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Hoffentlich — eine Schlußbilanz

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Der Fall des im Zusammenhang mit dem Schund-und-Schmutz-Gesetz versetzten Wiener Staatsanwalts Dr. Franz Erhärt hat weite Kreise gezogen. Eine Reihe katholischer und anderer Organisationen hat sich in Eingaben an den Bundeskanzler und den Justizminister gewandt und um Aufklärung gebeten. Die katholische Presse hat ausführlich Stellung genommen. Die Auslandspresse hat sich lebhaft interessiert. In der Bevölkerung selbst ist weithin lebhaftes Echo geweckt worden, und zahlreiche Zustimmungen zu den Stellungnahmen der katholischen Presse haben das rege Interesse breitester Kreise bewiesen.

Die Sicherheitsbehörden haben den Fall genauesten verfolgt und — fast scheint es — mit großer Nervosität. „Der Fels“ (die Beilage desWiener Kirchenblattes“), das „Offene Wort“ und zwei Aussendungen der „Kath- preß“ wurden behördlich beschlagnahmt. Ohne Zweifel, es ist die Aufgabe der zuständigen Pressebehörden, ungerechtfertigte Verdächtigungen gegen amtliche Stellen und Träger öffentlicher Autorität zu unterbinden und unberechtigte „Aufwiegelung“ der öffentlichen Meinung hintanzuhalten. Aber es läßt sich doch sehr schwer die Frage unterdrücken: Warum gerade in diesem Fall so überaus rigoros? Wenn das immer so gehandhabt würde, kämen wohl manche Blätter aus den Beschlagnahmungen überhaupt nicht heraus. Aber wie immer, so auch hier: gerade diese unerwarteten Konfiskationen haben dazu beigetragen, die Angelegenheit zum Gegenstand breitesten Interesses zu machen.

Eines ist durch diesen Fall ohne Zweifel klargeworden, und das müßte man sich merken: das katholische Volk und darüber hinaus weiteste Schidkten in den Kreisen aller religiösen und politischen Bekenntnisse sind in dem Punkt überaus empfindlich, wo es um Gesundheit oder Ruin der Jugend geht! D i e Front der Anständigen im österreichischen Volk ist breit genug, um sich Gehör zu verschaffen. Damit möge man rechnen, wenn man mit unserer Jugend noch billigere Geschäfte machen will und vielleicht versucht, die Maßnahmen zu ihrem sittlichen Schutz noch mehr zu lockern.

Die Sache um Staatsanwalt Erhärt selbst hat inzwischen eine gewisse Klärung erfahren: aus einem Antwortschreiben des Herrn Bundeskanzlers an die Katholische Jugend und einem gleichlautenden an die Katholische Aktion geht hervor, der Herr Bundesminister für Justiz habe in einer mündlichen Aussprache erklärt: „Dr. Erhärt wurde über Antrag des Herrn Oberstaatsanwalts in eine ihm turnusmäßig gebührende höhere Stellung berufen. Die Versetzung war durch die im Beamtenschema eben notwendige Vorrückung gegeben. Der an seine Stelle kommende Nachfolger verbürgt dieselbe Tätigkeit wie Doktor Erhärt beim Wiener Jugendgericht.“ Bisher ist außer dieser Mitteilung an den Herrn Bundeskanzler von einer Vorrückung des bisherigen Staatsanwalts in eine höhere Stel-lung noch nichts bekanntgeworden. Sobald sich diese Zusage erfüllt hat, könnten die Akten über diesen Fall geschlossen werden, wenigstens soweit sie die Persönlichkeit Doktor Erharts selbst betreffen. Wir werden uns mit ihm freuen, wenn er seine bewährte Tätigkeit an einer höheren und verantwortungsvolleren Stelle in Dienst stellen darf. Wir wollen alle Zweifel beiseite schieben, die sich unwillkürlich aufdrängen, ob es nicht wieder einmal ein „Promoveatur — ut amo- veatur“ ist. Endgültig werden sie erst beseitigt sein, wenn der Beweis erbracht ist, daß nach der Neubesetzung der wichtigen Stelle im Jugendgericht die gewissenhafte Handhabung des Gesetzes zum sittlichen Schutz der Jugend tatsächlich in der notwendige» Weise weitergeführt wird.

Aber eine Frage läßt sich nicht ganz beiseite schieben: Warum ist die Klarstellung so spät erfolgt? Die Versetzung Dr. Erharts ist unter Umständen bekanntgeworden, die sie als Diskriminierung erscheinen lassen mußten. Weitverbreitete Presseorgane haben öffentlich und laut triumphiert und die Versetzung als verdienten „A bschuß“ erscheinen lassen. Geschäftstüchtige Spürnasen haben Morgenluft gewittert. In der anständigen Bevölkerung sind ernste Befürchtungen über die Folgen dieses Schrittes laut geworden. Aber von nirgendher ist eine Klarstellung erfolgt. Hätte man nicht gleich den verdienten Beamten dem Zwielicht entreißen können, in dem er in den Augen der Oeffentlichkeit als „Gemaßregelter“ erscheinen mußte? Hätte man nicht gleich die falschen Hoffnungen auf der einen und die „unbegründeten“ Befürchtungen auf der anderen Seite durch ein klärendes Wort zerstreuen können? Mußte tatsächlich erst mit Fäusten an die Tür getrommelt werden, mußte erst eine Pressekampagne entfesselt, mußten erst Zeitungen beschlagnahmt werden, um diese schuldige Klarstellung zu erreichen?

Und letztlich bleibt noch eine Frage offen: der Verteidiger Dr. Korn hat in seinem Plädoyer erklärt, daß die Nationalräte aller Parteien sich einig seien, daß die durch Dr. Erhärt geübte Handhabung des Schmutz-und-Schund-Gesetzes nicht berechtigt sei und daß man deshalb an eine Novellierung des Gesetzes denke. Eine vielgelesene Tageszeitung hat diese Behauptung wörtlich und fett gedruckt veröffentlicht.

Bisher ist keine Stimme eines Nationalrates irgendeiner Partei bekanntgeworden, die dieser Behauptung widersprochen hätte. Schweigen bedeutet Zustimmung. Hat also Dr. Korn tatsächlich die Meinung sämtlicher Nationalräte ausgesprochen? Es würde uns ungemein interessieren, auf diese Frage eine Antwort zu hören. Die Bevölkerung hätte ein Recht, zu wissen, wie die gewählten Vertreter, die die Interessen des Volkes und der Jugend des Volkes zu wahren haben, wirklich denken.

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