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Peter-Torpedo

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Im Parlament wird über den ORF verhandelt. Daß die eigentlichen Verhandlungsführer freilich außerhalb des Parlaments agieren, ist angesichts der Materie verständlich. Nun hat sich die FPÖ in die Diskussion eingeschaltet — mit einem teilweisen Ausscheren aus der Oppositionsfront. Abgesehen von den inhaltlichen Konsequenzen, die ein Dissens der beiden Oppositionsparteien hervorrufen könnte, ist jedoch ein formales Detail am Rande bezeichnend für die derzeitige Situation der ÖVP in diesem Spiel: nicht diese läßt nämlich die mandatsschwache und von Wahl zu Wahl an Substanz verlierende FPÖ fallen, sondern umgekehrt! Nicht die ÖVP ist es, die ein eigenständiges ORF-Konzept öffentlich vorlegt, sondern die FPÖ. Wieder einmal zeigt sich, daß in Österreich nicht die große Oppositionspartei das Gesetz des Handelns bestimmt, sondern die beiden anderen im Nationalrat vertretenen Parteien.

Der „Kurier“ stellte daher auch mit Recht trocken fest, daß der „freiheitliche Alleingang — begründet mit der ORF-Entschlußschwäche der ÖVP — am Prestige der großen Oppositionspartei nagt“.

Dabei dürfte im ÖVP-Hauptquar-tier noch niemandem gedämmert sein, daß die ÖVP wieder im Begriffe steht, in ein geschickt plaziertes Kreisky-Messer zu laufen.

Ein Indiz dafür ist der letzte SPParteitag, auf dem an puncto ORF keinerlei harte Töne zu hören waren. Insider versichern hinter vorgehaltener Hand, daß zwar sehr wohl deftige Resolutionen durch ORF-Scharfmacher Zentralsekretär Marsch in Vorbereitung gewesen wären, diese aber über Wunsch der Parteiführung „abgedreht“ wurden. Kein Wunder, wollte sich doch Kreisky nicht seine Gesprächsbasis mit der FPÖ torpedieren lassen. Und die FPÖ braucht er wieder einmal besonders dringend; sie soll ihm helfen, die ÖVP Unter Druck zu setzen oder den Eindruck einer Einparteien-

regehmig zu verwischen. „Wackel-Peter“ spielt bei diesem Spiel freudig mit; man kann es ihm nicht verdenken, er muß mittun, solange er noch kann.

Der nächste Schritt ist ebenfalls vorhersehbar: Gerd Bacher ist schon die längste Zeit gesprächsbereit, er hat den Vorwurf des „Psychoterrors“ zurückgezogen und auch Bundeskanzler Kreisky gibt sich konziliant. Der Tiger, der endlich einmal Ruhe um seinen Betrieb haben will, weiß aus Erfahrung, daß er von der ÖVP nicht allzuviel erwarten darf, er wird daher der entscheidenden Gesprächsrunde zwischen Kreisky, Peter und ihm selbst nicht ablehnend gegenüberstehen. Damit wäre auch den Interessen der unabhängigen Zeitungen Rechnung getragen und eine Mitarbeit der ÖVP verzichtbar geworden. Sie würde letztlich, vor vollendete Tatsachen gestellt, einer vor-fabriziertem Lösung zustimmen müssen. Daß sich die ÖVP bereits jetzt unter Zugzwang befindet, zeigt sich bei der Diskussion um die öffentlich-rechtliche Anstalt.

Erst nachdem auch die FPÖ diesen SPÖ-Vorschlag akzeptabel fand, beeilte sich Kohlmaier, der sich die längste Zeit gegen diese Rechtsform ausgesprochen hatte, zu versichern, daß man auch darüber reden könne. Daß eine Reihe von durchaus gewichtigen Gründen gegen eine Anstalt öffentlichen Rechts sprechen, wurde nicht stark genug akzentuiert: so z. B. die Tatsache, daß es für diese neuartige Konstruktion in Österreich keine Beispiele und daher auch keine Erfahrungen gibt. Vielleicht noch am nächsten kommt der Bundestheaterverband; es erscheint jedoch zumindest fragwürdig, diesen als nachahmenswertes Beispiel anzuführen. Erfahrungen mit öffentlich-rechtlichen Anstalten kann man jedoch in der Bundesrepublik Deutschland sammeln. Dort wird man feststellen müssen, daß sämtliche dieser Anstalten Parteien- bzw. Staatsoder landesabhängig sind — ein Zustand, den das Rundfunkvolksbegeh-ren für alle Zeiten beseitigen wollte. (In der Bundesrepublik verlangen immer mehr heute die „Entpolitisie-rung“ nach österreichischem Muster.)

Der FPÖ-Entwurf sieht für die Zusammensetzung des (den Aufsichtsrat ersetzenden) ..Kuratoriums“ noch je einen Vertreter der drei großen Kammern, des ÖGB sowie der Industriellenvereinigung vor. Inwieweit diese erneute Aufwertung der ohnehin schon stark strapazierten Sozialpartner einem echten Bedürfnis entspricht oder eine blaue Verbeugung vor den politischen Realitäten in Österreich darstellt, wird noch zu klären sein.

Die ÖVP — darüber kann kein Zweifel bestehen — agiert bereits jetzt unter Zugzwang. Sie hat die Ratschläge wohlmeinender Fachleute, noch im Sommer 1973 ein eigenes ORF-Reform-Konzept zu erarbeiten, negiert und sich stattdessen an das im Anschluß an das Rundfunkvolksbegehren beschlossene Rundfunkgesetz geklammert; unabhängig davon, daß auch ein — zugegebenermaßen — gutes und richtungweisendes Gesetz durch entsprechende Wandlungen in gesellschaftlicher, technischer usw. Sicht novel-lierungsfoedürtftig werden kann. Diese Meinung ist auch heute in Volksbegehrenskreisen akzeptiert.

Die Gefahr für die ÖVP wird bereits sichtbar: ein heraufdämmernder Konsens SPÖ-FPÖ wird erneut die ÖVP als politische Größe in den Hintergrund treten lassen. Und das ist ! das Gegenteil dessen, was man sich von einer großen Oppositionspartei erwarten muß.

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