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Die Freiheit des Rundfunks ist unteilbar

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In einer Welt, die durch den Rundfunk immer kleiner und einheitlicher wird, in der das Fernsehen die Sprachbarrieren überwindet und dieses allgegenwärtige Massenmedium zu einem unersetzbaren Instrument der Bildung von politischen Meinungen und Formung der Gesellschaft wird, korrespondiert die Bedeutung des Mediums mit den Gelüsten der Mächtigen, es für sich, am liebsten ausschließlich für sich in den Dienst zu nehmen. Die Versuchung ist begreiflich, die Versuche sind vielfältig.

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In einer Welt, die durch den Rundfunk immer kleiner und einheitlicher wird, in der das Fernsehen die Sprachbarrieren überwindet und dieses allgegenwärtige Massenmedium zu einem unersetzbaren Instrument der Bildung von politischen Meinungen und Formung der Gesellschaft wird, korrespondiert die Bedeutung des Mediums mit den Gelüsten der Mächtigen, es für sich, am liebsten ausschließlich für sich in den Dienst zu nehmen. Die Versuchung ist begreiflich, die Versuche sind vielfältig.

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Die Vereinten Nationen beschäftigten sich in diesem Jahr mit einem Vorschlag der Sowjetunion, grenzüberschreitende Sendungen, durch Satelliten vermittelt, zu verhindern. Die damit in erster Linie verbundenen politischen Interessen finden Unterstützung bei vielen durchaus unabhängigen Staaten, vor allem der dritten Welt, die das Zeitalter direkt-empfangbarer Satelliten aus kulturellen Gründen fürchten, weil sie wohl nicht zu Unrecht eine unein-dämrnbare Flut von Programmen auf sich zukommen sehen, die ihren gesellschaftlichen Bedürfnissen, ihrer kulturellen Überlieferung und Zukunft entgegenstehen. Gleichwohl kann man die wesensmäßige Inter-nationalität des Rundfunks nicht durch Verträge einschränken. Seit jeher war es Sinn und Nutzen des Rundfunks, Informationen und Meinungen so weit zu tragen, wie die Ätherwellen reichten.

Ein im Grunde ähnlicher Kleinmut ist die Quelle jener Versuche in verschiedenen Ländern, die Organisation des Rundfunks und seine Funktion in der Gesellschaft in regelmäßigen Abständen dann in Frage zu stellen, wenn Mehrheiten sich durch das Medium Rundfunk zu deutlich mit Minderheiten konfrontiert sehen. In einer Demokratie muß dazu die Gegenfrage gestellt werden: Wie halten wir es überhaupt mit der Freiheit? Denn es gibt keine Freiheit des Bürgers ohne einen freien Rundfunk, ohne einen Rundfunk, der, um mit Paul de Lagarde zu sprechen, nicht tun kann, was er will, sondern werden kann, was er soll.

Frage und Gegenfrage sollen zum Gespräch führen sowohl mit den Politikern, die stärkeren Einfluß der Parteien — sei es unmittelbar oder mittelbar — über die Regierung auf den Rundfunk begehren, als auch mit denen, die im Bund mit diesen die neuen technischen Möglichkeiten für sich nutzen wollen.

Der Bayerische Rundfunk gleicht mit den übrigen Anstalten der Bundesrepublik Deutschland dem österreichischen Rundfunk darin, daß seine Unabhängigkeit gemäß dem verfassungsrechtlichen Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung und Information gesetzlich anerkannt ist.

Wiederholt hat das deutsche Bundesverfassungsgericht diese Rundfunkfreiheit bekräftigt. Im Urteil vom 28. 2. 1961 hat es festgestellt,daß der Rundfunk dem staatlichen Einfluß entzogen sein muß, höchstens einer beschränkten staatlichen Rechtsaufsicht, ähnlich wie die Banken- und Versicherungsaufsicht, unterworfen werden kann. In den folgenden zehn Jahren hat sich in den Bereichen der Politik, Wirtschaft, Technik, manches geändert, aber nicht die Rechtslage. Die bayerische Staatsregierung hat in diesem Jahrzehnt ihren Versuch, die unbeschränkte Rechtsaufsicht einzuführen, nach kurzer Auseinandersetzung wieder aufgegeben. Am 27. Juli 1971 hat das Bundesverfassungsgerieht in einem weiteren Urteil die Aufgabe der Rundfunkanstalt bestätigt, die Grundrechte, insbesondere das der Meinungsfreiheit, in einem Bereich zu verteidigen, in dem sie vom Staate unabhängig sind.

Die Selbstverwaltung des Rundfunks ist wesentlich für das der Demokratie eigene spannungsvolle Gleichgewicht, für die ausgewogene Aufteilung der Herrschaftsgewalt. Sie ist Ausdruck der Gewaltenteilung als des konstitutiven Prinzips freier Gesellschaftsordnung, dauerhafter, elastischer Staatsverfassung. Die Selbstverwaltung soll gewährleisten, daß die gesellschaftlichen Kräfte in Anerkennung der Sachgesetzlichkeiten und mit Hilfe des Sachverstandes und der Initiative der Beauftragten die öffentliche Aufgabe der Information und Meinungsäußerung erfüllen, ohne jeweils um die Machtbehauptung kämpfen und sich Mehrheitsentscheidungen der allgemeinen politischen Willensbildung fügen zu müssen, ohne in den Bannkreis parteipolitischer und staatlicher Konfrontationen gezogen zu werden.

Die Entscheidung in eigener Verantwortung muß durch eine diesem Prinzip entsprechende Zusammensetzung der im Rundfunk die Gesellschaft repräsentierenden Gremien gesichert sein.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 1961 gefordert: „Dieses moderne Instrument der Meinungsbildung darf weder dem Staate noch einer gesellschaftliche-n Gruppe ausgeliefert werden. In seinem Kontrollorgan müssen in angemessenem Verhältnis die bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Gruppen vertreten sein und im Gesamtprogramm zu Wort kommen können. Den Vertretern des Staates darf in den Organen ein angemessener Anteil eingeräumt werden; der Staat darf aber weder unmittelbar noch mittelbar die Anstalt beherrschen.“ Dem schließt sich das gleiche Gericht in seinem Urteil vom 3. 10. 1969 an: „Da die Informationsfreiheit infolge ihrer Verbindung mit dem demokratischen Prinzip gerade dazu bestimmt ist, ein Urteil über die Politik der eigenen Staatsorgane vorzubereiten, muß das Grundrecht vor Einschränkungen durch diese Staatsorgane weitgehend bewahrt werden.“

Der Staatsrechtslehrer Professor Hans Huber aus Bern führt diesen Gedanken zu Ende: „Gerade in der repräsentativ verfaßten Parteiendemokratie wird erst durch die informativ und kritisch kontrollierende Funktion der öffentlichen Meinung die verantwortliche Staatsführung geformt.“

Der demokratische Staat kann sich nur in Handlungen der Rechtserzeugung und -anwendung äußern, nicht in Meinungen, weil es in ihm keine Norm gibt, die bestimmt, welche Meinung als die des Staates zu gelten hat. Die demokratische Mei-nungs- und Willensbildung geschieht, indem die Gruppen der Gesellschaft die Herrschenden durch die Vielfalt der Meinungen und fruchtbaren Widerspruch öffentlich unter kritische Kontrolle nehmen. Dazu dient der Rundfunk. Auf seinen Freiheitsraum richten sich immer härtere Machtansprüche in einer Welt der Sachzwänge, in der Wahlen den Charakter rational prüfbarer Entscheidung verlieren, in einer Welt, in der sich mit dem Drang der Technik die Absicht der Politik verbindet, möglichst vieles auf einen Nenner zu bringen, in der sich die parteipolitischen Totalitätsansprüche mit den Tendenzen des Staates verbinden, zum -.Teil- aus .unabweisbaren Notwendigkeiten Immer tiefer'irr die Gesellschaft einzudringen, auf dem Weg zum Interventionismus und Dirigismus weiter zu gehen.

Diese Entwicklung wird dadurch gefördert, daß man das Wesen des Menschen und damit seine Freiheit ausschließlich aus sozialen und politischen Voraussetzungen zu erklären versucht. Er weiß mit ihr immer weniger anzufangen, je mehr der Staat seine Lebensvorgänge erfaßt, der Anspruch der öffentlichen Sphäre auf die private wächst. Denn damit schwindet der unserem eigenen Willen unterstehende Bezirk unseres Lebens; in ihm aber allein wächst das selbständige Urteil, die Lebenskraft der Persönlichkeit und der Selbstverwaltung.

Selbstverwaltung nämlich bedeutet Selbstkontrolle, die allein die Sachgesetzlichkeit als Kriterium verwendet. Wirksame Kontrolle setzt voraus, daß die Kontrolleure mit den Regeln der Sendungen vertraut sind, daß sie das Gespräch mit dem Wunsch führen, sich noch besser zu unterrichten, in der Bereitschaft den anderen anzuhören, neue Einsichten zu gewinnen, das eigene Urteil zu überprüfen und die Möglichkeit zu erwägen, unrecht geurteilt zu haben; kurz darin, daß sie zu all dem Zeit haben und selbst leisten, was sie von dem zu Kotrollierenden fordern müssen. Kontrolle verfehlt ihre Aufgabe und kann die Beauftragten im Rundfunk nicht verpflichten, wenn sie anderes will, als daß der Rundfunk seine Aufgabe erfüllt, dem Recht des Bürgers auf umfassende, zuverlässige Information unbeeinflußt von politischer Macht und Gruppeninteressen zu dienen und Sendungen auszustrahlen, die den Gesetzen des rechtschaffenen Werkes genügen.

Die Aufgabe des Rundfunks unterscheidet sich von der des Politikers. In dessen Wesen liegt es, Macht anzustreben und zu behaupten, die Interessen seiner Partei mit denen der Allgemeinheit gleichzusetzen, den nur auf redlicher, journalistischer Leistung beruhenden Wert der Sendungen mit parteipolitscher Ausgewogenheit. Diejenigen Politiker können ihrer Kontrollaufgabe nicht gerecht werden, die unter parteipolitischen Vorzeichen die Bedürfnisse der Gesellschaft betrachten, die für die Organisation und die Finanzausstattung des Rundfunks maßgebend sein müssen. Weitschauende Politik fördert ein von politischen Macht-habern unabhängiges Denken und Handeln, denn diese sind „furchtbar beschäftigt“, wie in Sorge um die Zukunft Europas einmal einer der großen Europäer, Pietro Quaroni, Botschafter in Moskau, Paris, Bonn, zuletzt Präsident der RAI, bitter festgestellt hat: „Die Regierungen sind beschäftigt mit einer sehr wichtigen Angelegenheit: sie wollen an der Macht bleiben. Das ist keine Kritik, es ist bloß Binsenwahrheit und es ist immer so gewesen. Alles, was die Regierungen in einigen Jahrtausenden der Geschichte gut oder schlecht gemacht haben, diente nur dazu, um ander Macht zu bleiben.“

Parteipolitische Interessen verbinden sich mit kommerziellen und sonstigen Sonderinteressen. Dem Dienstleistungsprinzip, das die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten beherrscht, soll das Erwerbsprinzip in Gestalt von Privatrundfunk, insbesondere Privatfernsehen, betrieben mit Einnahmen aus der Werbung, entgegengesetzt werden. Dieser Privatfunk soll sich von den bestehenden Anstalten in der Bundesrepublik wie auch in Österreich dadurch unterscheiden, daß er nicht verpflichtet werden soll, den Gewinn ausschließlich für die Programmdienste zu verwenden, sondern ihn an die Gesellschafter verteilen darf. Damit werden die geplanten Einrichtungen den Gesetzen des Werbemarktes unterworfen, wird der Anspruch des Bürgers auf freie Meinungsbildung den Interessen der Geldgeber ausgesetzt.

Auf diese und ähnliche Weise wird die Verfügung nicht über den Rundfunk, wie wir ihn heute gewohnt sind, begehrt, sondern über den Rundfunk der Zukunft, der nicht nur für fremde Waren, sondern auch für eigene Waren wirbt, die Verfügung über den Breitbandfunk, der die wechselseitige Kommunikation insbesondere zwischen Unternehmen und Konsumenten mit Hilfe des Computers, des informationellen Verbundnetzes erlaubt, den Rundfunk der verkabelten Gesellschaft, der Probleme der Freiheit in einem nur in der Zeit der industriellen Revolution erlebten Maße schafft, denn er kann die Lebensgewohnheiten und Strukturen der Gesellschaft wesentlich verändern. Wenn je eine Prognose gewagt werden kann, dann diese: die Verfügungsmacht über den Rundfunk, ein Nervenzentrum der Gesellschaft, wird für diese so entscheidend sein, daß er nicht einzelnen Gruppen überlassen und kommerziellen Interessen dienstbar gemacht werden darf.

Die Freiheit der Meinungsbildung erfordert Vorsorge. In Bayern sind auf Grund des Volksbegehrens die Verhandlungen darüber im Gange. Die Regierungspartei hat mit den Oppositionsparteien vereinbart, daß verfassungsrechtliche Vorsorge durch folgenden Satz des Volksentscheids angestrebt wird: „Der Rundfunk wird in öffentlicher Verantwortung und in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft betrieben.“ Damit stimmt die Forderung mit der Regierungserklärung überein: „Der öffentlich-rechtliche Charakter des Rundfunks darf nicht ausgehöhlt werden.“

Freiheit heißt Verantwortung. Wir wissen, daß jede Freiheit einen gewissen Kaufpreis an Mißbrauch zu zahlen hat. Wir könnten uns aber nicht damit abfinden, wenn der Rundfunkjournalist das Recht auf schrankenlose Selbstdarstellung beanspruchen sollte; seine Freiheit ist nur im Hinblick auf die Meinungsfreiheit der Gesellschaft zu verstehen, deren Gruppen mittels des Rundfunks ihre öffentliche Aufgabe erfüllen. Man kann die Freiheit nicht mit Mitteln verteidigen, die ihr nicht entsprechen, sie nicht begründen. Wer für Freiheit kämpft, muß vor allem kämpfen mit ihren inhaltlich bestimmten Werten: Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Rücksichtnahme, Toleranz. Er muß die Unabhängigkeit seines Urteils dadurch bezeugen, daß er auch das zu Wort kommen läßt, was seiner eigenen Überzeugung widerspricht, von seinen Sympathien oder Antipathien abweicht. Er muß wissen, daß die Anerkennung die schwierigere, mühevollere Aufgabe als der Tadel ist und nur dem gelingen kann, der das Publikum in seinen Lebensbedingungen, selbst in seinen Beschränktheiten und in seiner Spannung zwischen Beharrung und Veränderung, ernst nimmt.

Es lohnt sich, das Prblem der Freiheit mit der Wahrhaftigkeit, die das Kennzeichen des freien Menschen ist, zu behandeln. Freiheit ist unteilbar, und von der Presse- und Rundfunkfreiheit hängt jede andere Freiheit ab.

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