einerseits muß aber auch die Bedeutung des Bundesbudgets in Österreich für die allgemeine Wirtschaftsentwicklung im Hinblick auf den hohen Anteil des Staates an Investitionen und in Unternehmungen ins Kalkül gezogen werden, anderseits die hohe Bedeutung des Budgets als Steuerungsinstrument der volkswirtschaftlichen, konjunk-tur- und einkommenspolitischen Entwicklung.

Die große Koalition zerbrach mehrere Male an den Budgetverhandlungen, wodurch die Frage der Budgetmittelaufteilung zur Auseinandersetzung im darauffolgenden Wahlkampf und einer Frage der Machtverteilung zwischen den beiden Lagern in Österreich wurde:

• Im Oktober 1952 zerbrach die Regierung an der Nicbteinigung über das Budget. Die Neuwahlen fanden am 22. Februar 1953 statt.

• Im Herbst 1955 kam es zu keiner Einigung über die Mittelvergabe aus dem Marshall-Plan und um die Finanzierung der Verstaatlichten Industrie. Die Neuwahlen fanden am 13. Mai 1956 statt.

• Im Oktober 1965 konnte keine Einigung über den Bundesvoranschlag für 1966 erzielt werden. Die Neuwahlen fanden am 6. März 1966 statt.

Aber selbst im Falle der Einigung erfolgte diese nicht selten unter dem Streß von mitternächtlichen Budgetrunden. Trotz des augenfälligen Wechsels durch die Ablösung der großen Koalition von der Alleinregierung der ÖVP wurde nach 1966 das Budget zum Instrument — nunmehr innerparteilicher — Machtkonflikte. Die verschiedenen Bünde innerhalb der ÖVP setzten ihre Organisationen in Bewegung, um größere Kuchen aus dem Budget für „ihren“ Minister zu erreichen — gleichgültig, ob Prioritäten eine andere Budget-gewichtumg verlangt hätten. Und auch seit 1970 spielten — allerdings abgeschwächt — Prestige und Macht innerhalb der SPÖ bei der Budget-erstellung eine gewichtige Rolle.

Nun fungierte zwischen 1945 und 1966 das Parlament nicht nur in Fragen der Budgetgesetzgebung als nächstes Vollzugsinstrumeht der Regierung; die Existenz des Koalitionsausschusses in Zusammenhang mit dem Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat entmündigte das Parlament weitgehend und verminderte seinen Einfluß auf den politischen Prozeß. Nicht einmal die Rolle als Bühne für öffentliche Demonstration konnte vom Nationalrat wahrgenommen werden; und der Bedarf der Regierungsparteien an einer Erhöhung des Gewichtes der parlamentarischen Tribüne war gering3.

Eine Veränderung der Situation ergab sich nach der Bildung von Alleinregierungen. Das Parlament erhielt seine Funktion insoferne zurück, als sowohl im Gesetzgebungsbereich als auch im Rahmen der parlamentarischen Kontrolle der Regierung die öffentliche Konfrontation Platz griff. Die praktische Beeinflussung des Verhaltens der Regierung und der Vollziehung scheint zwar im Bereich der Mitwirkungs-befugriisse noch immer stark reduziert, im Bereich der durch Öffentlichkeitswirkung sanktionierten Kontrolle aber unterschiedlich stark ausgeprägt zu sein, wie Peter Gerlich in einer erst kürzlich erschienenen Arbeit über die parlamentarische Kontrolle im politischen System4 schreibt.

Tatsächlich ist die Mitwirkung der Abgeordneten trotz wochenlanger Ausschuß- und tagelanger Plenumsdebatten an der Erstellung des Bundeshaushalts in Österreich aber sehr gering. Die Opposition ist nicht in der Lage, Änderungen des Bundesvoranschlages zu erreichen. Dies ist zum ersten darauf zurückzuführen, daß das Bundesbudget in Österreich auf Grund seiner Festlegung für nur ein Kalenderjahr langfristigere, steuernde und für die Entwicklungslinien der Politik entscheidende Weichenstellungen nicht zuläßt. (Schon seit langem fordern Volkswirtschaftler daher auch Mehrjahresbudgets, zumindest in Form von konjunkturgerechten Planungsbudgets) ; zum anderen ist der Anteil der durch gesetzliche Bindungen fixierten Budgetposten relativ hoch und entzieht sich der parlamentarischen Budgetdiskussion; schließlich ist der Bundesvoranschlag ein überaus komplexes, verzahntes Gebilde, das Fachkenntnis und bürokratische Akribie erfordert und daher dem Durchschnittsparlamentarier nicht sonderlich einsichtig erscheint; schließlich sind Umschichtungen von Budgetsummen — wie sie die Opposition immer wieder fordert — nur im Rahmen von Globalzusammenhängen im Budget zu sehen: all das macht verständlich, warum der Regierungspartei weitgehend keine andere Wahl bleibt, als sklavisch an den Positionen des Regierungsentwurfes zu kleben, um nicht das Budget als Ganzes ins Rutschen zu bringen.

So ist es verständlich, daß sich die Budgetdebatte im Plenum auch nur noch am Rande mit den konkreten Budgetziffern beschäftigt, jedoch vielmehr zur Grundsatzauseinandersetzung der Opposition mit der Regierung über allgemeine Problemstellungen der relevanten Regierungspolitik und der Vollziehung wird.

Was sich also im Plenum des Nationalrats in diesen Tagen wiederum aufs neue abspielt, ist die öffentliche Sichtbarmachung der Konfrontation zwischen Regierung und Opposition; ist die Klarstellung, daß kein Konsens zwischen Regierung und Opposition in wichtigen Fragen der Regierungspolitik besteht, wenn dies auch aus den konkreten Budgetzahlen nicht schlüssig hervorgeht (zahlreiche Ansätze in den Ressortbudgets haben sich seit 1970 anteilsmäßig praktisch nicht verändert). Für die Rolle des österreichischen Parlaments in der alljährlichen Budgetdebatte gilt das, was (für die Deutsche Bundesrepublik) über den Funktionswandel des Parlamentarismus Friesenhahn darlegt: „Das Parlament wird zur öffentlichen Tribüne, auf der vor dem ganzen Volk, das durch Rundfunk und Femsehen in besonderer- Weise an dieser Öffentlichkeit teilnimmt, die Regierung und die sie stützenden Parteien ihre Politik dem Volke darlegen und verteidigen, die Opposition diese Politik ... angreift und ihre Alternativpolitik entwickelt5.“

Das macht nun deutlich, daß damit Kritik am Parlament insgesamt inkludiert ist: vor der erweiterten Öffentlichkeit werden die Verhandlungen zur „Show“, die Publizität verliert ihre kritische Funktion zugunsten der demonstrativen. Jürgen Habermas leitet daraus die Fragwürdigkeit der Öffentlichkeit als Organisationsprinzip des Staates schlechthin ab: „Aus einem Prinzip der Kritik ist Publizität zu einem Prinzip der gesteuerten Integration umfunktioniert worden6“.

Und tatsächlich macht es den Eindruck, als sei die Budgetdebatte in Österreich weitgehend eine parteipolitische Großkundgebung, als sei die Polarisation und Konfrontation der Parteien, die sich in Zwischenrufduellen und fintenreicher Rhetorik äußert, auf die Erregung von Aufmerksamkeit, ja der Unterhaltung der vor den Bildschirmen sitzenden unbeteiligten Konsumenten geworden (nicht unähnlich den großen Strafprozessen, wo gleichfalls die Gerichtssaalöffentlichkeit als Vehikel konsumhaft genossener Schaulust dient).

Diesen Showcharakter der Parlamentsdebatten hat tatsächlich vor allem das Fernsehen verstärkt. Was Bruno Kreisky noch als Oppositionschef 1969 befürchtete, daß durch die Television die Versuchung wachse, „noch mehr zum Fenster hinauszureden“7, ist eingetreten.

Dabei kann (quantitativ gesehen) die These als richtig angesehen werden, daß die parlamentarische Tätigkeit insgesamt dazu tendiert, aus einem Rede- ein Arbeitsparlament zu machen. Nur gilt dies in besonderem Maße nicht für die Budgetberatungen, die von der Plenar-debatte völlig beherrscht sind und die Ausschußberatungen weitgehend zurücktreten lassen. Die Gefahr der Dokumentation der Budgetplenar-debatten durch die Massenmedien ist daher besonders dazu angetan, den Zusehern die Illusion maximaler Information trotz gleichzeitiger „Manipulation“ der Parlamentsfunktion schlechthin zu vermitteln. Untersuchungen bestätigen, daß der Durchschnittsbürger einerseits nur die Tätigkeit des Abgeordneten im Plenum anerkennt (weil er weitgehend nur über diese Bescheid weiß), zum anderen die parlamentarischen Gepflogenheiten, wie die Abwesenheit von Sitzungen, das Zei-tungslesen, die Zwischenrufe und die demonstrativen Konfrontationen, nicht schätzt.

Daraus ergibt sich bereits ziemlich deutlich, in welcher Richtung Reformen der Budgetdebatte wünschbar wären:

• Es wäre eine formal-funk-tionelle Trennung der Beratungen des Finanzgesetzes einerseits, der Regierungspolitik (nach Ressorts) anderseits, wünschenswert. Der Opposition muß eine Möglichkeit geboten werden, die Politik der Regierung nicht nur jährlich einmal, sondern in jeder Session zu debattieren. („Regierungsbericht“ im Frühjahr?) Es müßten bessere Möglichkeiten der Kontrolle (Verstärkung des Anfrage-, Interpeilations-, Entschließungsrechtes) geschaffen werden, die mehr sind als nur eine Auseinandersetzung mit der Budgetpolitik eines Ressorts.

• Zum anderen müßte ein sich wandelnder Stil der Medienberichterstattung in Zusammenarbeit zwischen Parlament und Rundfunk gefunden werden; die Sendung „Hohes

Haus“ ist — allein schon, was ihre Plazierung im Spätabendprogramm betrifft — unbefriedigend; die Aus- ' weitung der Berichterstattung über die parlamentarische Arbeit als Ganzes — und nicht nur im Rahmen der Berichterstattung über Plenumssitzungen — wäre wünschenswert. Das würde nicht zuletzt den tristen Eindruck verdrängen, daß das Pariamen nur fallweise, vor allem aber jedes Jahr erst knapp vor Weihnachten, „richtig“ arbeitet.

Weil aber jede Verlängerung des derzeitigen Zustandes dem Parlamentarismus abträglich ist, wären baldige Beschlüsse in jenem Ausschuß wünschbar, der derzeit gerade sowieso über die Reform der Geschäftsordnung des Nationalrats berät.

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