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Digital In Arbeit

Gefahren aus der Flimmerkiste

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Droht unserem Mediensystem die totale Auslieferung an wirtschaftliche und politische Interessen? Noch mehr Fernsehen bringt nicht mehr Information, sondern Verarmung.

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Droht unserem Mediensystem die totale Auslieferung an wirtschaftliche und politische Interessen? Noch mehr Fernsehen bringt nicht mehr Information, sondern Verarmung.

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Wohl selten gab es eine solche Kluft zwischen politischen Ankündigungen und späterer Wirklichkeit wie bei den „neuen Medien“. Wenn erst die Schleusen zum neuen Medienparadies geöffnet würden, sollte sich eine Fülle neuer Programmangebote aus den Kabel- und Satellitenkanälen über die Bürger ergießen, Informationsvielfalt und kulturelle Kreativität sollten einen enormen Aufschwung erleben, brachliegende Talente endlich ihre Chance finden, kurzum — der bisher von den öffentlich-rechtlichen Anstalten bevormundete, in seiner Informationsfreiheit eingeengte mündige Bürger sollte endlich zu seinem Recht kommen.

Wie sieht heute, zwei Jahre nach dem ersten Startschuß für den privaten Rundfunk in Ludwigs-

hafen, die Wirklichkeit aus? Auf zwei bundesweite Fernsehvollprogramme (SAT 1 aus Ludwigshafen und RTL-Plus), von denen allerdings das letztere aus Luxemburg kommt, und ein Musikprogramm, in dem stundenlang von der Industrie gelieferte „Videoclips“ abgespielt werden, beschränkt sich bisher das private Satellitenangebot. Beide Programme fahren gewaltige Verluste ein. Kosten in Höhe von zirka 250 Millionen Mark im Jahr 1985 bei SAT 1 standen ganze 7,5 Millionen Mark an Einnahmen gegenüber. Optimisten hoffen, allenfalls in etwa sieben Jahren die Gewinnschwelle überschreiten zu können.

Bei dem Streit um die künftige Medienordnung geht es allerdings nicht nur um die Frage politischer Handlungskompetenz und

Glaubwürdigkeit und schon gar nicht nur um vordergründige Interessenpolitik allein (so sehr sie leider das Handeln vieler Politiker zu bestimmen scheint), sondern um sehr grundlegende Weichenstellungen für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Die Frage wird sein, ob die Öffnung des Rundfunks für private Veranstalter zu einer schleichenden Kommerzialisierung des Mediensystems insgesamt führt, die einen gesellschaftlichen Wert- und Strukturwandel begünstigt, der — gemessen an den bisherigen verfassungsrechtlichen und ethischen Maßstäben öffentücher Kommunikation - zu großer Sor-.ge Anlaß geben muß.

Der kommerzielle Rundfunk stellt sich nicht nur bei uns, sondern auch überall dort, wo es ihn schon sehr viel länger gibt, vorrangig als Medium der Unterhaltung dar. So beläuft sich bei RTL-Plus der Anteil der Informationssendungen am Gesamtprogramm auf etwa zehn Prozent gegenüber einem Anteil von 83 Prozent an Spielfilmen, Musiksendungen und sonstiger Unterhaltung. Demgegenüber beträgt der Informationsanteil beim ARD-Programm (einschließlich Sport) etwa fünfzig Prozent, der Anteü an Spielfilmen, Krimiserien und sonstiger Unterhaltung (ohne Fernseh- und Dokumentarspiel) zirka 25 Prozent.

Dieses massierte Unterhaltungsangebot der kommerziellen Sender trifft ohne Zweifel auf eine weit verbreitete Erwartungs-

haltung des Publikums und führt dementsprechend zur Änderung der Programmnutzung.

Die Neigung, Auseinandersetzungen mit Problemen oder anderen Meinungen durch Flucht ins platte Amüsement, in die private Traumwelt aus dem Weg zu gehen, die Neil Postman auf dem Hintergrund seiner amerikanischen Erfahrungen als generelle Gefahr des Fernsehens ansieht, wird durch das kommerzielle

informationsflut

Fernsehen auch bei uns endgültig sanktioniert und zum Prinzip erhoben. Die von vielen ausgesprochene Warnimg, daß ein vermehrtes Fernsehangebot unter den Bedingungen eines kommerziellen Systems keineswegs zu größerer inhaltlicher Vielfalt, sondern eher umgekehrt zu einer Informationsbeschränkung und kulturellen Verarmung führe, bestätigt sich.

Das Problem mangelnder Informationsvielfalt wird durch Konzentrationstendenzen auf der wirtschaftlichen Unternehmensebene verstärkt. Das Rennen um die Privatfunklizenzen machen praktisch die Verlage, und hier vor allem die großen Medienkonzerne, unter sich aus. Europas größter Medienkonzern, Bertelsmann (mit Gruner & Jahr) ist mit einem Vierzig-Prozent-Anteil an RTL-Plus beteiligt

Die Macht der Riesen

Die vier nächstgrößten deutschen Medienunternehmen, Springer, Bauer, Burda und Holtzbrink, sind neben der Deutschen Genossenschaftsbank, die wiederum durch einen Programmliefervertrag mit Europas größtem Fümhändler, Leo Kirch, verbunden ist — die Hauptgesellschafter von SAT 1, dem aus Ludwigshafen abgestrahlten Satellitenprogramm. Bertelsmann, Leo Kirch und der Springer-Konzern

(an dem wiederum Burda mit einem Kapitalanteil von 24,9 Prozent und Leo Kirch angeblich mit etwa zehn Prozent beteiligt sind) haben sich schließlich zu einer Gesellschaft zusammengeschlossen, die sich unter dem Namen „Teleclub“ um eine Satellitenlizenz für ein Spielfilmprogramm in Form des Abonnement-TV (Pay-TV) bewirbt.

Die Frage wird sein, ob die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten künftig noch ein ausreichendes Gegengewicht zu diesen Entwicklungen im privaten Mediensektor bilden werden. Die Zeichen dafür sind leider nicht günstig. Statt die spezifischen Eigenarten und Vorzüge des öffentlich-rechtlichen Systems herauszustellen, die Kräfte und insbesondere das Programmangebot sinnvoll zu koordinieren und eine gemeinsame Strategie gegenüber der kommerziellen Konkurrenz zu entwickeln, sucht jede Anstalt zuvorderst ihren eigenen Vorteü zu wahren und läßt die Bereit-

Karikatur aus „medium“ (2/86)

schaft erkennen, ihre Programmpolitik mehr an den Maßstäben des Marktes als denen des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags zu orientieren.

Es ist klar, daß die Anstalten in dem Maße, in dem sie ihre Pläne und Interessen losgelöst von der ARD verfolgen, sich in Abhängigkeit von ihren jeweiligen Landesregierungen begeben und damit noch mehr als bisher der Gefahr politischer Erpreßbarkeit aussetzen. Mit größter Selbstverständlichkeit werden in Staatskanzleien und Parteizentralen bereits jetzt Planspiele für eine Neuordnung der Rundfunklandschaft nach parteipolitischem Strickmuster angestellt.

Die Medienpolitik steht am Scheideweg. Wenn nicht sehr rasch und entschieden Maßnahmen ergriffen werden — beispielsweise in Form strengerer Auflagen gegenüber den privaten Veranstaltern, energischen Maßnahmen zur Konzentrationsbekämpfung sowie einer Stärkimg und Neuprofilierung des öffentlichrechtlichen Systems -, so wird die Tendenz zur immer totaleren Auslieferung des Mediensystems an wirtschaftliche und politische Interessen, zu wachsendem Verlust an Informationsvielfalt und zu kultureller Verarmung kaum mehr aufzuhalten sein.

Der Autor ist Fachmann für Medienrechtsfragen in der Bundesrepublik. Der Beitrag ist ein Auszug aus der Zeitschrift „Evangelische Akademie2'. März 1986.

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