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Pressefreiheit in Gefahr!

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Das BundeSministerium für Justiz hat vor einiger Zeit, bezeichnenderweise streng vertraulich, ein neues Pressegesetz ausgearbeitet. Erst durch nachdrückliche Intervention wurde der Entwurf vor kurzem den Kammern zur Begutachtung übermittelt, nachdem man vorher auf dem merkwürdigen Standpunkt gestanden war, die Kammern hätten ihr Begutachtungsrecht durch die Preßgesetzenquete 1955 bereits verwirkt. Das Justizministerium hat es aber strikte abgelehnt, den Gesetzentwurf dem Verband Österreichischer Zeitungsherausgeber, dem Österreichischen Zeitschriftenverband und der Journalistengewerkschaft zur Begutachtung zu übermitteln, und ihn nur einigen Publizisten vertraulich zugehen lassen, gegen die ausdrückliche Verpflichtung, den Entwurf geheim zu behandeln und von allen Publikationen in dieser Sache abzusehen.

Man kann sich lebhaft vorstellen, welchen Geist dieser Gesetzentwurf atmet, wenn sich das Ministerium so beharrlich weigert, ihn der Presse, die er ja vor allem angeht, zur Diskussion zu überlassen. Die Ankündigung einer Aussprache nach Einbringung des Gesetzes im Hohen Haus ist ein schwacher Trost, weil der gelernte Österreicher aus Erfahrung weiß, daß in diesem legistischen Stadium kaum mehr wesentliche Änderungen vorgenommen werden.

In den erläuternden Bemerkungen zu dem Entwurf weisen die Verfasser darauf hin, daß eingehende rechtsvergleichende Studien über das Presserecht fremder Staaten enttäuschend gewesen seien und nur wenige brauchbare Anregungen geboten hätten. Demgegenüber hätte schon jeder Zeitungswissenschaftler im dritten Semester die Verfasser des Entwurfes darauf verweisen können, daß zum Beispiel im Artikel 5 des Deutschen Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 nicht nur das Recht der freien Meinungsäußerung verfassungsrechtlich geschützt wird, sondern auch das Recht auf Informationsfreiheit und das Recht auf freie Verbreitung unter Verfassungsschutz gestellt wird und alle drei Rechte überdies auf Funk und Film ausgedehnt wurden. Auch die Feststellung, zum Beispiel in den Pressegesetzen von Württemberg-Baden, Bayern und Hessen^ daß die Presse eine öffentliche Aufgabe erfüllt, hat die Verfasser des österreichischen Entwurfes ebensowenig beeindruckt wie die in diesen Gesetzen enthaltenen eingehenden Bestimmungen über das Wesen der Informationsfreiheit. Schon das alte Deutsche Reichsgesetz über die Presse vom 7. Mai 1874 sieht ferner vor, daß eine Sonderbesteuerung der Presse und der einzelnen Presseerzeugnisse unstatthaft ist, eine Ansicht, die durch das neue hessische Pressegesetz nachdrücklich unterstrichen wird: „Die Freiheit der Presse schließt jegliche Sonderbesteuerung der Presse und der einzelnen Presseerzeugnisse aus.“ Dagegen hat man sich im Justizministerium darauf beschränkt, eine müde Definition des Begriffes der Pressefreiheit zu geben:

„Die Freiheit der Presse ist das Recht der Presse, ohne Eingriff öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen sich zu unterrichten, zu berichten, Meinungen zu äußern und Berichte und Meinungsäußerungen zu verbreiten.“

Diese Definition, die den modernen zeitungswissenschaftlichen Erkenntnissen nicht entspricht, entbehrt überdies solange jeder Bedeutung, als sie nicht als Verfassungsbestimmung gilt, und bedarf auf jeden Fall einer Erweiterung durch die Feststellung, daß die Presse eine öffentliche Aufgabe erfüllt und die Freiheit der Presse jede Sonderbesteuerung ausschließt.

Sonderbare Ansichten hat man im Justizministerium über die Tätigkeit eines Herausgebers einer periodischen Druckschrift. Nach ministerieller Ansicht veranlaßt der Herausgeber bloß das Erscheinen der Druckschrift und bestellt den verantwortlichen Redakteur. Von der eigentlichen Tätigkeit des Herausgebers einer Zeitung oder Zeitschrift, nämlich die geistige Richtung des Blattes zu bestimmen, weiß man im Justizministerium nichts. Auf eine Definition des Verlegerbegriffes verzichtet der Entwurf mit dem Vorwand, daß sich einer nur auf das Pressegesetz abgestellten Begriffsbestimmung erhebliche Schwierigkeiten entgegenstellen. Gerade diese Schwierigkeiten drängen dazu, eine Definition des Begriffes „Zeitungsverleger“ zu geben, der vom privatrechtlichen Verlegerbegriff völlig verschieden ist.

Schon bei der Pressegesetzenquete im Jahre 1955 hat das Institut für Zeitungswissenschaft an der Universität Wien darauf hingewiesen, daß der Ehrenkodex der Journalisten eine strenge Trennung zwischen redaktionellem Teil und Anzeigenteil vorsieht: jede Betätigung eines Journalisten im Anzeigenwesen ist standeswidrig. Diesen Gegebenheiten müßte endlich einmal auch ein modernes Pressegesetz in den Bestimmungen über die Verantwortlichkeit Rechnung tragen. Neben dem verantwortlichen Redakteur für den Textteil müßte in Hinkunft der verantwortliche Anzeigenleiter treten, um so die strenge Trennung zwischen Text und Anzeigen auch formal zu unterstreichen.

Besonders heikel sind die Bestimmungen über die Entgegnung, die nunmehr die Bezeichnung „Gegendarstellung“ erhalten soll. Auch sie sind im neuen Entwurf nicht klarer geworden, können sich gegen die Presse im politischen Kampf überaus schikanös auswirken und stellen durch das neustatuierte Glossierungsverbot eine krasse Einschränkung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung dar. Wenn in den erläuternden Bemerkungen zu dem Entwurf darauf hingewiesen wird, daß er sich sehr wesentlich auf Rechtsmittelentscheidungen stützt, so ist damit auch alles gesagt, denn es ist ja nachgerade zu allgemein bekannt, daß die Auslegung des Pressegesetzes gerade in den letzten Jahren im zunehmenden Maß pressefeindlich war. Das Pressegesetz wurde als Gesetz gegen die Presse ausgelegt.

Wie ist es zu erklären, daß sich nicht nur in Österreich, sondern auch in Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz anderer Länder, aber auch in der breiten Öffentlichkeit eine pressefeindliche Einstellung abzeichnet?

Die Presse ist an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig. Man muß zugeben, daß ein Teil der Tageszeitungen und ein Großteil der Illustrierten die Pressefreiheit durch ungebührliche Ausbreitung der privaten Sphäre mißbraucht. Das könnte den Ruf nach legistischen Maßnahmen irgendwie verständlich erscheinen lassen. Trotzdem müssen sie aus dem Wesen der publizistischen Arbeit und dem Geist der Pressefreiheit heraus abgelehnt werden. Der vorliegende Entwurf sucht in vielen kleinen Einzelbestimmungen die Pressefreiheit einzuschränken und die Pressearbeit zu erschweren. Die Sache wird dadurch nicht einfacher, daß den Verfassern des Entwurfes ein tieferer Einblick in die Wirklichkeit des Zeitungslebens fehlt. Diese Unkenntnis der Zeitungspraxis zeigt sich am deutlichsten in den erläuternden Bemerkungen über die Abberufung eines untauglichen und Bestellung eines tauglichen verantwortlichen Redakteurs, die dazu dienen sollen, die Einführung einer in der österreichischen Rechtsordnung bisher völlig unbekannten „Sicherungsmaßnahme“ zu rechtfertigen. Nach dem vorliegenden Entwurf kann im Falle der Verurteilung des verantwortlichen Redakteurs dem Eigentümer einer Zeitung eine Geldleistung bis zu dem Betrage von 50 000 S auferlegt werden. Damit sollen die bisherigen rechtsstaatlichen Prinzipien über den Haufen geworfen werden und eine Tat doppelt bestraft werden. Ich weiß, daß man diese Behauptung durch feinsinnige juristische Überlegungen widerlegen wird, in der Praxis kommt es aber doch darauf hinaus, daß für eine Tat jemand bestraft wird, der damit, wie der Eigentümer, in keinem Zusammenhang steht.

Ein modernes Pressegesetz kann nichts anderes wollen, als die Pressefreiheit zu sichern und Mißbräuche zu verhindern. Die Pressefreiheit muß die zentrale Bestimmung des ganzen Presserechtes sein. Für das gesunde Funktionieren des Staatsorganismus ist die von der Presse geübte Kritik des öffentlichen Lebens und seiner Mißstände von entscheidender Bedeutung. Zur Tätigkeit der Presse gehören Herstellung, Herausgabe, Vertrieb, Beförderung und Verbreitung der Druckschrift. Unzulässig sind sowohl sachliche Behinderungen der Tätigkeit der Presse (Verweigerung der pflichtgemäß zu erteilenden Auskünfte und Informationen, Papierentzug, Maschinenbeschlagnahme, Geschäftsschließung usw.) wie auch alle Maßnahmen, die sich gegen die Person der an der Pressearbeit Beteiligten richten (Drucker, Verleger, Herausgeber, Redakteur usw.), soweit solche Eingriffe von Gesetz und Verfassung nicht ausdrücklich zugelassen sind. Der presserechtliche Schutz erstreckt sich auf alle Personen und Betrieb*, deren Mitwirkung für die Tätigkeit der Presse erforderlich oder üblich ist, wie zum Beispiel Zeitungspapierfabriken, Korrespondenz- und Maternbüros, Kolporteure, Kommissionäre, Sortimenter, Austräger, Verkäufer usw.

Aus der öffentlichen Aufgabe der Presse erwächst der neue Begriff der formellen oder passiven Pressefreiheit. Es handelt sich hier erstens um ein spezifisches Sonderrecht der Presse und zweitens um den Schutz des gesamten Zeitungsinhaltes gegen äußere und innere Eingriffe. Er ist heute um so wichtiger, als sich die Eingriffsmöglichkeiten ja gegenüber früher wesentlich vergrößert haben. Ausdrücklich muß darauf hingewiesen werden, daß sich dieser Abwehrschutz nur gegen jene Eingriffe richten kann, die die Presse als Vermittlerin geistigen Inhalts betreffen beziehungsweise die Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben behindern. Der im Begriff der passiven Pressefreiheit verankerte negatorische Anspruch der Presse richtet sich

• gegen staatliche Eingriffe,

• gegen private beziehungsweise wirtschaftliche Eingriffe,

• gegen Eingriffe auf sozialpolitischer Ebene und

• gegen jede Art von Standeszwang.

Man wird hier einwenden, daß es sich bei diesen Forderungen um bloße Theorie handelt. Daß dem nicht so ist, sei nur an einem einzigen Beispiel erläutert. Es wäre unbedingt Aufgabe eines modernen Pressegesetzes, die Unzulässigkeit aller Versuche zu statuieren, auf dem Umweg des Dienstverhältnisses der Beamten die Meinungs- und Pressefreiheit einzuschränken. Nach übereinstimmender zeitungswissenschaftlicher Lehre bedeutet es einen unzulässigen Verwaltungszwang gegen die Meinungs- und Pressefreiheit, wenn eine Behörde ihren Beamten die Mitarbeit an der Presse verbietet oder von der Erfüllung gewisser Aufgaben, wie vorherige Genehmigung, Zensur, dienstlicher Meldung usw., abhängig machen würde. Vergessen wir aber nicht, daß der Schutz des Redaktionsgeheimnisses und das Recht zur Zeugnisverweigerung vor Gericht zwei wesentliche Voraussetzungen für die publizistische Arbeit sind. Sie bedürfen daher eines Abwehrschutzes im Rahmen der Vorschriften über die formelle Pressefreiheit. Dieser Selbstverständlichkeit trägt der vorliegende Entwurf zwar im Strafverfahren Rechnung, dagegen fehlen entsprechende Bestimmungen über das Recht der Presse auf Zeugnisverweigerung und des Schutzes des Redaktionsgeheimnisses im zivilrechtlichen Verfahren beziehungsweise im Verwaltungsverfahren.

Diese kurzen Darlegungen zeigen bereits, daß ein wirklich modernes Pressegesetz nur ein Gesetz für die Presse sein kann und sein muß und wesentlich über den bisherigen Rahmen des Gesetzes hinaus auf den Schutz der Pressefreiheit bedacht sein muß. Ein derartiges Gesetz aber kann nicht ohne und darf nicht gegen die Presse gemacht werden. Es bedarf sorgfältiger Beratung und eingehender Diskussion. Der im Justizministerium gegenwärtig vorliegende Entwurf kann dafür im allerbesten Falle eine Diskussionsgrundlage abgeben.

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