Ein Fall für die Demokratie

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Die derzeitige Diskussion um den ORF ist auch ein Testfall für die Demokratie im Land.

Glasnost, das geflügelte Wort "Offenheit" aus den letzten Tagen der Sowjetunion, kehrt nun auch auf dem Küniglberg ein: War letzte Woche "auf Wunsch" von ORF-Generaldirektorin Monika Lindner noch ein Beitrag des 3sat-Magazins Kulturzeit über die Initiative sos-orf verschoben worden, so rückte am Montag ein ORF-Team aus, um über die Präsentation des ORF-kritischen Sammelbandes "Der Auftrag" (vgl. rechts), welchen die von ORF-Mitarbeitern ins Leben gerufene Denkinitiative "FreiRaum" ( www.derfreiraum.net) herausgibt, in der ZIB 3 zu berichten. Auch der Kulturzeit-Beitrag soll nun - am Freitag - gesendet werden.

Die Dynamik, in welche die ORF-Diskussion geriet, lässt sich mit "Vorwahlgeplänkel" auf dem Küniglberg nicht erklären: ZIB 2-Moderator Armin Wolf hatte Ende Mai mit seiner Rede zum Robert-Hochner-Preis ein Ventil aus dem ORf heraus geöffnet: politische Pression, die eiserne Hand von Chefredakteur Werner Mück, inferiore journalistische Arbeitsbedingungen - all das war hinter vorgehaltener Hand längst geäußert worden.

Wolfs Befreiungsschlag rief die ZIB-Redakteure auf den Plan - letzten Montag auch die Magazin-und Talkshow-Macher: "Die im ORf-Gesetz vorgeschriebene Unabhängigkeit wird von der ORf-Geschäftsführung gegen Parteien-und Regierungseinfluss zu wenig verteidigt", heißt es in der Resolution der Magazinjournalisten.

Die Bewegung kann sich sehen lassen: ORF-Haudegen wie Peter Huemer und Paul Schulmeister, aber auch Fritz Csoklich, ein Rundfunk-Volksbegehrer von 1964, initiierten die Internetplattform SOS-ORF, die bei Furche-Redaktionsschluss 61.433 Unterzeichner zählte. Der ORF-Stiftungsrat legte am 13. Juni eine Sondersitzung ein, Generaldirektorin Lindner kündigte einen Runden Tisch und ein Überarbeiten des Sendeschemas an.

Das Buch "Der Aufbruch", das schon vor Monaten konzipiert worden war, erschiengenau in die aktuelle Auseinandersetzung hinein. Bei der Buchvorstellung äußerten die Präsentatoren, dass es beim Kampf um den ORf darum geht, die Anstalt als öffentlichen Diskursraum zu erhalten (oder wieder zu positionieren). Das heißt, es geht hier auch um die Demokratie im Lande, denn die hat Räume der Auseinandersetzung bitter nötig.

Offenheit allein wird zur Rettung des orf aber nicht genügen: Glasnost bedingt auch Perestrojka - den Umbau des Systems. Wie man vom Ende der Sowjetunion weiß, implodiert dieses, findet letzterer nicht statt.

Die Antwort ist: mehr Qualität! oder: Das Motto "Lindner weg, Mück weg!" löst das ORF-Problem nicht. Aber dass es ein Problem gibt, belegt ein neues Buch eindrucksvoll. von hubert feichtlbauer

ORF-Schelte war vielen Österreichern immer lustig - auch schon zu einer Zeit, als die meisten stolz auf ihren nationalen Rundfunk waren. Als daher jüngst namhafte ORF-Stimmen in den Chor der Kritiker einfielen, schwoll die Zahl der Unterzeichner einer Protestresolution gegen Verparteipolitisierung und Quotenjagd rasch auf 60.000 an. Manchen freilich war dieser Schlachtruf wahlzeitverdächtig, die Wunschliste zu holzschnittartig komponiert.

Man wartete auf ein angekündigtes Buch, Titel: "Der Auftrag". Jetzt ist es da - und überzeugt. Nun weiß man: Die Parole "Lindner weg, Mück weg - und das ORF-Paradies bricht aus!" löst das Problem nicht. Denn es ist groß.

Machtanspruch ungeniert?

Natürlich schließt dieses Problem parteipolitische Gängelungsversuche ein. "Noch nie in der Geschichte der Zweiten Republik wurde der medienpolitische Machtanspruch so ungeniert artikuliert wie unter der ,Wenderegierung'," befindet der ehemalige ÖVP-Parlamentarier Heinrich Neisser - fast das härteste Urteil darüber im ganzen Buch. Aber das auch von Johanna Dohnal praktizierte Minutenzählen führt zu keinem schlüssigen Beweis. Die BAWAG-und ÖGB-Minuten in der ZIB dürften der SPÖ nicht wirklich geholfen haben. Konkreter sind da jene, die nicht gesendete Fertigprodukte aufzählen: "Artikel 7 - Unser Recht" und Natalie Borgers Krone-Doku, "Operation Spring" oder die Ausstrahlung von Dorfers DonnersTalk zur Wiener Wahl erst nach dem Wahltag: Das fanden viele feig.

Dass "das offizielle Organ des Staates" (© Doron Rabinovici) die Regierung in Infosendungen nicht zu kurz kommen lässt, ist freilich in allen öffentlich-rechtlichen Sendern so. Immer. Auch der Bayerische Rundfunk "ist ein Parteien-und Regierungssender" (S. 44), dem aber viele auch hierzulande Qualitätsniveau zubilligen. Damit wäre man beim Kernanliegen der weitaus meisten ORF-Kritiker angelangt: Nicht, weil Schüssel täglich aus den ORF-Nachrichten heraushängt (was er nicht tut), sinkt die Zuseherquote bei der Zeit im Bild, sondern weil deren Boulevardisierung vielen schon beim Hals heraushängt. Die scheinbare Gleichwertung von Politikerbespitzelungen, Erdbeben, Kindesmörderinnen, Gipfeltreffen und Braunbärfährten nervt. "Inszenierungen der Belanglosigkeit", konstatiert Joachim Riedl. "Nichts [...] wird hochgejubelt, nichts niedergemacht. Nichts erregt Neugierde, nichts provoziert Erregung."

Mehr europäische Vernetzung wünscht sich nicht nur Erhard Busek, eine "Qualität, die das Publikum überzeugt und die die Kommerzsender nicht bieten (können und wollen)," nicht nur Paul Schulmeister. "Verführung zu Qualität" statt Abspeisung mit Banalität mahnt Alfred Payrleitner ein, der gleichzeitig auch vor "abgestandenem kulturellen Hochmut" mahnt: "Fernsehen braucht auch das Spektakel."

Aber "dreimal wöchentlich Millionenshow" und dergleichen "machen aus Österreich einen einzigen ,Alpinstadl'" (Trautl Brandstaller). Für ein Fernsehen als "öffentlichen Raum für gesellschaftlichen Diskurs, Schule der Demokratie, Medium der Bürgergesellschaft" plädiert Rudolf Mitlöhner.

Nicht wenige der 58 Autoren dieses von der Medienplattform "der FreiRaum" herausgegebenen Buches erinnern sich mit Wehmut alter Sendungsformate wie Club 2, Stadtgespräche und Café Central oder finden kreuz + quer besser als Offen gesagt. Dass die Zuseher wieder wissen, ob sie "in einer Wissens-oder einer Meinungswelt leben", wünscht sich Manfred Jochum, denn das Fehlen des Unterschieds "öffnet eine Nische für neue Dummheit".

Keine Nische für Dummheit

Qualität also müsste die Antwort der Öffentlich-Rechtlichen auf nationale und internationale Konkurrenz in Information und Unterhaltung sein. Auch niveauvolle Unterhaltung lässt sich verkaufen. Was Niveau ist, definiert Peter Huemer: Konzentration, auch intellektuelle Anstrengung, allenfalls auch eine gewisse Vorbildung verlangende Sendungsformate, die die Mühe mit Wissens-und Informationsgewinn lohnen. Huemer ist nicht der Einzige, der auch einen Blick in die heute oft "gnadenlosen Abgründe der Seitenblicke" tut.

Zwei Autorinnen mahnen die Förderung freiwilliger Teilnahme an Politik bei jungen Menschen durch neue TV-Formate ein. Vom Hörfunk ist in diesem Buch wenig die Rede, außer dass nahezu alle Ö1 loben. Alexander Giese reklamiert ein neues Konzept für Ö3, Armin Thurnher gleich eine "völlige Neugründung des ORF."

Die teilweise widersprüchliche Vielzahl der Reformwünsche macht klar, dass unmöglich alle erfüllt werden können. Der Wunsch nach mehr Qualität zieht sich aber als roter Faden durch alle 215 Seiten dieses Buches, das als Nachdenkauftrag niemanden unberührt lassen kann, der sich für "öffentlichen Rundfunk" (so laut Otto Friedrich die bessere Bezeichnung) mit verantwortlich fühlt. Konkrete Reformalternativen finden sich kaum, was beweist, wie schwer eine Umsetzung sein muss.

Folge von Gesetzessabotage

Unverzichtbar ist nun ein Generalkonzept zur Qualitätsverbesserung; hier kommt nun, nach Klärung des Grundsachverhalts, die Zusammensetzung der Führungsgremien des ORF wieder ins Spiel. Natürlich muss man sich fragen, ob die Spitzenpositionen optimal besetzt sind und wie sie effizient zu besetzen wären, auch wenn der Kommunikationswissenschafter Wolfgang Langenbucher von den Rundfunkhierarchien keine brauchbaren Zukunftsperspektiven erwartet, wohl aber von Journalist/inn/en, Programmmachern, Dramaturgen und Stiftungsrat.

Wenn der einstige ÖVP-und spätere ORF-Generalsekretär Heribert Steinbauer für eine ORF-Führung plädiert, "hinter der ein großer politischer oder gar ein intellektueller Konsens steht," sollte man das sehr ernst nehmen. Fest steht nur eins: Um das Qualitätsziel zu erreichen, müsste kein Buchstabe des ORF-Gesetzes geändert werden. Was bisher schiefging, war Folge von Gesetzessabotage.

Der Auftrag

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk

Positionen - Perspektiven - Plädoyers

Hg. Medienplattform derFreiRaum

Sonderzahl Verlag, Wien 2006

215 Seiten, brosch., e 16,-

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