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Ein Stück Rundfunkhader

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Das am 12. Februar dieses Jahres von einer Versammlung der ORF-Redakteure beschlossene Redaktionsstatut wurde nunmehr am 27. April von den Verhandlungspartnern (Generalintendant des ORF, Redakteurausschuß, Sektion Journalisten und Sektion Rundfunk und Fernsehen der Gewerkschaft Kunst und Freie Berufe im österreichischen Gewerkschaftsbund, sowie Zentralbetriebsrat des ORF) paraphiert.

Mit diesem Schritt neigt sich ein Kapitel Rundfunkhader seinem Ende zu, das in der unmittelbaren Vergangenheit allzuviel politischen Staub aufgewirbelt hat.

„Tief geschockt“ durch „unerhörte Umtriebe“ auf dem Wiener Zeitungsmarkt wurde bereits anläßlich der in vielen Punkten dubiosen Verschacherung und nachfolgenden Einschläferung des „Expreß“ der Ruf nach einer Reform des Medienrechtes laut. In dem sich wenig später abzeichnenden totalen Krieg zwischen „Kurier“ und „Kronen-Zeitung“ (der in der Zwischenzeit auf Sparflamme gedreht wurde), erhielt die Frage des Journalistenrechtes besondere Aktualität.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß sich all das, was sich in dem aus dem Jahr 1922 stammenden

Pressegesetz langsam angesammelt hat, keineswegs den Vorstellungen von einer zeitgemäßen legistischen Erfassung des Medienrechts entspricht. Bereits 1952 wurde deshalb eine „Gesamtreform“ erwogen, die jedoch bis heute nicht stattgefunden hat. Abgesehen vom reformbedürftigen Pressegesetz jedoch zielen die Vorstellungen einiger Reformer heute viel weiter: ein „Offenlegungs-gesetz“ soll den Versuch unternehmen, herauszufinden, wer beziehungsweise wessen „Meinung“ hinter einer Zeitung steckt; ein „Journalistengesetz“ soll die Forderung nach „Redakteursstatuten“ auf einen einheitlichen gesetzlichen Nenner bringen.

Grundsätzlich sind solche Bestrebungen zu begrüßen, da gerade beim Beruf des Journalisten das Spannungsfeld zwischen Freiheit bei Eigenverantwortlichkeit kontra betriebshierarchisch bedingter Weisungsbefugnis immer wieder neuen Zündstoff anliefert. Kollektiwer-tragliche beziehungsweise arbeitsrechtliche Probleme, die sich aus der besonderen Stellung des Journalisten ergeben (zum Beispiel in der Abfertigungsfrage), sind zu begrüßen, nicht jedoch Initiativen, wo das Kind mit dem Bad ausgeschüttet werden soll; denn Redaktionsstatuten sollen in erster Linie der freien Vereinba-

rung vorbehalten bleiben und nicht generell einer prohibitiven „Endlösung“ zugeführt werden (immerhin handelt es sich ja auch beim Journalisten um einen freien Beruf!).

„Prototyp“

In diesem Zusammenhang kommt dem Redakteursstatut des ORF, das auf die spezifische Eigenart des österreichischen Rundfunks Rücksicht nimmt, besondere Bedeutung zu, denn es ist ein erster Versuch, journalistische Freiheit einerseits und betriebshierarchisch bedingtes Weisungsrecht wenigstens grundsätzlich zu vereinbaren.

In der Präambel heißt es: „Die besondere Verantwortung und die besonderen Pflichten, die den Redakteuren des ORF durch das Rundfunkgesetz übertragen werden, rechtfertigen die Sicherung der Freizeit der journalistischen Berufsausübung und die Verankerung der Eigenverantwortlichkeit der Redakteure durch dieses Statut.“

Weiter geht es dann im Paragraph 2: „Jeder Redakteur des ORF ist im Rahmen des Rundfunkgeset-zes beziehungsweise der Dienst- und Geschäftsordnung der Gesellschaft in Ausübung seiner journalistischen Tätigkeit unabhängig ... Kein Redakteur darf gezwungen werden, in Ausübung seiner journalistischen Tätigkeit etwas zu verantworten, was der Freiheit der journalistischen Berufsausübung widerspricht.“

Im Paragraph 3 ist zu lesen, daß sich die Eigenverantwortlichkeit des Redakteurs auf die selbständige Gestaltung von Sendungen, eigener Beiträge und der besonderen Nachrichtensendungen im Rahmen der Bestimmungen des Rundfunkgesetzes beziehungsweise nach der Defl-

nition des Informationsstatutes bezieht.

Hier wird bereits die Diskrepanz offenkundig: niemand soll gegen seine eigene Überzeugung handeln beziehungsweise verantworten; was aber, wenn die Eigenverantwortlichkeit mit dem Auftrag eines Vorgesetzten (der eine abweichende Meinung vertritt) kollidiert? Dann fordert die idealisierte Objektivität ihre ersten Opfer.

Ein subtil ausgetüftelter Instanzenzug will für eine eingehende Breittretung der Meinungsverschiedenheiten sorgen, wobei bei endgültiger Entscheidung der Anlaß schon längst vergessen sein könnte.

Erste Instanz ist die Redakteursversammlung; sollte der Versuch einer gütlichen Einigung fehlgeschlagen sein, dann kann der Redakteursrat bemüht werden und anschließend noch ein Schiedsgericht. Immerhin kann die Entscheidung veröffentlicht werden.

Diese Prozedur kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine tendenzielle Neigung von weisungsgebundenen Rundfunkangestellten

besteht, wo der Wunsch nach Wohlwollen, Lob und Beförderung die Tendenz verstärkt, Vorstellungen der Vorgesetzten zu vertreten und über diese Medien in die Öffentlichkeit zu tragen. Eine Tatsache, die im spezifischen Anstellungsmonopol des ORF liegt, denn ein Zeitungsredakteur kann — wenn auch unter Schwierigkeiten — wenigstens von einer Zeitung zu anderen wechseln.

Alles in allem: die vorliegenden zwölf Paragraphen sind ein Prototyp. Die Schöpfer haben sich zweifellos mehr Mühe gegeben und sich auch einer konkreteren Sprache befleißigt als die Väter des Entwurfes zu einem „Journalistengesetz“. Daß es dennoch in dem Redakteursstatut Ungereimtheiten und Schwächen gibt, liegt nicht nur an der Komplexität der Materie, sondern insbesondere auch an der Tatsache, daß man eben in Österreich über keine umfassende, grundlegende und moderne Regelung des Medienrechts verfügt. Solange hier nicht Pionierarbeit geleistet wird, muß alles andere — wie auch bisher — Stückwerk bleiben.

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