Reformieren, nicht filetieren

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Der ORF hat Reformbedarf. Damit ist aber etwas anderes gemeint, als ihn (teilweise) zu privatisieren.

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Der ORF hat Reformbedarf. Damit ist aber etwas anderes gemeint, als ihn (teilweise) zu privatisieren.

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Heute ist der Tag zwei nach ,Taxi Orange'." So begann der Innsbrucker Theologe Wolfgang Palaver seinen Vortrag beim Symposium "Medien - Utopien - Religion"*) in Wien. Das Bonmot des Vortragenden ist eines der vielen Indizien dafür, wie sehr eine Fernseh-Inszenierung das Land in Atem hält.

Ob man wollte oder nicht: Vor "Taxi Orange - TXO" gab es kein Entkommen - weder in den Medien, noch in den Gesprächen landauf, landab, beim jugendlichen Zielpublikum schon gar nicht. Was die deutschen Nachbarn schon anlässlich von "Big Brother" vor einigen Monaten erlebten, wiederholte sich in Österreich: Bis in die Kulturseiten und -sendungen der Medien drang TXO vor, und jeder intellektuelle Diskurs im Lande wurde mit Meinungen zum TV-Ereignis Nummer eins gewürzt - und sei es damit, dass Verfall und Banalisierung der Kultur beklagt wurden.

Die zusätzliche Dimension, welche die österreichische von der analogen bundesdeutschen Debatte unterscheidet, hängt damit zusammen, dass "Taxi Orange" ein Produkt des öffentlich-rechtlichen Senders ORF ist: Anhand von TXO ließe sich, so eine der Diskussionslinien, trefflich zeigen, wie sehr sich die heimische Anstalt vom öffentlich-rechtlichen Auftrag entfernt habe. In den Aufsichtsgremien des ORF, so wird kolportiert, sei es diesbezüglich heiß hergegangen, und manch politischer Lobbyist nahm das Ganze zum Anlass, um alles Mögliche in Bezug auf den ORF (darunter auch dessen (Teil-) Privatisierung) zu fordern.

Die zitierte Diskussion wird nicht ohne Heuchelei geführt. Denn Banalisierung vollzieht sich im ORF-Fernsehen seit Jahr und Tag, "Taxi Orange" war lediglich die - quotenmäßig und vermutlich auch wirtschaftlich - erfolgreiche Kulmination einer Entwicklung. Was aber ist an mittlerweile altbekannten Sendeformaten wie "Vera" substanziell besser als an "Taxi Orange"?

Außerdem ist der Vorwurf, der ORF verrate den öffentlich-rechtlichen Auftrag, schon alt. Ähnliche Töne wie rund um TXO waren in den siebziger Jahren bei Dietmar Schönherrs und Vivi Bachs TV-Show "Wünsch dir was" zu hören. Ein paar Jahre später machte Nina Hagen mit einer Masturbationsgeste eine "Club-2"-Diskussion zum Skandal. (Wer ahnte damals, was sich heute in den Privat-TV-Talkshows alles abspielt?) Die Beispiele könnten lang fortgesetzt werden.

Schließlich wäre den Argumenten hinzuzufügen, dass der ORF nicht im luftleeren Raum agiert, sondern sich in einer Zeitgeist-Gesellschaft bewegt, in der "Big Brother" nicht die Orwellsche Horrorprophetie des "Großen Bruders", sondern zum Spiel geworden ist, das Legionen von Zuschauern fesselt und auch im Leben abseits des TV-Schirms bewegt.

All das bedeutet keineswegs, dass der ORF in seiner Programmgestaltung und -philosophie nicht auch energisch zu kritisieren ist. Es geht dabei allerdings weniger um die Frage, ob der ORF "Taxi Orange" oder "Vera" oder anderes, quotenträchtiges, aber kommerznahes Programm anbietet, sondern ob er daneben auch das Qualitätsprogramm ausstrahlt, das die Mitfinanzierung durch Gebühren rechtfertigt. Dieses - nach wie vor wichtige finanzielle Standbein - kann sich aktuell aber nur so definieren: Der ORF hebt deswegen Gebühren ein, weil er auch Sendungen anzubieten hat, die nicht eine lukrativ hohe Einschaltquote garantieren können.

Von daher ist die Erfüllung dieses Auftrags, der unscharf als "öffentlich-rechtlicher" bezeichnet wird, kritisch zu beleuchten. Der ORF, der seine kommerzielle Position in der Medienlandschaft geschickt verteidigt und ausgebaut hat, kann diese letzlich nur dann halten, wenn er diesen "öffentlich-rechtlichen" Verpflichtungen ausdrücklich nachkommt.

TV-Hinterbänke Erst vor wenigen Wochen hat der heimische Sender begonnen, seine beiden TV-Programme verschieden zu positionieren. Sehr verkürzt, aber nicht falsch ausgedrückt stellt sich das so dar: ORF 1 ist das Programm für die coolen Jungen, ORF 2 soll die heimatverbundenen Alten bedienen. Auf diese Weise lässt sich Qualitätsfernsehen beispielsweise leicht aus dem Hauptabendprogramm verdrängen: Die Zielgruppe 1 wird dort mit der "Millionenshow" und "Taxi Orange" bedient, die Zielgruppe 2 darf sich auf dem anderen Kanal bei Volksmusik a la Hansi Hinterseer ergötzen und so weiter.

Anspruchsvolleres kann es nach dieser Programmlogik nur spätnachts oder um die Sonntagmittagszeit geben. Die an diesen Sendeplätzen ausgestrahlten Programme haben schlechte Quoten, was wiederum als Argument dienen dürfte, sie nicht besser zu platzieren: So entsteht ein Perpetuum mobile zur Verbannung von Qualitätsfernsehen auf die "Hinterbänke" des Programms.

Das Durchbrechen der skizzierten Programmlogik wäre eine der dringlichsten Aufgaben einer ORF-Reform - neben der ebenso notwendigen Ausschaltung des Einflusses politischer Parteien auf die Berichterstattung. Es geht weniger darum, den Kommerz aus dem ORF zu verbannen, wiewohl eine Durchforstung seines TV-Programms in Hinblick auf versteckte Werbung auch anzugehen wäre. Solange aber ein kritischer Zeitgenosse eine ORF-Programmvorschau erst bei den Sendungen nach 22 Uhr 30 zu lesen beginnt, ist noch viel zu tun. (Immerhin scheint einiges in Bewegung zu geraten: So wurde die Ausstrahlung der Dokumentationsreihe "Holokaust" kurzfristig auf 21 Uhr vorverlegt.)

Forderungen wie: "Qualität, nicht nur Quote", bedingen aber, dass dem ORF eine solide Basis zu bieten ist, um das Geld zu verdienen, das er in niveauvolles Programm stecken kann. Gerade aus dem "Qualitäts"-Blickwinkel heraus wäre eine (teilweise) Privatisierung des ORF, wie sie in den letzten Wochen ins Spiel gebracht wurde, fatal: Eine Reform des ORF ist nötig. Eine Filetierung der heimischen Anstalt würde dieser nicht zuletzt den wirtschaftlichen Boden entziehen.

Außerdem hat sich bereits Hans Dichand als Kaufinte-ressent für ein privates ORF 1 ins Spiel gebracht: Dass gerade der Herr der "Kronen Zeitung" einen ORF-Kanal in die Hände bekommt, kann ja niemand, der an Medienvielfalt und Qualitäts-TV in Österreich interessiert ist, ernsthaft wollen.

*) siehe auch Seite 23 dieser furche.

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