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Abgewehrte Hinterbänkler ?

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Nirgends zeigen sich in der Praxis die Grenzen des Parlamentarismus so deutlich wie bei der jährlichen Budgetdebatte des Nationalrates. Schon bei der Budgetrede des Finanzministers, bei der ersten Lesung des Bundesvoranschlages, gibt es eine ausführliche Plenardebatte, bei der die Opposition die Gelegenheit wahrnimmt, die gesamte Politik der Regierung einer eingehenden Diskussion und Kritik zu unterziehen. Dann folgen die mehrwöchigen intensiven Ausschußberatungen, schließlich werden die Ansätze nochmals im Plenum, nach Sachgebieten geordnet, durchgenommen. Das dauerte in den letzten Jahren auch meist fast zwei Wochen.

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Nirgends zeigen sich in der Praxis die Grenzen des Parlamentarismus so deutlich wie bei der jährlichen Budgetdebatte des Nationalrates. Schon bei der Budgetrede des Finanzministers, bei der ersten Lesung des Bundesvoranschlages, gibt es eine ausführliche Plenardebatte, bei der die Opposition die Gelegenheit wahrnimmt, die gesamte Politik der Regierung einer eingehenden Diskussion und Kritik zu unterziehen. Dann folgen die mehrwöchigen intensiven Ausschußberatungen, schließlich werden die Ansätze nochmals im Plenum, nach Sachgebieten geordnet, durchgenommen. Das dauerte in den letzten Jahren auch meist fast zwei Wochen.

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Seit das Parlament immer mehr Arbeit erhält — die Zahl der Regierungsvorlagen, Anträge und Berichte steigt schon seit der Zeit der ÖVP-Alleinregierung der Jahre 1966 bis 1970 ständig an — wird auch die Diskussion um Möglichkeiten der Reform dieser Budgetberatung alle Jahre wieder, wenn der Herbst näherrückt, mit mehr oder minder großer Vehemenz geführt.

Der professionelle Beobachter des Parlpmentsbetriebes fragt sich oftmals wirklich, was einzelne Debattenbeiträge dieses oder jenes Abgeordneten denn wohl mit dem Staatshaushalt zu tun haben mögen — die Antwort erhält man in den Parlamentsklubs hinter vorgehaltener Hand: Die Budgetdebatte ist neben der Fragestunde oftmals die einzige Möglichkeit für sogenannte „Hinter-bänkler“, sich zu Wort zu melden und damit — überspitzt formuliert — vor den Wählern ihres Wahlkreises den Berechtigungsnachweis für ihren Parlamentssitz zu erbringen.

Der Ruf nach Reform der Budgetdebatte kommt naturgemäß von der Mehrheitspartei, weil die Reform in erster Linie eine Verkürzung bringen soll. Daß die Opposition sich nicht vordrängen wird, eine Verkürzung zu erreichen, ist klar, weil sie sich damit einer wirksamen Kritikmöglichkeit der Regierungspolitik begeben würde.

Es muß also ein Mittelweg gefunden werden, zwischen der Möglichkeit sachlicher Auseinandersetzung mit dem Staatshaushalt — und damit zweifellos auch mit der Politik der jeweiligen Regierung — und mit einer vernünftigen Zeitdauer. Die Grenzen werden sehr schwer zu ziehen sein, stellen sich doch Fragen über Fragen. Zunächst: wo hört die sachliche Auseinandersetzung auf, inwieweit kann man jene Abgeordneten, die — wie schon gesagt — auf diese eine Gelegenheit im Jahr warten, davon abhalten, ihre „Pflichtrede“ zu halten? (Wenn man den Gedanken ganz zu Ende spinnt, kommt man schon zur Frage, wofür wohl in der parlamentarischen Praxis die Erhöhung der Abgeordnetenzahl von 165 auf 183 notwendig war.)

Wozu soll so lange über ein Budget diskutiert werden, von dem etwa 90 Prozent ohnedies gebunden sind, also Jahr für Jahr für feststehende Ausgaben heran/gezogen werden müssen? Dem kann entgegengehalten werden, daß es natürlich sehr viele Punkte gibt, die zu, erörtern sind. Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit: Familienpolitik, Heerespolitik, Agrarpolitik, Gesundheitspolitik.

Daher auch der Vorschlag des jungen SPÖ-Abgeordneten Heinz Fischer, nur sechs Tage Plenarsitzungen dem Bundesvoranschlag zu widmen. Der Plan sieht gut aus: ein Tag Auseinandersetzung mit der Budgetrede des Finanzministers, ein Tag erste Lesung und nach den Ausschußberatungen nochmals vier Tage zur Diskussion des Budgets in vier Gruppen, wo Sachgebiete zusammengeschlossen werden. Und Fischer kann sich auch darauf berufen, daß es mehrere ÖVP-Refonm-vorschläge gibt, die in die gleiche Richtung gehen.

Ob es heuer im Herbst noch zu irgendeiner Absprache zwischen den Fraktionen kommt, erscheint mehr als fraglich. Zwar hat das Dreiparteiengreimium zur Reform der Geschäftsordnung des National-und Bundesrates seine grundsätzlichen Beratungen abgeschlossen, das Ergebnis muß nun aber erst in eine beschlußfähige Form gebracht werden. Und dann darf eines nicht übersehen werden: Vor dem 21. Oktober wird es wohl kaum zu verbindlichen politischen Absprachen kommen, da jede Partei den Ausgang der Regionalwahlen in Wien und Oberösterreich abwartet. Diese Wahlen haben zwar keinen Einfluß auf die Arbeit des Nationalrates (zumindest nicht unmittelbar), aber das Ergebnis stärkt oder schwächt natürlich das politische Gewicht der Regierungspartei ganz außerordentlich. Und schließlich ist noch die Möglichkeit einer Kräfteverschiebung im Bundesrat gegeben. Hat die ÖVP dann dort die Mehrheit, so steht dauernd die Möglichkeit eines — wenn auch nur suspensiven — Vetos gegen Ge-setzesbesohlüsse des Nationalrates im Raum. Ob da noch Zeit für eine Reform der Budgetdebatte bleibt?

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