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Jugendkriminalität und Schundliteratur

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Die Vergiftung unserer Jugend durch gewissenlose Geschäftserzeugnisse der Druckerpresse ist zu einer Angelegenheit des ganzen Volkes geworden. Die Sprache der Polizei- und Gerichtssaal-■ berichte über die durch diese Verbrecherliteratur hervorgerufene zunehmende Jugendkriminalität bedarf keiner Erklärungen mehr. In dem folgenden Aufsatz nimmt ein erfahrener Jugendpfleger zu dem Stande der Abwehr Stellung. Wir werden die Diskussion über das Thema fortsetzen. „Die Furche“ 4

Die Schundliteratur, die während des Krieges und insbesondere nach dem Kriege lawinenartig auf unsere Jugend hereinbrach, beschränkt sich nicht nur auf obszöne Machwerke, sie hat es durch ihre die Phantasie der Jugend aufreizende und in falsche Bahnen lenkende Verbrecher- und Abenteurerschriften verstanden, bei der Jugend in einem Ausmaß Eingang zu finden, wie sich N i c h t e i n g e w e i h t e dies überhaupt nicht vorstellen können. Diese „Jugendschriften“ verherrlichen in Wort und Bild die rohe Gewalt und das Verbrechen, ja sie geben oft — auch dies ist aus Gerichtssaalberichten aller Länder zu erweisen — direkte Anleitungen für eine verbrecherische Tat.

Die „Furche“, die diesen Tatsachen von Anfang an die größte Aufmerksamkeit geschenkt hat, hat bereits im Jahre 1949 über die großen Verheerungen berichtet, welche die in den USA in Millionenauflagen erscheinende Comic-Books-Literatur an der amerikanischen und auch englischen Jugend anrichtet. In der angesehenen Schweizer Monatsschrift „Pro Juventute“ spricht Dr. Burgauer über ähnliche Verhältnisse in Frankreich, wo nicht nur diese Hefte von Hand zu Hand gehen, sondern wo sogar verschiedene Boulevardblätter, die auf den Handverkauf angewiesen sind, ihren Zeitungen besondere Beilagen für Jugendliche anschließen, in denen „hemmungslos geschossen, gemordet, betrogen, gelogen, vergiftet und geraubt“ wird. Dr. Burgauer weist auch darauf hin, daß die Schweiz als ein Land, das von den Verheerungen zweier Weltkriege verschont geblieben ist, von dieser Schundliteratur, die über die Grenzen kommt, in steigendem Maße mitbetroffen wird. Die Wirkung ist immer dieselbe: Vergiftung der jugendlichen Phantasie, Irreleitung ihrer gesteigerten Lebensaktivität und damit Anreiz zu verbrecherischen Handlungen. Eine ganze Reihe von Beispielen aus Frankreich und aus der Schweiz beweist dies zur Genüge.

Österreich hat nach ziemlich langer propagandistischer Vorbereitung im vorigen Jahre das schon lange erwartete Gesetz zur Bekämpfung dieser Schundliteratur erlassen. Es ist nun acht Monate bereits in Geltung. Daher dürfte es wohl angezeigt sein, sich darüber Rechenschaft zu geben, ob und inwieweit dieses Gesetz den beabsichtigten Erfolg wirklich gezeitigt hat. In der „Furche“ vom 1. Jänner 1951, Nr. 1, wird dies vielleicht nicht mit Unrecht stark in Frage gestellt. Der Verfasser weist in seinen „Randbemerkungen“ darauf hin, daß die Verkaufsstände noch immer von Schundliteratur ärgster Art strotzen und meint, daß es mit Ausnahme von Wien anscheinend nirgends zu Verbotsanträgen, wie sie im Sinne des Gesetzes verschiedenen öffentlichen und privaten Stellen zustehen, * gekommen sei. Ganz so schlimm ist die Sache wohl nicht. Was zum Beispiel die Steiermark und die Landeshauptstadt Graz anlangt, so hat das städtische Jugendamt Graz bisher in 17 F ä 1-len im Sinne der 10 und 11 des Gesetzes vom 3 1. März 195 0, BGBl. Nr. 9 7, Anträge an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark gestellt. Die Sicherheitsdirektion hat allen Anträgen Folge gegeben und die Verbreitung einer ganzen Reihe von für die Jugend schädlichen Magazinen und Romanserien, darunter auch die vom Verfasser erwähnten, an Personen unter 16 Jahren, sowie ihr Ausstellen, Aushängen und Anschlagen an Orten, wo sie auch Personen unter 16 Jahren zugänglich sind, und ihren Vertrieb durch Straßenverkauf und Zeitungsverschleißer für den Bereich des Bundeslandes Steiermark schon im Jahre 1 9 5 0 untersagt. Weitere Anträge werden ständig gestellt.

Das Jugendamt Graz hat von vornherein sich nicht auf ein Verbot innerhalb des politischen Bezirks der Stadt Graz beschränkt, sondern im Sinne des 11, Abs. 2, das Verbot für das ganze Land beantragt.

Auf Grund unserer Erfahrungen muß ich aber dem Verfasser der „Randbemerkungen“ recht geben, wenn er sich von dem Gesetze eine stärkere Wirkung erwartet hat. Die Begründung dafür, daß der Erfolg des Gesetzes nicht den Erwartungen entspricht, liegt wohl in erster Linie darin, daß man die Sintflut der Schundliteratur nicht an ihrer Quelle oder wenigstens möglichst nahe an ihr, sondern erst viel zu spät, nämlich erst dann, wenn sie schon in die Länder und Bezirke gedrungen ist, zu bekämpfen sucht. Das Natürlichste wäre es ja wohl,den Druck solcher, für unsere Jugend erwiesenermaßen verderblicher Erzeugnisse überhaupt zu verbieten und sich zu einer Reform des Pressegesetzes zu verstehen. Doktor Burgauer, dem als Vertreter eines so freiheitsliebenden Volkes, wie es die Schweizer sind, wohl einige Beachtung beizumessen wäre, sagt darüber meines Erachtens mit vollem Recht: „Endlich wird von manchen Leuten gegen die energische Bekämpfung von Schund-und Schmutzliteratur Sturm gelaufen, weil behauptet wird, daß eine solche Einstellung nicht mit unserer Pressefreiheit in Einklang gebracht werden könne —, als ob sich nicht jedes verbriefte Freiheitsrecht immer nur auf der Grundlage der allgemein anerkannten Rechtsordnung im Rahmen der guten Sitten und bona fide verstehen würde.“ Ich glaube, diesen Worten ist nichts hinzuzufügen.

Wenn man aber an eine so radikale Lösung dieser Frage nicht herantreten will, so wäre es wenigstens notwendig, daß die Schundliteratur möglichst nahe an ihrer Quelle, also gleich nach der Drucklegung, da aber allgemein, erfaßt werden würde. Der 11, Abs. 3, des Gesetzes gibt dem Bundesministerium für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Unterricht die gesetzliche Möglichkeit, das Verbreitungsverbot für das ganze Bundesgebiet auszusprechen. Dies müßte natürlich gleich nach der Drucklegung, noch vor der Verbreitung geschehen. Denn wenn diese Schundliteratur schon bei allen Zeitungsverkäufern und in allen Verkaufsladen zu finden ist, ist es viel zu spät. Eine ganze Reihe von Jugendlichen hat diese Schriften schon in die Hand bekommen und sie an Kameraden weitergeben. Wie sehr diese Verbreitung von Hand zu Hand bei unseren Jugendlichen üblich ist, weiß jeder Lehrer und Erzieher.

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