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Keine „Wiener Zeitung“ im Äther

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Nach Jahren der Scheinruhe steht der Rundfunk wieder im Mittelpunkt des innenpolitischen Feuers. Aus einem latenten kalten Krieg ist ein heißer Konflikt zwischen Regierung und Medien entstanden. Und alles deutet darauf hin, daß er als neuer Rundfunkkrieg ausgetragen wird.

Was Österreich dabei zu sehen bekommt, ist mehr als bloß der Streit zwischen den beiden hinlänglich als „starke Männer“ fixierten Persönlichkeiten Bruno Kreisky und Gerd Bacher — und es geht auch um mehr, als bloß um einen Terraingewinn für die SPÖ oder um freundlichere Fragen bei Ministerinterviews. Tatsächlich: die Dimension der Auseinandersetzung läßt voraussagen, daß es im Kern um die Freiheit des zahlenmäßig größte Massenmediums unserer Gesellschaft geht.

Daß die Massenmedien für die moderne Gesellschaft eine der wesentlichsten — und daher öffentlichen — Aufgaben erfüllen, darf als hinlänglich unbestritten gelten. Das deutsche Bundesverfassungsgericht bezeichnete sie für die Demokratie als „schlechthin konstituierend“, und Adolf Arndt fordert für die Demokratie ein „höheres Maß an Bewußtsein“, das vor allem durch Medien geweckt werden kann, die eine vom Staat garantierte Informations- und Äußerungsfreiheit besitzen und einen Beitrag zum „kritischen Unterscheiden“ (Rene Marcic) bei den Informationsempfängern leisten.

Nun ist die sogenannte Pressefreiheit (nicht nur die Meinungsäuße-rungsfreiheit) in Österreich bereits im Staatsgrundgesetz aus dem Jahre 1867 festgelegt und die Zensur ausdrücklich durch einen Beschluß der Provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918 aufgehoben.

Das aber gilt nicht für den Rundfunk.

Bis 1966 existierten Hörfunk und Fernsehen überhaupt ohne eigenes Organisationsgesetz. Ihre Tätigkeit beruhte und beruht vielmehr auf der Konzession einer Verwaltungsbehörde — die theoretisch jederzeit zurückgezogen oder aber auch auf andere Gesellschaften ausgedehnt werden kann (wie das für das von Dr. Kreisky angeregte kommerzielle sogenannte „Zweite Programm“ der Fall wäre). Und das 1966 als Folge des Volksbegehrens verabschiedete Rundfunkgesetz ist nur ein einfaches Gesetz — womit die. dem ORF im 2 ausdrücklich zugestandene „Unabhängigkeit“ jederzeit mit einer Novellierung des Gesetzes verändert werden kann.

Deshalb gab und gibt es in Österreich bis heute keine Rundfunkfrel-heit, die der immerhin verfassungsgesetzlich garantierten Pressefreiheit entspräche. Und das ist im Grunde die eigentliche Bedenklichkeit der Situation, in die jede Gesellschaft gegenüber Staat und Parteien über kurz oder lang geraten muß.

Nun laufen parallel mit der politischen Kampagne des Bundeskanzlers gegen den ORF auch die Beratungen eines vom Justizminister einberufenen Ausschusses für ein neues „Massenmediengesetz , das eine Neuordnung und eine Absicherung der Massenmedien bringen soll. Ausdrücklich soll — so Christian Broda — auch der Rundfunk in diese Regelung miteinbezogen werden. Dann ließe sich etwa das leidige Problem mangelnder Berichtigung und nicht möglicher Gegendarstellung besser lösen.

Wäre es nicht gerade in dieser Situation aber dringlich, die Beratungen über die verfassungsgesetzlicha Sicherung der Informationsfreiheit — Presse- und Rundfunkfreiheit einschließend — vorzuziehen? Dies um so mehr, als Christian Broda als Hauptredner seiner Partei bei der Beratung des Rundfunkgesetzes am 8. Juli 1966 im Nationalrat befürchtete, daß das Rundfunkgesetz einen „Regierungsrundfunk“ installieren würde. Tatsache ist, daß wir bis heute keinen „Regierungsrundfunk“ haben — daß aber das Bekenntnis der oppositionellen SPÖ des Jahres 1966 auch noch 1972 für die SPÖ als Regierungspartei gelten muß — will sie sich hinsichtlich ihrer Medienpolitik nicht untreu werden.

Wäre daher verfassungsgesetzlich sichergestellt, daß das wichtigste Medium dieses Landes Privileg und Pflicht einer echten Informationsfreiheit besitzt, könnte man in zweiter Linie über die Zweckmäßigkeit diskutieren, ob und wie man den ORF reformieren, ob und wie man eine zweite Gesellschaft gründen, welche Form immer man als wünschenswertes Modell für diese „öffentliche Aufgabe“ wählen soll.

Aber in dem Fall, daß nicht die Mehrheitspartei — gleich, ob heute eine linke oder morgen eine rechte — es sich einfallen lassen kann, wieder einen Regierungsrundfunk (wie es weiland der Proporzrundfunk war) zu installieren, wird man auch über den Weg emotionsloser diskutieren können, wie man dem demokratischen Staatsbürger die selbständige Meinungsbildung erleichtert. Denn darum geht es angesichts der residualen totalitaristischen und faschistoiden Infektionen in diesem Land in zweiter Linie. Ist die „Meinungs-pluralität“ besser als das Streben nach „Objektivität“? Oder, um einen Vergleich zu wählen, der der jüngsten Zeitungsgeschichte Österreichs zu entnehmen ist: soll es ein „Neues Österreich“ im Äther geben, das Meinungen verschiedener politischer Richtungen nebeneinanderstellt und unkommentiert für Interessentengruppen (als Eigentümer) offensteht — oder einen „Kurier“, der reflektiert und kommentiert, Unabhängigkeit von den Parteien übt und dem Leser Entscheidungshilfen bietet?

Jedenfalls: zwei Medienkonzepte, die entscheidend voneinander abweichen.

Über ihre unterschiedliche Attraktivität auf dem Zeitungsmarkt gibt es bereits Daten; über ihre Chancen auf dem Bildschirm noch nicht. Was wir aber nicht mehr wollen, ist eine regierungsamtliche „Wiener Zeitung“ im Äther. Weil wir nämlich das Jahr 1972 schreiben.

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