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Täglicher Kampf um die Menschenrechte

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Am 11. Oktober 1959 veröffentlichte die Tageszeitung „Die Presse“ eine Zuschrift des Präsidenten der Wiener Rechtsanwaltskammer. Dr. Hunna, über die Pressefreiheit und das Vertrauen in die Justiz. In der Wochenzeitung „Die Furche“ Nr. 44, Seite 4, findet sich ein Aufsatz des Landesgerichtspräsidenten und des Präsidenten des Oesterreichischen Juristentages, Dr. M a 1 a n i u k, über „Presse, Meinungsfreiheit und Immunitä.t". Anlaß zu diesen Veröffentlichungen bot weniger die Presse- und Meinungsfreiheit an sich, sondern ein konkreter Fall, der im In- und Ausland Aufsehen erregt hat und sogar zu einer Anfrage einer maßgeben den internationalen juristischen Vereinigung geführt hat, die die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten als ihr besonderes Aufgabengebiet betrachtet. Es handelt sich um die Verurteilung eines Redakteurs der Zeitung „Express", die ihm eine am 26. Juni 1959 verfaßte Kritik an dem Schlußplädoyer des Ersten Staatsanwaltes im „Gaßner-Prozeß“ eingetragen hat. Der Zeitungsschreiber wurde auch in zweiter Instanz für schuldig befunden, er habe den Ersten Staatsanwalt in den Stellen seines Berichtes:

„So angeschlagen, ging der Erste Staatsanwalt in sein Plädoyer. Eine zweieinhalbstündige, in wehleidigem Ton vorgetragene Abhandlung, deren Gemeinplätze Hedwig Courts- Mahlers gesammelten Werken entnommen schienen .

Er verteidigte sogar dort, wo es keinem vernünftigen Menschen einfallen würde, auch nur ein Wort der Anklage zu verlieren. Die Brillanz in den Ausführungen des Anwaltes läßt die Anklagerede vergleichsweise als Schulaufsatz erscheinen “

namentlich in Beziehung auf eine Berufshandlung dem öffentlichen Spott ausgesetzt.

Die Aufsätze sprechen von einer Verantwortlichkeit der Presse und der Journalisten, nehmen die Aussage des Urteils, daß es sich bei der Darstellung des Journalisten um eine Verspottung gehandelt habe, als feststehende Größe, beziehen sich auf die Grenzen „objektiver Kritik" und stellen — so Malaniuk — die Freiheit der Meinungsäußerung in Gegensatz zur Frage der Privilegierung der Journalisten. Diese würde sogar mit dem Gleichheitssatz in Konflikt kommen, der allen Staatsbürgern zugute kommt.

All das ist richtig, dann aber unrichtig, wenn die gerichtliche Verantwortlichkeit des Journalisten vorbehaltlos dargestellt wird und die angesehenen Fachmänner eine Verantwortung für das Vertrauen in die Justiz postulieren. Damit erweckt man den Anschein, als ob das Vertrauen in die Justiz etwas Feststehendes wäre. Das ist nicht der Fall. Ob das Vertrauen in die Justiz besteht oder nicht besteht, hängt vom Gefühl des Rechtsuchenden ab. Dieses wiederum wird durch die Handlungen der Justiz und der verantwortlichen Organe bestimmt.

Das Vertrauen in die Justiz ist etwas Subjektives. Es wird von der Presse untergraben, wenn ihre Berichte Unrichtiges in bezug auf die Justiz darstellen. Ist dies nicht der Fall, das Vertrauen aber erschüttert, dann untergräbt die Justiz ihr Vertrauen selbst. Die Presse kann hierfür nicht verantwortlich gemacht werden. Ob die Presse das Vertrauen in die Justiz untergraben kann, hängt von der Spannweite des Rechtes auf freie Meinungsäußerung ab. Welche zentrale Bedeutung dieses Grundrecht im Grundrechtskatalog einnimmt, hat M a r c i c ebenso deutlich gemacht wie die Internationale Juristenkommission, die gerade diesem Thema anläßlich ihrer Wiener Tagung im Jahre 1957 breiten Raum geliefert hat. Die Früchte dieses Rechtes, das in Wahrheit eine vom Staat selbst gesetzte Schranke ist, werden nur dann wohltuend sein können, wenn der Mensch — ob Journalist oder sonst einer, der zur Feder greift — sich der Verantwortung bewußt ist, die dem Gebrauch der Sprache zukommt, und der Staat weiß, daß ein Zuwenig an dieser Freiheit gefährlicher ist als ein Zuviel. Denn durch die Einschränkung der Meinungsäußerung ist der Fuß auf den Weg zur Diktatur gesetzt. Das hohe Gut der Meinungsäußerung ist an einem anderen Gut dermaßen abzuwägen, ob diesem vor jenem oder umgekehrt der Vorzug gegeben werden kann. Diese Güter abwägung setzt subtiles Eindringen in die Materie voraus.

Im vorliegenden Fall wurde von seiten der Obrigkeit behauptet, der Journalist habe einen Staatsanwalt dem öffentlichen Spott ausgesetzt. Sicher ist, daß die Worte des Journalisten menschlichen Takt vermissen lassen. Ebenso sicher ist, daß sich nicht alle Aussagen gegen den Menschen, Herrn Hofrat Dr. Hörmann, sondern gegen sein Plädoyer richteten, also gegen eine Handlung des Staates. Es ist nur das hergebrachte Obrigkeitsdenken, das diese Handlung mit der eines Individuums identifiziert, obschon in Wahrheit der Staat durch sein Organ gesprochen hat.

Diese Staatshandlung forderte eine Reaktion aus. Sie äußerte sich in einer ganz bestimmten Meinung. Der Journalist oder wer sonst seine Meinung äußert, ist für das Maß der Reaktion verantwortlich. Ist die Reaktion übermäßig, dann muß der Mensch für dieses Uebermaß einstehen. Das gilt nicht nur für den Journalistenstand, sondern für jedermann. Wohl steht der Journalist im Vordergrund. Er ist der Verwalter der wichtigsten Mittel, die diese Reaktion auslösen. Wenn er im Vordergrund steht, so kann doch die Frage nicht rundweg verneint werden, ob nicht gerade sachlich gerechtfertigte Gründe dafür sprechen, daß die Verantwortlichkeit des Journalisten gegenüber solchen Aeußerungen, die die Oeffentlichkeit oder den Staat betreffen, qualifiziert werde?

Der vorliegende Fall führt nun zu der Frage, ob die Kritik des Journalisten am Plädoyer des Ersten Staatsanwaltes maßvoll war. Das Maß bestimmt nicht etwa das verletzte Vertrauen in die Justiz — denn das ist keine Rechtsgröße —, sondern die staatliche Handlung, die die Kritik herausfordert. Wenn das Plädoyer des Ersten Staatsanwaltes — eines Interessenvertreters des Staates — unsachlich wäre — mir scheint es unsachlich schon dann, wenn ein Staatsanwalt einen fremden Menschen mit Du anredet —, dann wird dieser Unsachlichkeit eine Kritik aüf’den FiiB folgen müssen. Es sed’denn, man hält den Richter-oder den Verwaltimgsbeamteh nicht für einen Diener an der Oeffentlichkeit, sondern für einen „Herrn", dem der „Untertan" gegenübersteht. Die Kritik wird also die Unsachlichkeit des Plädoyers herauszustellen haben, wenn ihr das wert ist. Sie muß aber in einem Verhältnis zum Kritisierten stehen. Ist sie unverhältnismäßig, dann erfüllt sie strafbare Tatbestände und fordert mit Recht die Beschneidung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung heraus.

Die Betrachtung des Urteils, das den Journalisten für schuldig erkannt hat, ergibt, daß in den Entscheidungsgründen solche oder gleich artige Erwägungen nicht angestellt worden sind. Mit keinem Wort wird der Verhältnisse der bezogenen Gesetzesbestimmungen zum Recht auf die freie Meinungsäußerung (Art. 13, StGG.

und Art. 10 der Konvention für Menschen rechte) Erwähnung getan. Der verurteilende Richter hat allein § 491 StG. beachtet.

Das macht das Verfahren bedenklich; bedenklich’ eben deshalb, weil man die höhere in Ver- fassungs- und Völkerrechtsnormen zum Ausdruck gebrachte Rechtssphäre nicht zu beachten scheint. Ich will nicht behaupten, daß das Ergebnis, zu dem das Urteil kommt, von vornherein unhaltbar ist, sondern, da es mit grundlegenderen Rechtsfragen nicht konfrontiert wurde — obschon die Grundrechte auch die Gerichtsbarkeit ebenso binden wie die Gesetzgebung und die Verwaltung —, einseitig, daher willkürlich ist. Eine eingehende Gegenüberstellung des Sachverhaltes würde zu einer sachlich abgerundeten Lösung führen. Das auch dann, wenn man unter dieser Bedingung zu einer Verurteilung des Journalisten kommt.

Erst die beiden Artikel der angesehenen Fachmänner — der Präsidenten Dr. Hunna („Die Presse“) und Dr. Malaniuk („Die Furche") — haben das Problem in die richtige Lage gestellt. Damit ist das Urteil in der Sache in das Prinzipielle gehoben worden. Der Grund, warum sich das Gericht mit der grundlegenden Frage — nämlich dem Verhältnis des § 491 und § 493 StG. zum Art. 13, StGG. und dem Verhältnis von Plädoyer, Kritik am Plädoyer und dem Recht auf freie Meinungsäußerung — überhaupt nicht auseinandersetzt, bleibt im Verborgenen. Gründe können nur vermutet werden: Das Menschenrecht ist zuwenig bewußt, trotz Sonntagsreden und Versicherungen; die Gerichtsbarkeit steht unter keiner wirksamen Sanktion, die Menschenrechte zu achten I C a n a v a 1 hat in seiner bemerkenswerten Studie „Bedenkliche Pressejustiz“ („Salzburger Nachrichten“ v. 4- 5. Juli 1959) geäußert, daß die Akte der Gerichtsbarkeit keiner effektiven Kontrolle unterworfen sind, ob sie die Grund- und Freiheitsrechte — wie sie positivrechtlich aufgezeichnet sind — beachten. Diesen Bedenken ist nur beizupflichten. Wenn man weiß, daß das deutsche Bundesverfassungsgericht in der Hauptsache Individualbeschwerden zu erledigen hat, die sich gegen Akte der Gerichtsbarkeit und nicht gegen Akte der Verwaltung richten, daß die Europäische Kommission für Menschenrechte desgleichen mit sehr vielen Anträgen gegen Akte der Gerichtsbarkeit bedacht wird,- und wenn man im koHkreten FäJJ die absolute Ignoranz gegenüber einer höheren Norm feststellen muß, dann wird man sich über kurz oder lang auch in Oesterreich eingehend mit der Frage befassen müssen, die Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes dahingehend zu erweitern, Akte der Gerichtsbarkeit zu überprüfen, von denen die Verletzung von Grundrechten behauptet wird. Der vorliegende Fall wäre zumindest einer Untersuchung in dieser Hinsicht wert. Erst wenn das geschehen ist, wäre der Problemkreis, den der Fall aufgeworfen hat, abgerundet. Das Vertrauen in die Justiz, die keine Erwägung außer acht gelassen hätte, um das Rechte zu finden, wäre gestärkt.

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