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Das Dilettieren

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Die ORF-Scharfmacher innerhalb der SPÖ — allen voran ÖGB-Chef Benya — haben sich vorerst durchgesetzt: Mit den Stimmen der SPÖ-Fraktion beschloß der Nationalrat bekanntlich eine Fristsetzung für die Beratung der ORF-Novelle. Am 8. Juli hat der Verfassungsausschuß über den Abschluß der Verhandlungen Beridht zu erstatten. Sollten keine unvorhergesehenen Ereignisse eintreten, so wird die ORF-Novelle noch vor den Sommerferien im Nationalrat beschlossen werden und mit 1. Jänner 1975 in Kraft treten.

Die Tatsache, daß die Regierungspartei über die Ausschußberatungen eine parlamentarische Sperrstunde verhängt hatte, war zwar Anlaß für große Entrüstung in beiden Oppositionsparteien, die echte und berechtigte Empörung resultiert jedoch aus weitaus handfesteren Motiven. Obwohl die SPÖ die Fristsetzung beschloß, verfügt sie über keinen ausgereiften Entwurf zur ORF-Reform. Dazu kommt noch, daß die SPÖ noch knapp Vor Beschlußfassung über die „ORF-Fristenlösung“ ein unausge-gorenes Programm vorlegte, das — entgegen der Regierungsvorlage — die Rechtsform der Anstalt öffentlichen Rechts vorsieht (Josef La-sdhober in den Oberösteireichischen Nachrichten: „...entscheidende Formulierungen zu den Organen fehlen; ein dilettantisches Vorhaben, das den Verdacht erregt, daß ein Chaos in den Vorstellungen herrscht.“).

Die kniffligen Fragen sind also —

trotz Fristsetzung — immer noch offen. Das sollte normalerweise in der Öffentlichkeit einen eher schlechten Eindruck machen; doch kann sich die SPÖ darauf verlassen, daß die derzeit in Österreich herrschende Wahlkampfstimmung von parlamentarischen Angelegenheiten, wie etwa der sogenannten ORF-Reform, hinreichend ablenkt.

Immerhin verdichtet sich der Anschein, daß die SPÖ in erster Linie an einer Einigung mit der FPÖ interessiert zu sein scheint. Dies zeigt die Favorisierung der öffentlich-rechtlichen Anstalt. Über die Skurri-lität dieser Konstruktion, die für Österreich ein juristisches Novum darstellen würde, haben wir bereits berichtet (siehe auch FURCHE Nr. 17 1974). Insbesondere die starke Regierungsabhängigkeit (der ORF als ein Teil der staatlichen Verwaltung, Rechtsaufsicht der Bundesregierung, Finanzierung in Form von Bundeszuschüssen) sowie die Eliminierung des föderativen Elements der Länderbeteiligung stehen in krassem Widerspruch zum Volksbegehren, dessen Ziel ein unabhängiger Rundfunk war.

Die im ursprünglichen SP-Entwurf enthaltene Wahl des Generalintendanten durch die Gesellschafterversammlung mit Zweidrittelmehrheit ist inzwischen sanft entschlafen und wurde durch einen neuen Vorschlag ersetzt. Da eine öffentlich-rechtliche Anstalt ja keinen Aufsich'tsrät braucht (dieser wählt nach dem gel-

tendem Gesetz den Generalintendanten mit einfacher Mehrheit) soll ein Kuratorium geschaffen werden. Dieses Kuratorium sollte — einem FPÖ-Vorschlag zufolge — auch mit Vertretern der Sozialpartner besetzt werden. Von diesem Vorschlag ist man mittlerweile aber auch wieder abgekommen und nunmehr wird betont, daß diesem Gremium weder aktive Politiker noch Vertreter der Sozialpartner angehören sollen, sondern daß die Mehrzahl der Vertreter dem Richterstand entnommen werden soll (wobei selbstverständlich die Parteien „ihre“ Richter nominieren können). Angesichts der Besetzungsmodalitäten etwa des Verfassungsgerichtshofes, wo das Nachfolgespiel regelmäßig zu einem Poli-tikum ausartet, darf bezüglich der Besetzung dieses Kuratoriums bereits jetzt das Schlimmste befürchtet werden.

Auch hat die SPÖ für den Fall, daß — infolge mangelnder Bereitschaft einer der beiden großen Parteien zu einem politischen Kuhhandel — die Zweidrittelmehrheit nicht gegeben ist, vorgesorgt: In diesem Fall kann nämlich — einem SP-Vorschlag zufolge — der Generalintendant auch, mit einfacher Mehrheit, allerdings nur für vier Monate, bestellt werden; was nach Ablauf dieser vier Monate zu geschehen hat, bleibt dunkel — vielleicht eine weitere Verlängerung um vier Monate, mit einem prolongierten Provisorium? Daß Provisorien in

Österreich die Tendenz zur Versteinerung haben, dürfte hinlänglich bekannt sein. Jedenfalls stellt auch dieser SP-Vorschlag eine Geste in Richtung FPÖ dar, denn SP und FP könnten auf alle Fälle einen interimistischen Generalintendanten gegen den Willen der großen Oppositionspartei durchdrücken. Bezeichnend für die Konfusion ist jedoch die Tatsache, daß über Zusammensetzung, Bestellung, Anzahl der Mitglieder dieses Kuratoriums seitens der SP (die immerhin die Fristsetzung beschlossen hat) keine konkreten Angaben gemacht werden. Die Regierungsvorlage wurde fallengelassen, während die unmittelbar nach dem 8. Juli zu beschließende ORF-Novelle derzeit in wesentlichen Teilen noch nicht existent ist.

Auch ein anderer Punkt der Regierungsvorlage scheint derzeit in Vergessenheit zu geraten, weil auch in der Frage der zwei Programmchefs für das Fernsehen sich die SPÖ freiheitlichen Wünschen unterordnen dürfte. Der FPÖ schwebt nur ein TV-Intendant vor, dem jedoch ztüet Programmleiter unterstellt sind. Die ÖVP hatte bereits bei Bekanntwerden des Vorschlags auf Einsetzung von zwei selbständigen Pro-

grammintendanten zwecks Schaffung von zwei Kontrastfernsehprogrammen diesen abgelehnt und als Rückfall in die Zeit des Proporzrund-funks bezeichnet.

Es ist schade, daß infolge der Wahlkampfstimmung das Dilettieren an der „ORF-Reform“ weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindet. ,

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