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Die Anwälte hatten das Wort

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Seit sechs Jahren arbeitet die Kommission zur Abfassung eines Strafgesetzentwurfes hinter verschlossenen Türen. Es ist daher sehr zu begrüßen, daß die Österreichischen Anwaltskammern vor kurzem unter Vorsitz des Präsidenten, Herrn Dr. Emmerich H u n n a, auf dem Österreichischen Anwaltstag den bisher in erster Lesung abgeschlossenen Entwurf zur öffentlichen Diskussion gebracht haben. An dem Anwaltstag nahmen neben zahlreichen österreichischen Anwälten auch Anwälte aus Westdeutschland und aus der Schweiz sowie eine Reihe hoher Justizfunktionäre teil. Nach der Begrüßung durch den Dekan der Wiener Juristischen Fakultät und durch den Bundesminister für Justiz hielt der Ordinarius der Innsbrucker Universität für Strafrecht, Prof. Dr. Now.akowski, der als Mitglied der Kommission an dem Entwurf mitarbeitete, ein ausführliches Referat über die bisher beschlossenen Bestimmungen.

TÄTERSTRAFRECHT: „EINE IRRIGE AUSLEGUNG“

In den drei weiteren Arbeitssitzungen wurden dann eine Reihe von Problemen besprochen. Zunächst wurde darauf hingewiesen, daß die Meinung, es werde jetzt das Tat- und Schuldstrafrecht durch ein Täterstrafrecht ersetzt und dadurch die Aufgabe der Abschreckung in den Hintergrund treten, durchaus irrig ist. Auch bisher sei bei dem Urteil auf die Persönlichkeit des Täters Bedacht genommen worden. Der Entwurf gebe durch eine Erweiterung des Strafrahmens nach oben und unten, durch die Sicherungsmaß-nahmen, durch die echte bedingte Verurteilung, durch das Absehen von Strafe in besonders leichten Fällen, dem Richter nunmehr in erhöhtem Maße die Möglichkeit, die Persönlichkeit des Täters zu berücksichtigen und insbesondere zu unterscheiden zwischen dem Gelegenheitstäter, dem kriminell anfälligen Täter und dem unverbesserlichen Gewohnheitsverbrecher. Im Entwurf ist eine außerordentliche Strafschärfung vorgesehen, die zur Anwendung kommen kann, wenn der Täter schon zweimal wegen strafbarer Handlungen bestraft worden ist und die neue strafbare Handlung auf derselben schädlichen Neigung wie die früheren beruht. Unter dieser Voraussetzung kann das Höchstmaß der angedrohten Strafe um die Hälfte überschritten werden. Eine frühere Verurteilung belastet nicht mehr, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre vergangen sind.

Eine besondere Verschärfung für Rückfallverbrecher, die für die öffentliche Sicherheit gefährlich sind, ist die Sicherungsverwahrung auf unbestimmte Zeit, die neben der Freiheitsstrafe ausgesprochen werden kann, die aber an Stelle der Freiheitsstrafe verbüßt wird. Vor Ablauf der Zeit, die der Dauer der ausgesprochenen Strafe entspricht, prüft das Gericht, ob der Rechtsbrecher noch weiter anzuhalten ist. Wird die Notwendigkeit weiterer Anhaltung bejaht, so ist die Prüfung alljährlich oder in besonders bestimmten Zeitabschnitten zu wiederholen.

Bedeutsam ist die im Entwurf enthaltene Einfügung des Systems der Bewährungshilfe durch besonders dazu ausgebildete und den Gerichten unterstellte Beamte des Bundes. Diese Beamten dürfen zu Geschäften der Sicherheit- oder der Kriminalpolizei nicht verwendet werden und während ihres Dienstes keine Uniform tragen. Ausnahmsweise können auch freiwillige Helfer zur Bewährungshilfe herangezogen werden. Der Bewährungshelfer hat den bedingt Verurteilten in angemessenen Zeitabständen zu besuchen, über seinen Lebenswandel und Umgang zu wachen, ihm mit Rat und Tat beizustehen und ihm durch Beschaffung von Unterkunft und Arbeitsgelegenheit zu einem ehrlichen Fortgang zu verhelfen. Auf der 2. Österreichischen Jugendrichtertagung vom Oktober 1958 in Graz wurde die Resolution gefaßt, daß womöglich die im Entwurf vorgesehene Bewährungshilfe noch vor Gesetzwerdung des ganzen Entwurfes in Kraft treten möge und daß insbesondere die erforderlichen Geldmittel hierfür sogleich beigestellt werden.

„FERIENGEFXNGNIS“?

Zur Verbüßung von Freiheitsstrafen für Fahrlässigkeitsdelikte, insbesondere Verkehrsdelikte, wurde in der Diskussion der interessante Vorschlag gemacht, für Angehörige von freien Berufen, die durch eine mehrmonatige Haft in ihrer

Existenz schwer beeinträchtigt würden, eine Art „Feriengefängnis“ einzurichten, in dem der Verurteilte seine Strafe in Teilen, und zwar jeden Samstag und Sonntag, jeden Feiertag und die gesamten Urlaubstage, in laufender Aufeinanderfolge bei sonstigem Widerruf, zu verbüßen hätte. Dem Täter wird dadurch für längere Zeit seine ganze Freizeit strafweise entzogen, es bleibt ihm aber die Möglichkeit, sich und seiner Familie die Existenz zu erhalten.

Für die Geldstrafen soll die Neuerung gelten, daß die angedrohte Höchststrafe bei Straftaten aus Gewinnsucht um den Betrag des angestrebten Gewinnes überschritten werden kann. Aber auch dann, wenn eine Freiheitsstrafe und keine Geld-' strafe angedroht ist, kann, wenn der Täter aus, Gewinnsucht gehandelt hat, neben der Freiheitsstrafe auf Geldstrafe bis zum Betrag des angestrebten Gewinnes erkannt werden. Hier wurde die Anregung gegeben, daß gegenüber dieser Erhöhung der Geldstrafe die Ersatzforderung des Geschädigten den Vorzug haben sollte.

Die Einführung von Sicherungsmaßnahmen im Strafrecht gegen Geisteskranke, Psychopathen, Alkoholiker und gefährliche Gewohnheitsverbrecher wurde von den Rednern allgemein begrüßt, wobei allerdings darauf hingewiesen wurde, daß es für die nächste Zeit sehr fraglich sei, ob die für die Errichtung der Anstalten notwendigen Geldmittel zur Verfügung stehen werden. Die gleiche Skepsis besteht ja auch hinsichtlich der Möglichkeit der Errichtung verschiedener Strafvollzugsanstalten, die notwendig wären, um dem Resozialisierungsgedanken zum Durchbruch zu helfen.

Die Diskussion brachte zu den juristischen Formulierungen des Allgemeinen Teiles viele wertvolle Anregungen, auf die bei der zweiten Lesung Bedacht zu nehmen sein wird, so hinsichtlich der Notwehrüberschreitung, des Notstandes, des Rücktrittes vom Versuch, der Begriffe der Öffentlichkeit, der Gewerbsmäßigkeit und andere.

Von den Regelungen im Besonderen Teil des Entwurfes wurden vor allem die Tötungsdelikte besprochen. Die Einschränkung des „Mord“-begriffes auf vorsätzliche Tötung, wenn sich darin „die Niedrigkeit des Wesens“ des Täters kundtut, stieß auf Widerspruch. Es wurde darauf hingewiesen, daß eine solche Bestimmung den Richter, insbesondere den Laienrichter, überfordere. Die Feststellung der „Niedrigkeit des Wesens“ sei von den ethischen Wertvorstellungen dessen abhängig, der gerade zu Gericht sitzt; eine solche gesetzliche Voraussetzung führe auch zu Beweisschwierigkeiten.

WIDERSPRUCH GEGEN „TÖTUNG AUS MITLEID“

Als einen besonderen Fall vorsätzlicher Tötung, der milder zu bestrafen ist, führt der Entwurf die „Tötung aus Mitleid“ an, die erfolgt, um einem anderen unerträgliche Leiden zu ersparen. Gegen die Privilegierung dieses Tötungstatbestandes erhoben sich viele Stimmen. Es wurde zunächst darauf hingewiesen, daß diese Bestimmung nicht nur für Ärzte gilt und daher die Gefahr des Mißbrauches um so größer sei. Aber auch für die Ärzte dürfte eine solche Privilegierung nicht gelten, da auch hier der Mißbrauch nicht ausgeschlossen werden könne und auch nie mit absoluter Sicherheit die Voraussage möglich sei, daß der Patient sich nicht doch erhole. Vor allem aber dürfe sich nie ein Mensch berechtigt erachten, das Leben eines anderen vorsätzlich zu beenden.

Der Anwaltstag befaßte sich auch mit der

Frage, ob das im Artikel VII der Strafgesetznovelle 1862 (sogenannter „Lasserscher Artikel“) bestimmte Verbot, eine Anklage oder das Ergebnis einer Beweisaufnahme in einem Strafverfahren vor der Bekanntgabe in der Hauptverhandlung zu veröffentlichen, in das neue Strafgesetz eingebaut werden soll. Die Kommission hatte im Hinblick darauf, daß sich auch der Entwurf des neuen Preßgesetzes mit dieser Bestimmung befaßt, beschlossen, vorläufig das Ergebnis der Beratungen über das Preßgesetz abzuwarten. Auf dem Anwaltstag wurde darauf hingewiesen, daß dieses Verbot, zumal es ja nicht nur um die Presse, sondern auch um den Rundfunk, das Fernsehen, die Laufbilder usw. geht, systematisch in das Strafgesetz und nicht in das Preßgesetz gehört. Im übrigen stand den Verfechtern der Notwendigkeit dieser Bestimmung die Meinung entgegen, es bestehe das Bedürfnis der Öffentlichkeit, über wichtige Straffälle so bald wie möglich unterrichtet zu werden, und es solle daher die Freiheit der Presse auch nach dieser Richtung gewahrt werden.

In den Beratungen wurden auch die Sittlichkeitsdelikte, die strafbaren Handlungen gegen die Rechtspflege und die Verletzung des Berufs-geheimnisses erörtert.

Mit dem Dank des Bundesministers für Justiz Dr. Broda für die Veranstalter und Mitarbeiter des Österreichischen Anwaltstages und dem Dank der Versammlung für den anwesenden 86jährigen Vorsitzenden der Strafrechtskommission, Prof. Dr. Ferdinand K a d e z k a, der durch seine unermüdlichen Leistungen den Abschluß der ersten Lesung ermöglicht hatte, schloß der Österreichische Anwaltstag 1960.

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