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Digital In Arbeit

Kommerzielle Treibjagden

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Hektisch reagieren die öffentlich-rechtlichen Rund-funkanstalten in Europa auf die Herausforderung der Privaten. Neuestens mit einer Vernetzung zu einem TV-Verbund.

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Hektisch reagieren die öffentlich-rechtlichen Rund-funkanstalten in Europa auf die Herausforderung der Privaten. Neuestens mit einer Vernetzung zu einem TV-Verbund.

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Drei Phänomene sind derzeit in der europäischen Fernsehwelt sichtbar: einmal die euphorische Aufbruchstimmung unter den „Neuen Anbietern”, die sich Goldgräbern gleich aufgemacht haben, ihre Medien-Clans abzustecken, im Bündnis mit anderen oder alleine. Die Prognose sei gestattet, daß in den kommenden Jahren viele dieser Goldgräber mit leeren Sieben heimkehren werden.

Zum anderen Male die oft hektischen, oft panischen Reaktionen der ihrer Monopolstellung verlustig gehenden „öffentlich-rechtlichen Anstalten”, welche, was mit ihrem prinzipiellen Auftrag schwerlich in Einklang zu bringen ist, die „Kommerziellen” vorweg mit eben jenen Mitteln zu bekämpfen suchen, vor denen sie warnen, und die sich oft „kommerzieller” gebärden, als die Kommerziellen selbst es schon können.

Drittens — was in aller Stille geschieht — hintergründige, weltweite Konzentration der Giganten des Weltgeschäftes mit der sogenannten „soft-” und „hard-wa-re”, von der die „neuen Anbieter” ebenso abhängig sein werden, wie es die Ex-Monopole schon längst sind.

Diesen drei Phänomenen ist eines gemeinsam: sie streben in rüder Form nach der Maximierung von Reichweite und Gewinn. Eine Untersuchung, wo nun „junk-food” und „MacDonaldismus” vorherrschen, ist nahezu überflüssig. In jeder Form bleibt Fernsehen Fernsehen...

Die „öffentlich-rechtlichen” reden sich darauf hinaus, daß sie der Reichweiten bedürfen, um ihren „Kultur- und Informationsauftrag” erfüllen und, da die Gebühren nicht reichen, Werbung akquirieren zu können; die „Neuen Anbieter”, die man auf den Werbemarkt als vorerst einzige Finanzierungsquelle verwiesen hat (denn das vielzitierte „Pay-tv” spielt zumindest in Europa erst eine kommerziell inferiore Rolle), sind von Anfang an darauf angewiesen, weitreichender Werbeträger zu sein.

Die Erwartungen der Medienpolitik, durch „Neue Anbieter” an die Stelle der zentralistischen und monopolistischen Vormacht einen höheren Grad von Pluralismus zu setzen, werden am stärksten beeinträchtigt durch jene „stillen Dritten”, die als Großproduzenten, Großverteiler und Großprogrammierer ohnedies — ob „öffentliche” oder „Private” -bis zu 70 Prozent und mehr der zur Verfügung stehenden „Programmflächen” beliefern, z. T. sogar fest und dauerhaft okkupiert haben.

Dafür ein Beispiel: Der Bertelsmann-Konzern, die größte Verlagsgruppe der Welt, zu der auch Gruner & Jahr (Stern-tv, UFA) gehören, ging mit dem Pressekonzern Springer, mit welchem sich wieder der Illustrierten-Gigant Heinrich Bauer und Burda verbündeten, eine „Neue Mediengesellschaft” ein, daneben wurden sie allesamt Mitglieder im „Tele-Club”.

49 Prozent dieses „Tele-Clubs” befinden sich in den Händen von „Time” (viertgrößter Medienkonzern der Welt), HBO und „Showtime”, die beiden „pay-tv”-Unter-nehmen der USA, Warner Brothers (Nr. 5 unter den Medienriesen der Erde), Thoren-EMI (Nr. 2 und in Großbritannien beheimatet), 20th-Century-Fox, Columbia, Paramount, Universal, Me-tro-Goldwyn-Mayer und United-Artists, um nur die allerwichtig-sten zu nennen. Die 51 Prozent in der BRD liegenden Anteile werden federführend durch Leo Kirch vertreten, vermutlich der drittgrößte Medienhändler der Welt, Hauptpartner von ZDF, ORF, SRG und einigen ARD-Anstalten, mit einer ganzen Firmenkette (Unitel, Beta, Taurus uvm.).

Wir erkennen: Das sind zum größten Teil jene Riesenfirmen, die direkt oder via Kirch erst vor Jahresfrist die deutschsprachigen „öffentlich-rechtlichen Anstalten” mit Film- und Serienpaketen bis über's Jahr 2000 vollstopften, wobei Milliardenbeträge die Konten wechselten. Die Gründe der haltlosen Kauflust der Monopole:

„Die Privaten sollen das nicht bekommen!”

Nun, diese „Privaten” hängen bereits längst an der anderen Hand der aufgezählten Konzentranten, und zur allgemeinen Überraschung treten nun die Verkäufer nicht mehr als bloße Händler auf, sondern setzen sich (zumeist mit der besseren Ware) auch selbst als „Neue Anbieter” fest, ein einmaliger und wohl auch beispielloser Handel, wenn man das noch so nennen will.

Wo alles liebt, kann Franz allein nicht hassen: Die angekratzten Monopole begannen, sich untereinander zu vernetzen: „sprach-raumweit” oder darüber hinaus. So tritt zu der einen zentralisti-schen Tendenz eine weitere; allerdings, wie wir gesehen haben, untereinander sind sie untrennbar verbunden. Am Ende, so steht zu erwarten, wird sich über SAT 1 (privat) und SAT 3 (ZDF, ORF, SRG) und noch etliche andere STA's, die im Äther postiert werden (oder es schon sind), nicht sehr viel anderes auf die Erde niedersenken und hier, direkt über Antennen oder via Kabel, an das staunende Publikum gelangen.

In diesem bereits vorentschiedenen Getümmel tritt nun ein neuer Gedanke auf: die Vernetzung europäischer Ex-Monopolanstalten zu einem TV-Verbund. Der Gedanke reicht bis in die EG-

Zentrale in Brüssel und bis zum Europarat, wo mit allerhand Naivität nach einem „Europäischen Gesamtprogramm” gesucht wird.

In der Tat aber zeigen sich Gegenläufigkeiten, die von den Hektikern und Panikmachern übersehen oder unterbewertet wurden: Das Publikum spielt nicht so recht mit. Die Verkabelung macht zwar (unter starker öffentlicher Unterstützung) gewaltige Fortschritte, aber die Anschlußfreudigkeit ist so gering, daß der Postminister der BRD mit Plänen zwangsweiser Anschlüsse spielte.

Die da und dort errichteten „pay-tv”-Firmen leiden unter höchst mangelhaftem Zulauf, ja, selbst dort, wo die Mannigfaltigkeit am größten war, in Italien, wo ja jeder mal durfte, bildeten sich neben den dahinhungernden hun-derten Kleinen und der staatlichen RAI schließlich drei große Ketten heraus, die in einer Hand (Berlusconi) liegen. Die anderen zählen kaum.

Diese Zurückhaltung des Publikums hat teils ökonomische Gründe (die Haushaltsbudgets sind nicht sonderlich gewachsen), teils kulturelle (Europa ist nicht Amerika, andere kulturelle Möglichkeiten, Sprachbarrieren usw.), teils war — oder ist — das Angebot so reichlich gewesen (z. B. in der BRD, wo es ZDF, ARD 1 und 3 gibt), daß neue Bedürfnisse schwierig zu wecken sind, besonders dann, wenn dank des stillen Wirkens der genannten „Dritten” die Angebote einander ähnlich sind wie ein Ei dem anderen.

Eine freiwillige ,,Markträumung”?

Anders freilich verhält es sich dort, wo man nach einigen erfolgreichen Anläufen, die Monopole selbst zu dezentralisieren, zu au-tonomisieren und durch „inneren Wettbewerb” vielfältiger zu machen, zur alten Eindimensionali-tät zurückkehrte und so absichtlich oder unabsichtlich eine „Markträumung” vollzog, die Sogwirkung hat.

Zwei Fragen schließen sich an eine solche Betrachtung an:

• Ist es nun tatsächlich die Aufgabe öffentlich-rechtlicher Anstalten, es den „Kommerziellen” gleichzutun, ja, diese noch zu übertreffen? Und wenn man das bejahen sollte, besteht dann das Gebühren-Monopol noch zu Recht?

0 Wird, was ich uneingeschränkt bejahe, sich der Europäer kraft einer anderen Geschichte und Kultur, auch sonst völlig anderer Voraussetzungen nicht doch ganz anders als das US-Publikum verhalten?

Das gilt auch für die „sprach-raumweiten Euphorien”. Europa kennt nicht nur Sprachräume,' sondern mehr noch, kulturelle und historische Regionen, die vielsprachig sind und in welchen es stärkere Identitäten gibt als die Sprache. Mitteleuropa z. B. ist eine solche Region. Sollten sich die Anstalten nicht eher darauf konzentrieren, als durch ihren Zentralismus und Funktionalismus, durch Treibjagden nach Reichweiten und Gewinn gerade das heraufzuführen, was sie verhindern zu wollen vorgeben: die Identitätslosigkeit?

Der Autor war bis zur „Funktionslösung” vom 14. Juni 1984 Fernsehintendant 1 des österreichischen Rundfunks.

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