ORF-Pläne: Kultur oder BLOSS CLUSTER?

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Das Wiener Funkhaus soll aufgegeben werden, den Kultursender Ö1 sehen viele in Gefahr. Derweil wertet die Rundfunkanstalt seinen TV-Kulturkanal ORF III auf.

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Das Wiener Funkhaus soll aufgegeben werden, den Kultursender Ö1 sehen viele in Gefahr. Derweil wertet die Rundfunkanstalt seinen TV-Kulturkanal ORF III auf.

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Erhalten wir uns doch die Kleinode, die in der heimischen Kultur auf dem Mediensektor noch geblieben sind": Dieser leidenschaftliche Appell von Karl Markovics machte die Eröffnung der Diagonale vorige Woche in Graz zu mehr als bloß einem festlichen Auftakt eines Filmfestivals. Der Schauspieler und Regisseur nämlich sprach damit ein hochbrisantes Thema an, das vordergründig nichts mit Film zu tun hat, sondern mit dem Rundfunk - konkret: die geplante Absiedlung des Kultursenders Ö1 aus dem traditionsreichen Wiener Funkhaus ins ORF-Zentrum am Küniglberg.

Lautstarker Protest

Markovics ist beileibe nicht der erste Kulturschaffende, der sich in dieser Causa zu Wort meldet. Seit die ORF-Spitze angekündigt hat, die Wiener Standorte des Senders im ORF-Zentrum in Hietzing zusammenzuführen, rumort es in der Kulturszene. Mittlerweile hat auch der Stiftungsrat dem Vorhaben zugestimmt, dass Ö1, FM4 und das Landesstudio Wien aus dem Funkhaus bzw. Ö3, ORF-Online und Teletext aus ihrem Sitz in Heiligenstadt ausziehen und auf den Küniglberg übersiedeln müssen. Laut ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz biete der gemeinsame Standort die "besten Voraussetzungen" für die ORF-Radio-,- Fernseh- und -Online-Angebote im Digitalzeitalter. Kernpunkt der zugrundeliegenden Strategie ist es, alle Information in einem gemeinsamen multimedialen Newsroom zusammenzuführen, in dem dann Themen-"Cluster" - etwa Kultur, Wissenschaft und Religion - alle ORF-TV-und Radioprogramme sowie den Onlineauftritt bespielen.

Dagegen regt sich lautstark Protest. "Durch die Zusammenlegung

der Standorte wäre die Programmvielfalt innerhalb des ORF in Gefahr, sein öffentlich-rechtlicher Auftrag in Frage gestellt", heißt es in einem Manifest, das von zahlreichen Kulturschaffenden - von Nikolaus Harnoncourt bis Elfriede Jelinek, von den Wiener Philharmonikern bis Ursula Strauss - unterzeichnet wurde. Für Ö1, ebenso wie für FM4, sei - anders als bei rein kommerziellen Radios - der Ort, an dem Radio gemacht wird, ausschlaggebend für die Art, wie Radio gemacht wird. Das Funkhaus mitten in der Stadt sei "ein Brennpunkt für engagierten Journalismus und eine kritische Öffentlichkeit". Aufgrund rein kaufmännischer Interessen drohe "Einheitsbrei" statt eigenständigen Senderprofilen: "Wenn zum Beispiel ein Außendienstmitarbeiter die Interviews für alle ORF-Medien filmt und aufnimmt, damit sie Redakteure im Büro für unterschiedliche Kanäle aufbereiten, ist das billiger", heißt es im Manifest: "Unterschiedliche Perspektiven und unbequeme Fragen werden damit aber ausgeschaltet. Die Meinungsvielfalt ist reduziert." In Wahrheit gehe es nur darum, Mitarbeiter und damit Kosten einzusparen.

Offene Briefe und Online-Petition

In dieselbe Kerbe schlägt ein offener Brief der Redakteurssprecher, die Betriebsräte sowie rund 200 weitere ORF-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, indem sie den Verbleib des Radios im Funkhaus fordern. Indem Ö1 in einem multimedialen Cluster aufgehe, verliere das erfolgreichste Kulturradio Europas seine Autonomie, heißt es darin. Das von der ORF-Führung gewünschte Szenario bedeute für Ö1 das Ende der gewohnten Qualität und damit sinkende Hörerzahlen. "Eines der Erfolgsgeheimnisse des ORF ist seine innere Pluralität", betonen die Unterzeichner.

Auch bei einer sogenannten Bürgerpetition auf der Internetplattform Avaaz haben sich bislang 84.000 Unterstützer für die "Erhaltung des Radiosenders Ö1" ausgesprochen, der durch Entzug der baulichen, räumlichen und organisatorischen Grundlagen mutwillig zerstört werde. "Die Befürchtung, dass Ö1 nach dem Umzug als eigenständige Entität innerhalb des ORF-Programms verschwinden könnte, ist mehr als berechtigt", heißt es da. Für den langjährigen Radiomacher Peter Huemer stellt die Information, die von der Clusterisierung im Besonderen betroffen sein wird, das "Rückgrat" von Ö1 dar: "So wichtig Musik, Kultur, Wissenschaft, Gespräche sind und so hoch die Anforderungen an ihre Qualität sind und sein müssen: Ohne Journale und stündliche Nachrichten hätte Ö1 nicht 8,5 Prozent Tagesreichweite, sondern 2,5 wie die anderen europäischen Kultursender", argumentierte er im Standard gegen das Konzept des Newsrooms.

ORF-Generaldirektor Wrabetz hält solche Befürchtungen für "bedauerlich" und "absurd": "Ö1 wird nicht in einem amorphen Newsroomcluster aufgehen, sondern am neuen Standort auch räumlich und organisatorisch eine eigene Einheit bilden", behauptet er, ebenfalls in einem offenen Brief. Auch ein öffentlich-rechtliches Medium müsse auf die Digitalisierung der Produktionstechnologie, die neuen Ausspielplattformen und das geänderte Mediennutzungsverhalten des Publikums reagieren. Durch den gemeinsamen Standort könnten mittelfristig 10 Millionen Euro pro Jahr eingespart werden, die in die Programme fließen.

ORF III auf-, Ö1 aber abgewertet?

Erstaunlich freilich ist, dass der ORF im Fernsehen genau den umgekehrten Weg geht wie im Radio: Beim aufstrebenden Kultursender ORF III nämlich wird großer Wert auf Eigenständigkeit und Unverwechselbarkeit gelegt. Mit ausgewiesenen Eigenproduktionen wie der Informationssendung Kultur heute, der Büchersendung erLesen oder dem Politikmagazin Im Brennpunkt hat sich ORF III in nur drei Jahren ein treues Publikum geschaffen. Mittlerweile schalten rund 600.000 Menschen täglich auf dieses Programm, das inhaltlich vor allem auf Kunst und Kultur sowie Zeitgeschichte und Zeitgeschehen, aber auch auf Religion und europäische Integration setzt.

ORF III wird kontinuierlich ausgebaut und aufgewertet. Laut Programmleiter Peter Schöber wächst das Budget jährlich im zweistelligen Prozentbereich. Die jüngste Programmpräsentation wurde als zweieinhalbstündige Show aufgezogen, bei der sogar Startenor Juan Diego Flórez "La donna è mobile" live zum Besten gab. Bei diesem Anlass ließ sich Wrabetz als Garant von "Qualität, Vielfalt und Unverwechselbarkeit" feiern - also als Hüter all jener Werte, die er in den Augen seiner Kritiker im Zusammenhang mit Ö1 mit Füßen tritt.

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