Zwischen Nostalgie und Formattrotz Goldgräber

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Radio Days" heißt der Film, mit dem Woody Allen eine Kindheit im Brooklyn der 30er und 40er Jahre auf Zelluloid bannte und dem Medium Radio ein Denkmal setzte. Auch diesseits des Atlantiks bezog die Weltkriegsgeneration ihre Lebenssicht wesentlich durch das Radio. In Europa setzten sich die "Radio Days" zumindest bis zum Ende der Aufbauphase nach dem Krieg fort, dann übernahmen die Fernseher das Regiment der Wirklichkeit für ein paar Jahrzehnte, bis das Internet als Medium des Zeitgeistes unübersehbar und unabsehbar auf den Plan trat.

Radio ist mit der Zeit ein anderes Medium geworden: Der Printbereich hat - trotz aller Entwicklung der elektronischen Medien - seine ursprüngliche Identität nicht wirklich verloren; Aufdecken und Enthüllung sind auch heute noch mit "Print" verbunden, selbst wenn die "schnellste" Aktualität auf Radio und TV übergegangen ist.

Die spektakulären Radioereignisse gibt es jedoch nicht mehr. Dabei kam einst Weltbewegendes aus den Empfangsgeräten. Etwa 1938 jenes Hörspiel "Krieg der Welten", das der spätere Regie-Star Orson Welles als realistische Landung von Außerirdischen inszenierte: Halb Amerika geriet in Hysterie und nahm das Gesendete für bare Münze (Woody Allen schildert in "Radio Days" die damalige Panik: in seinem Film geht eine sich anbahnende Beziehung in die Hosen, weil der männliche Partner außer sich gerät und Hals über Kopf davonrennt).

Auch heimische Geschichte wurde per Radio geschrieben: Im Jahr von Orson Welles' Bubenstück besiegelte Bundeskanzler Schuschnigg im Radio mit "Gott schütze Österreich!" das Verschwinden der Ersten Republik. Unvergeßlich auch - nach dem Ende der Nazis, die ebenso wie ihre Gegner das Radio intensiv zu nutzen wußten - die Weihnachtsansprache Leopold Figls 1945: "Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben ..." Schließlich die Sportsendungen, bei denen sich die Nation anhand der übertreibenden Beschreibungen eines Kommentators bang und aufgeregt dem kollektiven Herzanfall näherte: bis in die späten 70er Jahre konnte so Emotion transportiert werden. Das "I werd narrisch!", wie damals Reporterlegende Edi Finger bei einem österreichischen Fußballsieg ins Mikrophon brüllte, ist aber schon Vergangenheit.

Auch wenn in Österreich die Uhren lang anders gingen, rollen die internationalen Entwicklungen ins Land. Das endgültige Aus eines Monopolradios, das mit 1. April 1998 vollzogen wird, scheint beschämend spät zu kommen, wenn man mit anderen Ländern vergleicht. Die schwerfällige Gesetzwerdung in diesem Bereich ist aber bloß Ausdruck der inkompetenten Medienpolitik, wie sie in Österreich betrieben wird. In Wirklichkeit paßt sich aber auch der öffentlich-rechtliche ORF seit Jahren den Trends an - allerdings (Ausnahmen: Steiermark und Salzburg) ohne gleichzeitig einem Wettbewerb ausgesetzt zu sein. Eben das ändert sich jetzt.

Bisher ist die Entwicklung in Österreich an der Flucht beinahe aller Qualitätssendungen aus den musik- oder jugendorientierten Programmen festzumachen: War etwa das legendäre Radiofeuilleton "Der Schalldämpfer" von Axel Corti einmal eine typische Ö3-Sendung, so fristete sie beim Tod des Autors 1993 ihr Dasein im Kulturkanal Ö1. Auch Jazz, Chanson usw. wanderten von Ö3 ins Edelprogramm, für andere kultige bis politisch-alternative Programme, die fürs hehre Ö1 denn doch zu schräg schienen, wurde der Kanal FM4 entwickelt. Sogar die Konsumentensendung "Help" ist bei Ö1 gelandet, als ob ein Qualitätsprogramm einfach aus einer Summe von Qualitätssendungen besteht. Ob durch die Sammlung quotenschwacher, aber kulturell hochstehender Programme in einen Kanal eine unverwechselbare Identität zu schaffen ist?

Radio, das betonen erfolgreiche Radiomacher, ist "Begleitmedium" geworden: Musik, wenig Wortanteil (und dieser leichtfaßlich). Ein modernes Sendeprogramm schöpft seine Identität aus der "Durchhörbarkeit", das heißt, durch die Art der Musik und der Aufmachung ist das Programm "erhörbar". Im Dienst der Durchhörbarkeit und der Wünsche der Werbekunden werden ganze Kanäle in ein "Format" gepreßt, sogar die Musik ist zeitmäßig vorformatiert und muß so angepaßt werden, daß sie in fertige Blöcke - zwischen Werbeeinschaltungen - paßt. Diese Entwicklungen kommen nicht erst mit der großen Privatradiowelle am 1. April, sie sind in Breitenprogrammen wie Ö3 oder auch bei ORF-Regionalsendern schon überdeutlich zu bemerken.

1998 ist Radio - selbst wenn es Ö1 oder auch FM4 immer noch gibt - anders als zu Zeiten der "Radio Days". Bei aller Goldgräberstimmung, die rund um den Privatradiostart in Österreich herrscht, darf ein wenig Nostalgie Platz greifen: Radio erweist sich nicht nur als Medium im Aufbruch; auch der Abbruch ist unüberhörbar.

Redaktionelle Gestaltung: Otto Friedrich

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