6807893-1972_18_04.jpg
Digital In Arbeit

„Spuren auf Skipisten“

Werbung
Werbung
Werbung

Geradezu historisches Verdienst erwarb sich ÖVP-Generalsekretär Dr. Kohlmaier kürzlich, als er über den parteieigenen Pressedienst eine Meldung mit folgendem Titel „ÖVP über ORF-Berichterstattung befremdet“ losjagen ließ. Äußerst befremdet“ sei die Volkspartei über die Berichterstattung zum SPÖ-Parteitag gewesen, polterte der ÖVP-„Ge-neral“ und artikulierte damit etwas, was Funktionäre, Mitarbeiter und Mitglieder schon seit Jahren im stillen mit knirschenden Zähnen registrierten.

Das Aufbrausen des ÖVP-Ge-neralsekretäris dürfte nunmehr eine Umstellung der Taktik der Volkspartei gegenüber dem ORF und Bacher darstellen. Einer Taktik, die in ihrer schier unverständlichen Verkehrtheit nicht nur den Grimm vieler Kohl-maier-Parteifreunde hervorgerufen, sondern selbst 'maßgeblich zum Verruf des „Bacher-Funks'' im allgemeinen beigetragen hat. Der Vorwurf Kohlmaiers an den ORF, die Berichterstattung über die Parteitagsrede Kreiskys erwecke den Eindruck, als wäre es der SPÖ durch ihre konstanten Angriffe unid Drohungen bereits gelungen, die unabhängige Berichterstattung zugunsten der SPÖ bereits zu durchlöchern, enthält unausgesprochen das schlechte Gewissen seiner Partei in Sachen ORF.

Bis zu Kohlmaiers Attacke v/ar die Haltung der ÖVP zum ORF trotz aller Vielschichtigkeit eindeutig: Nicht zuletzt im „ehrenden Gedenken“ an die großartige Tat, das seinerzeitige Rundfunk-Volksbegehren rechtzeitig als auch parteitaktisch nützliche Angelegenheit erkannt und entsprechend reagiert zu haben. Dazu kommt, daß die ÖVP, wie auch auf anderen Gebieten im Sinne ihrer „staatstragenden Funktion“, ihrer über den Zeitpunkt des 1. März 1970 hinausreichenden stillen Regierungsmitverantwor-tunig sich auch jetzt noch in sehr hohem Maße für die Führung des ORF verantwortlich fühlt. Schließlich erfolgte die Bestellung des ORF-„Tigers“ Bacher noch unter Withalm, und Bacher war es auch, der mit Altkanzler Klaus gemeinsam viele Spuren auf Österreichs Skipisten zog. So etwas verbindet mehr, als man angesichts der Grabesruhe um den ersten ÖVP-Alleinkanzler vermuten würde.

Und das, obwohl die Meinung innerhalb der ÖVP auf unterer Ebene mindestens ebenso geteilt ist wie in der Sozialistischen Partei einhellig.

Aber historische Bindungen, persönliche Gefühle und manches andere bei der ÖVP haben dazu geführt, daß die notwendige Kritik am ORF zu einer ausschließlichen Angelegenheit Kreiskys und seiner Partei geworden ict. Während des ÖVP-Parteivolk murrte, aber von oben zurückgehalten wurde — schössen Be-zirksresolutionen bei der SPÖ wie Pilze aus dem Boden und gaben

Kreisky für den Parteitag die Aktualität. Während ORF-Journalisten, die es gut mit der ÖVP meinen, verzweifelt die Hände ringen, wenn sich wieder einmal die Volkspartei im Parlament oder in Pressekonferenzen mit viel Pathos vor den von links atackier-ten Rundfunk stellt, wurde die parteiinterne Kritik am ORF mit manchmal geradezu brutaler Gewalt abgewürgt. Anstatt berechtigter Kritik-Pfeile in die Argentinierstraße zu richten, womit der ORF erst seine Objektivität hätte beweisen können („Schau her, ich kriag von Schleinzer und Kreisky gleich viele Hiebe'“), wurden in jüngster Zeit auf Knopfdruck bereits fertige Manuskripte aus den Setzereien von ÖVP-Verlagen herausreklamiert.

Als sich die Bundeskammer gegen Kreiskys Argumentation in der Paritätischen Kommission anläßlich der Zuckerfrage zur Wehr setzte und der Bundeskammer-pressechef so nebenbei in einer Belangsend'unig gegen „Kurier“-Chefredakteur und ORF-Kommentator Portisch stellte, warf der ORF die Sendung einfach in den Papierkorb. Wer jedoch ge glaubt hätte, daß die Bundeswirt-schaftskammer emstlich (man be denke, zum erstenmal läßt der ORF eine Belartgsendung nicht zu!) protestiert hätte, irrt.

Doch sei's drum. Die ÖVP hat nunmehr gezeigt, daß sie die Kritik am ORF zu ihren Oppositions-Aufgaben zählen will Es wird abzuwarten sein, wie sie sich weiter verhalt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung