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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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„EIN NEUES MOMENT DER TOLERANZ" nennt die Züricher „Orientierung“ den Kernpunkt der bedeutenden Popstansprache an die katholischen Journalisten Italiens, deren wichtigsten Teil die „Furche“ in der Weihnachtsausgabe veröffentlicht hat. Fassen wir noch einmal kurz zusammen: 1. Der Papst begrüßt die Einheitsbestrebungen der Welt auf politischem, sozialem und wirtschaftlichem Gebiet, soweit sie auf den Frieden gerichtet sind. Er sieht darin ein inneres, durch die Technik gefördertes Entwicklungsgesetz der Menschheit, das der Schöpfer in die Natur gelegt hat, und ein Ziel, auf das er sie ausgerichtet hat. 2. Zur Ueber- windung der auf diesem Weg auftretenden Schwierigkeiten, zumal in Fragen der Religion, gibt er den katholischen Staatsmännern zwei Grundsätze an die Hand: erstens das absolute Eintreten für das Wahre und Gute in Theorie und Praxis, so daß es nie erlaubt sein kann, das Falsche oder Böse zu tun. Zweitens unter Umständen die Praxis der Toleranz, das heißt, des Ertragens und Nicht-Behinderns von Irrtum und Fehlern. Dabei wird das „Unter Umständen“ dahin präzisiert, daß hier die Güter, die man durch das Handeln oder Tolerieren klugerweise zu erlangen hoffen darf, von Fall zu Fall gegeneinander abzuwägen sind, wobei bei sonst gleicher Schwere das Allgemeinere dem Besonderen vorgeht: das Völkerwohl dem Wohl des einzelnen Volkes oder Staates. Dieser Grundsatz gewinnt heute, nach der im ersten Teil geschilderten Weltentwicklung, ein von vielen nicht genügend beachtetes Gewicht. Er scheint es unmöglich zu machen, daß heute in einem katholischen Staat anderen nichtkatholischen Bekenntnissen ihre Religionsausübung untersagt oder behindert werde. Wenn der Papst nie ausdrücklich auch das Tolerieren andersgläubiger Propaganda erwähnt (ausgenommen indirekt an einer Stelle), so geht aus seinem Beweisgang doch deutlich hervor, daß auch diese den gleichen grundsätzlichen Erwägungen unterliegt. Dabei ist freilich zu beachten, daß der Schaden bei Tolerierung der Propaganda (zumal einer aufdringlichen, unfairen, die religiösen Gefühle der katholischen Bevölkerung verletzenden Propaganda) ein beträchtlich größerer sein kann als die Tolerierung der einfachen Ausübung eines Kultes. Jedenfalls ist durch den Blick auf die sich stets mehr ineinander verflechtende Welt und auf das Zusammenrücken der Menschen auf unserem Erdball ein neues Moment in die Diskussion über die Toleranz geworfen.

DIE HINRICHTUNG BERIJĄS — eine Ueber- raschung nur nach Art und Tempo des Verfahrens erfolgt im selben Augenblick, da die Vorbereitungen zum Treffen in Berlin auf vollen Touren laufen und die Diplomatie der Sowjets ansehnliche Erfolge in der Aufsplitterung des Westens zu erringen im Begriff ist. Seit 1936 bis 1938 fanden keine groß aufgezogenen Staatsprozesse in Moskau mehr statt, wohl regnete es einen Hagel von Absetzungen, Beschuldigungen und Verschickungen, die Betroffenen sind aber nicht selten sehr bald wieder in führenden Stellungen erschienen. Als der Krieg begann, holte man zudem noch einen Rest verschickter Offiziere aus den Lagern des Fernen Ostens und ließ sie zu Generalen und Feldmarschallen aufsteigen, die noch heute in Amt und Würden sind. Wird nun wieder das große Morden einsetzen? Die Flut der großen Säuberungen? — Beginnt eine neue Attacke gegen den „kriegsverbrecherischen, kapitalistischen“ Westen? Wird die „Friedensoffensive“ abgeblasen? Wir glauben es nicht. Ernste Zeichen sprechen eine andere Sprache. Berija wurde als „Bluthund" abgeurteilt, der in den vergangenen Jahrzehnten durch seine „Willkürgerichte“ verdiente Genossen um Leib und Leben brachte. Auf der Anklagebank mit ihm saßen engste Mitarbeiter, bewährte Spezialisten in der Terrorisierung von Angeklagten. Offensichtlich will sich das Regime Malenkow von der Blutschuld der Vergangenheit entlasten. Der Prozeß gegen Berija fand geheim statt, unter Ausschluß der Angeklagten und der Oeffentlichkeit. Beide hatten also keine Gelegenheit erhalten, in Haßtiraden noch weitere Anschuldigungen nach innen und außen vorzubringen. Allem Anschein nach entledigte man sich eines gefährlichen Konkurrenten, der mit der Vergangenheit und ihren schweren Fehlern intim verbunden war, auf möglichst knappem Wege. Damit wird ein wichtiges Element der Berija-Affäre im gegenwärtigen Augenblick sichtbar: ihre Bedeutung ist primär innenpolitisch verwurzelt, in den Schwierigkeiten des Regimes angesichts eines schweren Winters, angesichts der vom Generalsekretär der Partei, Chruschtschow, soeben eingestandenen katastrophalen Lage der Landwirtschaft sowie der Verbrauchsgüterindustrie. Cbrurchtschew gesteht, daß der Viehbestand in der Sowjetunion heute unter dem an sich niedrigen Stand von 1928 steht! Gleichzeitig schießt die „Prawda“ aus allen Rohren gegen die Ministerien der Konsumgüterversorgung. In der Anklageschrift gegen Berija standen denn auch diese Punkte durchaus im Vordergrund: Störung der landwirtschaftlichen Versorgung, Aufhetzung der Nationalitäten. Der einzige Punkt, der nach außen hin eine Spitze enthielt richtete sich gegen — England, nicht gegen Amerika! Berija wurde Zusammenarbeit mit dem englischen Geheimdienst vorgeworfen. Das ist hochbeachtlich: jenes Land, das neben Frankreich am meisten vom Kreml umworbep wird —, die Einladungen an hochkonservative“ Lords und an Arbeiterführer haben in den letzten Monaten neue Höhepunkte erreicht _ wurde also hier „angegriffen“. Das zeigt dodi wohl, daß Moskau gegenwärtig primär eirt einziges Interesse verfolgt, hinter dem alle anderen zurücktreten müssen: die Stärkung der inneren Front, die Festigung des Regimes. Die Misere in Rußland und in den Satellitenstaaten soll mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft werden: man blies also in den letz-'ten Wochen eine ganze Anzahl von Hochöfen' in Ungarn und Rumänien aus, stellte den Bail des für die Sowjetflotte wichtigen Schwarzmeerkanals ein, sucht mit allen Mitteln die Verbrauchsgüterindustrie und Landwirtschaft zu heben — und fand den Sündenbock für eine dreißigjährige Unterlassung und Fehlspekulation in Berija! Deshalb also die Er-- klärung der Anklage, daß Berija bereits seit 19 17 gegen die Interessen der Sowjetvölker gearbeitet habe… Hinter seinem blutigen- Schatten aber ‘ tritt die immer noch' furchterweckende Gestalt des Hauptangeklagten hervor. Jenes Mannes, der Berija in sein Amt als Henker rief und der ihn hielt bis zum allerletzten Tag seines Lebens…—-- Ein kurzer Artikel im Inneren der sowjetischen Blätter gedenkt des letzten Geburtstages von J. W. Stalin.

DIE WEIHNACHTSFEIERTAGE IN UNGARN wurden nach allem, was man darüber hörte’ oder las, in diesem Jahr unter wesentlich anderen äußeren Bedingungen begangen afs noch vor einem Jahr. Damals wurde bekanntlich „auf einhelligen Wunsch der arbeitenden Bevölkerung“ der zweite Feiertag zum vollgültigen Arbeitstag erklärt. In den Auslagen 'der staatlichen Buchhandlungen prangten-, Bücher, die, mit Vorbedacht wenige Woche : vor Weihnachten auf den Markt geworfen, • weithin als „würdige Anthologien“ des Hasses gegenüber dem katholischen Klerus gepriesenwurden. Allerdings halfen ihnen die Lobpreisungen in der Parteipresse wohl kaum zu- einem Erfolg, obwohl die sonstige Auswahl an- „Geschenken", die allernötigsten und längst entbehrten Besorgungen an Kleidung oder an- Lebensmitteln miteinbegriffen, weniger als ge--, ring war. Dieses Jahr fiel im Sinne des kon- , sequent und stets zitierten „neuen Regierungs-t-, Programms“ manches anders aus. Der stupide,. Haß und die chronische Unterschätzung des, gesunden Menschenverstandes wich einer höheren Einsicht, die sich in Ungarn zuallererst- im bekannten Personenwechsel an der Spitze, und seither in Maßnahmen manifestierte, dip,., darauf abzuzielen schienen, das Leben halb- , wegs erträglicher zu. gestalten, die Menschen nicht hoch mehr zu provozieren. Gering-, Schätzung und Haß gegenüber der Religion, wird nicht mehr sichtbar propagiert. Der schöne alte Name „karäcsony' — der ungarische Name für Weihnachten — schien, umrankt von Tannenzweigen, zumindest über den Sonder-., inseraten der Warenhäuser, wieder auf, ja es, wurde in den verschiedensten Verlautbarungen sogar wieder von „nahenden Feiertagen“ gesprochen. Kleine Konzessionen, die nichts kosten, gewiß. Sie kosten aber doch etwas: den besonders der Jugend bisher mit aller. Kraft eingeimpften Glauben an die Unfehlbar-, keit und Geschlossenheit der kommunistischen, Ideologie! Nirgends mehr liest man über Staat-' liehe „Tannenbaum-Feiern“ in den Schulen, dafür wurde in den Fabriken am 24. Dezember nur am Vormittag gearbeitet. Und — große Ueberraschung — auch der S t. - S t e p h a ns T ag war wieder Feiertag. Von det Geschenkfront ebenfalls gute Nachrichten. Rekordumsätze am Silbernen und Goldenen Sonntag. Spielzeug, Bijouterie, Modeartikel fanden’’ glückliche Käufer. Man kann nur hoffen, daß die Annäherung an die „traditionellen" Weih-’ nachten, die man allerorts so oft nur mit dem ' Ausmaß der Beschenkung und des Beschenkt-' werdens zu messen gewillt ist, die neue Tradition aus den Jahren der geschenklosen ’ Weihnachten, das Bild der von dunklen Men-'- schenmassen zur Stunde der mitternächtlichen Christmette wahrhaftig belagerten Budapester Kirchen nicht vergessen machen wird.

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