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Sanftheit trotz Eklat

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Verteidigungsminister Lütgendorf hat wieder einmal zugeschlagen. Die dem baldigen Sitzungsende am vergangenen Donnerstag entgegenharrenden Nationalratsabgeordneten wurden während eines „Grundsatzreferates“ des Ministers im Rahmen der Debatte über das Wehrbudget immer unruhiger. FPÖ-Ob-mann Peter löste eine Geschäftsordnungsdiskussion aus, weil er die Rede Lütgendorfs als Regierungserklärung bezeichnete und den Text in schriftlicher Form vorgelegt haben wollte, damit sich die Abgeordneten auf die Debatte darüber vorbereiten können. Mitten im anschließenden Tumult, der seinesgleichen seit Bestehen der Zweiten Republik nicht hatte, verließ Lütgendorf mit steinernem Gesicht um 20.40 Uhr den Plenarsaal.

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Verteidigungsminister Lütgendorf hat wieder einmal zugeschlagen. Die dem baldigen Sitzungsende am vergangenen Donnerstag entgegenharrenden Nationalratsabgeordneten wurden während eines „Grundsatzreferates“ des Ministers im Rahmen der Debatte über das Wehrbudget immer unruhiger. FPÖ-Ob-mann Peter löste eine Geschäftsordnungsdiskussion aus, weil er die Rede Lütgendorfs als Regierungserklärung bezeichnete und den Text in schriftlicher Form vorgelegt haben wollte, damit sich die Abgeordneten auf die Debatte darüber vorbereiten können. Mitten im anschließenden Tumult, der seinesgleichen seit Bestehen der Zweiten Republik nicht hatte, verließ Lütgendorf mit steinernem Gesicht um 20.40 Uhr den Plenarsaal.

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Der Verteidigungsminister war es also, der mit seinen Erklärungen einen Konflikt zwischen den Fraktionen auslöste, von einer Schärfe, die selbst alte Parlamentshasen noch nicht erlebt hatten. Vielleicht war aber die Rede Lütgendorfs doch nur das auslösende Moment für einen Ausbruch der Emotionen, dessen Grund im Ablauf der diesjährigen Budgetdebatte insgesamt liegt.

Die Erörterung des Bundesvoranschlages im Plenum des Nationalrates ist wohl alljährlich die für die Oppositionsparteien wichtigste Möglichkeit für eine umfassende Konfrontation mit der Politik der Regierung. Werden doch alle Ressorts einzeln durchgegangen — und wenn auch ein „Fahrplan“ für die Debatte festgelegt wird, so liegt es in der Praxis doch ganz im Ermessen der Opposition, wie lange und wie ausführlich sie die Arbeit der einzelnen Minister kritisch aufs Korn nimmt.

Daher würde man auch meinen, daß gerade bei der großen Oppositionspartei eine straffe Regie geführt wird, um ein Maximum an kritischen Argumenten in den Debattenbeiträ-

gen der ÖVP-Sprecher unterzubringen. Die Freiheitlichen haben es da natürlich schon deshalb leichter, weil ihre kleine Fraktion eher unter einen Hut zu bringen ist, als die aus oft nicht ganz konform gehenden Interessen der drei Bünde zusammengesetzte ÖVP-Fraktion.

So kam es, daß unter den Parlamentsberichterstattern der Massenmedien nach der ersten Halbzeit der Budgetdebatte auch der Eindruck entsteht, daß man bei der ÖVP-Fraktion auf das Regieführen verzichtet. Es kommen alle, alle Abgeordneten zu Wort, auch wenn dann mehrere dem Sinne nach die selben oder ganz ähnliche Argumente vorbringen. Schon am zweiten Tag war das „Ti-ming“ vollkommen über den Haufen geworfen, ohne daß Höhepunkte der Kritik an der Regierungspolitik verzeichnet werden konnten. Freilich war auch der, um dessen Ressort es in erster Linie ging, nicht im Parlament anwesend: Bundeskanzler Kreisky, der noch zu einem Rekonvaleszentenurlaub auf dem Semme-ring weilte. Dann kam noch dazu, daß ÖVP-Obmann Dr. Schleinzer

ebenfalls ganz dringend eine Klinik aufsuchen mußte, um sich einer Gallenoperation zu unterziehen. So blieb von dem am Salzburger ÖVP-Partei-tag angekündigten scharfen Oppositionswind nur ein sanftes „Dezemberlüfterl“ übrig.

Mag sein, daß bei der Volkspartei noch aus einem anderen Grund Ver-grämung herrscht: die Klubführung der Sozialisten hat es verstanden, den Parlamentsfahrplan bis Jahresende eindeutig zugunsten der Regierung zu erstellen. Zwischen 18. und 20. Dezember sind nach Ende der Budgetdebatte noch Aussehußtermme und Plenarsitzungen geplant. In diesen Beratungen sollen Gesetze beschlossen werden, an deren Inkrafttreten zu Jahresbeginn gerade ÖVP-Kreise ein eminentes Interesse

haben. Damit ist jedenfalls für die Regierung die Gewähr gegeben, daß das Budget sicher zeitgerecht beschlossen wird. Sie muß nicht fürchten, daß die Opposition die Debatte endlos in die Länge zieht — immerhin besteht ja theoretisch die Möglichkeit, die Beratungen über den

Jahreswechsel hinauszuziehen. Dies würde die Regierung in die peinliche Lage versetzen, ein nur jeweils für einen Monat geltendes Notbudget zu erstellen, das auf dem Voranschlag für heuer aufbaut.

Der nur sehr schwache Oppositionswind, der von der ÖVP ausgeht, hat jedenfalls Beobachter zu der Feststellung veranlaßt, „die besten Sprecher der Volkspartei“ seien die freiheitlichen Abgeordneten Peter und Zeillinger. In der Tat vermißt man in den Reden der vielen ÖVP-Abgeordneten eine Menge traditioneller Instrumente der Kritik am Budget: kaum Vergleiche mit früheren Voranschlägen oder mit dem letzten vorliegenden Rechnungsabschluß; die mangelnden Hilfsdienste seien daran schuld, heißt es, obwohl man anderseits wieder hört, daß auch die vorhandenden Möglichkeiten von den Abgeordneten bei der Konzipierung ihrer Reden nicht oder kaum benützt werden.

Alle diese Feststellungen bestärken den. Beobachter, daß,ein Eklat als Mittel der Öppositionspolftik gesucht worden sein könnte. Daß hier allerdings die Ereignisse den Akteuren davongelaufen sind — in die Richtung eines ungeheuerlichen Tumultes — muß (wenn diese These stimmt), um so mehr bedauert werden. Sicher war es von vornherein klar, daß das Wehrbudget und in diesem Zusammenhang die Person

von Minister Lütgendorf ein zentrales Thema für die Kritik der Opposition sein würde.

Die abstrakt formulierte Geschäftsordnung des Nationalrates, die auf Einzelfälle kaum einmal eingeht, und so Platz für ungeschriebene Usancen läßt (die aber ohne Sanktionen bleiben), hat sicher auch das Ihre zum Ausbruch der Tumulte beigetragen. Der Ruf nach rascher Reform ist uns auch diesmal wieder sicher.

Wenn es je in dieser Herbstsession Bemühungen gegeben haben sollte, das frostige Klima zwischen den Parlamentsfraktionen aufzutauen, sind sicher in der nächsten Zeit die Chancen dafür vertan. Und wenn auch der Eklat nach der Rede des Verteidigungsministers nur das Resultat aus vielen Komponenten war, so ist es doch wieder das sorglose Verhalten Lütgendorfs der Volksvertretung gegenüber gewesen, das das Faß zum Uberlaufen gebracht hat: Lü macht's möglich.

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