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1986: Himmelauf!

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In der Bundesrepublik Deutschland ist das Tor geöffnet worden für privatwirtschaftlich organisiertes Fernsehen: Am 1. Jänner d. J. hat die Sendezentrale in Ludwigshafen am Rhein ihren Betrieb aufgenommen und transportiert seither Programme privater „Veranstalter" in das vorderhand noch rudimentäre Kabelverteilnetz der Vorderpfalz.

Acht Wochen darnach haben die bundesdeutschen Länderchefs von CDU, CSU und SPD einmütig festgestellt, daß sie bei der Vergabe von Satellitenfrequenzen von der „Tatsache" ausgehen werden, daß es künftig „neben dem öffentlich-rechtlichen

Rundfunksystem private Programmveranstalter geben wird" (zitiert aus dem Beschlußprotokoll).

In der Schweiz hat der Bundesrat der privatwirtschaftlich organisierten Schweizerischen Pay-Sat AG die Nutzung eines Fernsehkanals auf dem ECS-Satelli-ten genehmigt und die darüber zu transportierenden Signale (Abonnementfernsehen) als „für die öffentliche Verbreitung bestimmtes Rundfunkprogramm" erklärt. Dieses Privatprogramm wird den Markennamen „Tele-. club" tragen.

Diese Entwicklungen haben in Österreich, dem dritten deutschsprachigen Staat diesseits des Eisernen Vorhangs, Unruhe ausgelöst, aber Gesetzgebung und Verwaltung noch zu keinen konkreten Reaktionen veranlaßt. Tatsächlich werden sich bis zur Jahresmitte, unsichtbar über unseren Köpfen, mindestens zwei deutschsprachige Programmsignale befinden, die in die österreichischen Kabelsysteme und in größere Geineinschaftsantennen-anlagen eingespeist und interessierten Teilnehmern zugeführt werden könnten.

Im Laufe des Herbstes gibt es dann, verbreitet über den zweiten deutschen ECS-Satellitenkanal, ein weiteres Programm, das ZDF, ORF und SRG gemeinsam gestalten wollen. Kann man Nr. 3 zulassen und Nr. 1 (Programm der PKS und der „Frankfurter Allgemeinen" aus Ludwigshafen) und Nr. 2 (Teleclub) aussperren? Wohl kaum!

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten beginnen sich auf die neue Situation einzustellen. In Ludwigshafen und seit 1. April auch in München betätigen sie sich neben den Privaten als Veranstalter von Sonderprogrammen (Musikkanäle, Bildungskanäle) und proben das „Nebeneinander" mit der noch in den Kinderschuhen steckenden Konkurrenz. Die Schweizerische Rundfunkgesellschaft SRG hat sich vorsichtshalber mit 15 % an der privaten Pay-Sat AG beteiligt.

Eine weitere Reaktion ist der massive Einkauf von Filmrechten, um sich gegen die .aufkommende Konkurrenz abzusichern: Die Supereinkaufsverträge der ARD mit dem amerikanischen Konzern MGM/United Artists und des ZDF mit einem von der Münchener Beta-Film organisierten Lieferantenpool sind durch die Weltpresse gegangen; der ORF steuert zum Kauf des letztgenannten Filmpaketes 300 Millionen Schilling bei, um sich die österreichischen Verwertungsrechte auf viele Jahre hinaus zu sichern.

Voll gemeinsamer Besorgnis aber blicken die öffentlich-Rechtlichen wie die erwähnten privaten Newcomers aus Ludwigshafen und Zürich auf einen Dritten, der möglicherweise sich anbahnende Arrangements stören oder zumindest sehr bald das Tempo der Neuentwicklungen vorschreiben könnte: Radio Luxemburg (RTL), der aggressive und für Überraschungen immer gute Außenseiter im bisherigen Konzert der europäischen Rundfunkszene.

Seit 1. Jänner strahlt Luxemburg über einen an der deutschen Grenze aufgestellten Sender ein deutschsprachiges Fernsehprogramm in Randregionen der Bundesrepublik (Teile des Saarlandes und von Rheinlandpfalz) aus. Bertelsmann, der größte deutsche Medienkonzern, hat sich an dem „RTL-plus" genannten Vorhaben beteiligt, setzt also auf die Luxemburger Karte.

Was die beiden tatsächlich vorhaben, ist kein Geheimnis mehr. RTL will mit dem deutschsprachigen TV-Programm auf den französischen Direktsatelliten TDF 1, der spätestens Mitte 1986 seinen Betrieb aufnehmen wird. Programme eines Direktsatelliten wird man mit kleinen, billigen Antennenanlagen empfangen, in kleinste Gemeinschaftsantennenanlagen einspeisen oder sogar durch Direktempfang pro Haushalt konsumieren können.

Gelingt der Gruppe RTL/Bertelsmann dieser Coup, dann müssen die deutschen Ministerpräsidenten blitzartig über die künftige Nutzung des deutschen Direktsatelliten, des TV-Sat, entscheiden, der Ende 1985 — sogar einige Wochen vor dem TDF 1 - in den Orbit geschossen wird...

1986 wird damit auch das Jahr sein, in dem alle hinhaltenden behördlichen Restriktionen, Signalempfang und -Verbreitung betreffend, hinfällig werden. Denn Programme von Direktsatelliten werden nach internationaler Ubereinkunft so behandelt wie „ortsübliche" Programme, in Österreich also wie die Programme des ORF: Jeder hat Zutritt!

Diese Perspektive sollten alle diejenigen, die derzeit — nicht nur in Österreich — an Mediengesetzen oder auch bloß an juristischen Winkelzügen herumbasteln, beherzigen: Fernsehversorgung wird ab 1986 nicht mehr innerhalb nationaler Grenzen durch Sondergesetze „geregelt" werden können, was bekanntlich bereits heute für den Empfang von Radioprogrammen gilt.

Der ORF hat während der letzten Jahre wiederholt auf die bevorstehende Änderung der Versorgungssituation und im besonderen auf die Gefahr hingewiesen, daß kleine Länder von den großen „zugedeckt" werden könnten. Leider ist das Projekt eines österreichisch-schweizerischen Direktsatelliten gescheitert, übrigens nicht an österreichischen, sondern an schweizerischen Widerständen.

Natürlich erhält angesichts der bevorstehenden Entaustrifizie-rung unserer Fernsehversorgung auch die immer wieder angestellte (und so oft verworfene) Uber-legung Gewicht, in Österreich selbst neben den ORF-Aktivitäten regionale oder lokale private Programmveranstaltung zuzulassen.

Selbst wenn die erheblichen Widerstände gegen eine derartige „Öffnung" des Monopols, die nicht nur vom ORF ausgehen, überwunden werden könnten, sollte man sich davon kurzfristig nichts Sensationelles versprechen. Das Produzieren von Programmen für lokale Enklaven ist kostspielig und wird sich wirtschaftlich in nicht allzu vielen Fällen rentieren.

Einen unternehmerischen Background für größere Aktivitäten, die die kleineren, lokalen stützen könnten, gibt es hierzulande nicht mehr: Die Wien-Film hat man verkommen lassen, die private Produktionswirtschaft ist, nicht zuletzt durch das Verschulden des ORF, de facto zusammengebrochen.

In Österreich gibt es kein medienwirtschaftliches Zentrum (vom ORF abgesehen), sondern bestenfalls ein paar Dutzend beschäftigungshungriger Kleinstfirmen und Kamerateams. Dazu kommt freilich ein beachtliches Reservoir an Autoren und ausübenden Künstlern, die ihr Auskommen, soweit es nicht der ORF garantiert, allerdings im Ausland suchen müssen.

Der Autor ist Geschäftsführer von „Tele-bild."

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