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„Grundlage für Kuhhändel“

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„Wenn dem Kanzler das Rundfunkgesetz nicht gefällt, dann wird er es mit seiner Mehrheit im Parlament ändern; allerdings nicht nach sachlichen, sondern nach ' rein parteipolitischen Gesichtspunkten“, so Generalintendant Bacher vor einem halben Jahr in einem Interview.

In der Zwischenzeit ist die „Causa ORF“ aus dem Bereich des Schattenboxens zur politischen Realität geworden. Es ist den Sozialisten Ernst. Der blinde Eifer gegen jedwede nichtsozialistische Berichterstattung, der sich zuletzt in einer Haßtirade. des - - .burgenländischen Landeshauptmannes Kery gegen die unabhängige Presse manifestierte, verlangt ja konsequenterweise in erster Linie eine Abreibung für den ORF und seinen Generalintendanten. Man kann annehmen, daß Kreisky über diese Entwicklung nicht sehr glücklich ist, er steht jedoch unter Druck seiner zahlreichen Parteigenossen. Insbesondere hat der ÖGB-Präsident Benya unmißverständlich seine Härte deponiert.

Wie dem auch immer sei: mit einer Inseratenwelle („Die Wahrheit über die Rundfunkreform“) eröffnete die SPÖ letzte Woche die Herbstrunde in Sachen ORF, gleichzeitig wurde der Kreisky-Entwurf über ein neues Rundfunkgesetz ausgesendet. Der Entwurf, so die Meinung mancher Beobachter, sei nicht „so radikal wie die ursprünglichen Pläne, aber doch brisant genug“.

So wird der Forderung nach verfassungsrechtlicher Verankerung der Unabhängigkeit des ORF (unter anderem eine alte ÖVP-Forderung) zwar Rechnung getragen, gleichzeitig jedoch „vergessen“, Sanktionen für Verletzungen dieses Grundsatzes legistisoh zu formulieren. Die gesetzliche Verankerung des Redakteurstatutes dürfte bei niemandem auf Schwierigkeiten stoßen, immerhin ist das Redakteurstatut des ORF bereits seit geraumer Zeit in Kraft und die gesetzliche Verankerung nur eine Formsache.

Der SPÖ-Slogan von der „Entpoli-tisierung“ ist jedoch eine glatte Frotzelei.

Der Aufsichtsrat des ORF, der derzeit mit einfacher Mehrheit über alle wichtigen Personalfragen entscheidet (insbesondere auch die Wahl des Generalintendanten durchfuhrt) sowie über Werbetarife und das Programmentgelt entscheidet, wird seiner wichtigsten Funktion entkleidet und gleichzeitig in seiner Zusammensetzung geändert.

Bisher besteht der Aufsichtsrat aus sechs Parteienvertretern des Bundes, neun Ländervertretern, fünf Virilisten (Vertreter von Kirchen, Wissenschaft, Kunst, Volksbildung und Sport) sowie zwei Betriebsräten; in Hinkunft sollen es, laut Entwurf, neun Vertreter des Bundes sein (darunter die um einen Jugendvertreter vermehrten Virilisten), neun Ländervertreter, je ein Vertreter der

Sozialpartner (also vier) sowie elf Betriebsräte, die ein Drittel der Auf-siöhtsräte stellen würden. Ob es sich hier um einen weiteren Vorgriff auf ein im Nationalrat zu beschließendes Mitbestimmungsmodell. handelt oder nicht, soll hier nicht diskutiert werden, da der Aufsichtsrat nach den Wünschen des Entwurfes ohnehin nicht mehr viel zu plaudern haben wird.

Die wesentlichen Kompetenzen werden nämlich im Entwurf . der Gesellschafterversammlung übertragen; und in dieser ist von Entpoliti-sierung wenig zu bemerken, vielmehr werden alte Koalitionsgeister beschworen: rund 41 Prozent Bund, je 5 Prozent Sozialpartner (= 20 Prozent) und rund 39 Prozent Bundesländer.

Es ist zu vermerken, daß die Gesellschafterversammlung überdies Entscheidungen des Aufsichtsrates dahingehend suspendieren kann, daß sie ein „Gutachten“ der Sozialpartner, sprich: der Paritätischen Kommission, einholen kann.

Feiert der Proporz solcherart fröhliche Urständ, so wird es beim vorgeschlagenen Bestellungsmodus für den Generalintendanten, die Direktoren, Programm- und Landesintendanten grotesk: diese sind nämlich von der Gesellschafterversammlung mit Dreiviertelmehrheit zu wählen. Hier soll offensichtlich die gesetzliche Grundlage für Kuhhändel par excellence geliefert werden. Die ORF-Verantwortlichen als Handelsobjekte der politischen Parteien und Interessenvertretungen, Werbetarife und ORF-Gebühren als Spielball tagespolitischer Überlegungen: das hat mit den Gedanken des Rundfunkvolksbegehrens nichts mehr gemein und ist vor 1966/67 alles schon dagewesen. Und Dreiviertelmehrheit: die braucht man nicht einmal, um einen Bundespräsidenten abzuwählen!

Die weiteren Punkte des Kreisky-Entwurfs müssen im Lichte des soeben behandelten Kernstücks zwar verblassen, sind aber dennoch einer kurzen Betrachtung wert:

• Da der ORF derzeit den Berichtigungsbestimmungen des österreichischen Preßgesetzes nicht unterliegt, wurde vom ORF selbst (laut Bacher „als der ersten Rundfunkanstalt der Welt“) ein Berichtigungsstatut erlassen, wobei sogar der Oberste Gerichtshof dem ORF attestierte, „daß es sich hiebei um einen einklagbaren Anspruch“ (Bacher) handle. Solcherart erscheint die im Entwurf vorgesehene Beschwerdekommission nicht unbedingt als Novum, wenn auch der Besehwerdemodus (500 Radio- oder Fernsehteilnehmer können die Kommission anrufen) bereits reformbedürftig erscheint, insbesondere, weil der Rechtszug zum Verwaltungsgerichtshof fehlt.

• An der vielzitierten Richtlinienkompetenz des Generalintendanten dürfte sich nicht viel ändern, hier wird vielmehr eine schwammige Formulierung durch eine andere ersetzt. Weil sich zunächst zwei Intendanten um jedes Kamerateam und jede Sekretärin streiten werden, kann er glänzend als Schiedsrichter operieren.

• Derzeit gibt es ja bekanntlich je einen Hörfunk- und einen Fernsehdirektor; in Hinkunft soll das Fernsehen zwei Programmohefs erhalten. Dieser Vorschlag ist kein Grund zur Aufregung, es ergeben sich jedoch zwei offene Fragen: erstens, warum weiterhin nur ein Hörfunkintendant? Wenn schon mit der „Meinungsvielfalt“ (?) argumentiert wird, dann sollte diese doch wohl auch für den Hörfunk gelten! Es drängt sich hier der Verdacht auf, daß die „Meinungsvielfalt“ im publikumswirksameren Fernsehen den Sozialisten

offenbar wichtiger ist als im heute weniger bedeutenden Hörfunk; die zweite Frage bezieht sich auf die Kostenexplosion, die ein zweiter TV-Chef plus Apparat auslösen würde. Ob uns ein zweites, getrenntes TV-Programm jährlich mehr als 200 Millionen Schilling (so ORF-Berechnungen) wert ist, sollte sorgfältig diskutiert werden.

Alles in allem ist der Entwurf ein Konglomerat aus Zuckerbrot und Peitsche; ein heterogenes Produkt aus bereits Verwirklichtem oder Gefordertem und aus radikalen Reformen.

Fritz Csoklich formuliert es für alle Initiatoren des Volksbegehrens: „Die geforderten Änderungen rühren überhaupt nicht an wirklich reformbedürftigen Strukturen im ORF, sie widersprechen aber eindeutig dem Geist des Volksbegehrens.“

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