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Das Gebot des Rechtsstaates

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„Ich bin der Meinung, daß sich Dr. Sinowatz nicht gesetzwidrig verhalten hat. Ich bin der bedrttk-kenden Meinung, daß, wenn dieses Gericht ihn auf der Basis dieser Anklage schuldig spricht, das ein Fehlurteil ist."

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„Ich bin der Meinung, daß sich Dr. Sinowatz nicht gesetzwidrig verhalten hat. Ich bin der bedrttk-kenden Meinung, daß, wenn dieses Gericht ihn auf der Basis dieser Anklage schuldig spricht, das ein Fehlurteil ist."

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Mit dieser Aussage als Zeuge im Noricum-Prozeß hat Nationalratspräsident Heinz Fischer für Aufregung gesorgt. Kanzler Franz Vranitzky stieß mit einem „Denkanstoß" nach: Man möge überlegen, ob „politisches Handeln", für das es ja die Ministeranklage gebe, von Strafgerichten zu beurteilen sei.

Wenn einer der mittlerweile rechtskräftig verurteilten „Nori-cum"-Manager, denen vom Gericht immerhin zugestanden wurde, daß ihr Vertrauen auf die politische Dek-kung der illegalen Waffenexporte „einem Rechtfertigungsgrund nahekommt" und daher strafmildernd sei, als Zeuge im nunmehr anhängigen „Politikerprozeß" die Aussage gewagt hätte, daß ein Freispruch der angeklagten Politiker ein Fehlurteil wäre, so hätte ihn der Senatsvorsitzende gewiß und mit voller Berechtigung daraufhingewiesen, daß es einem Zeugen nicht zusteht, über Tatsachenmitteilungen weit hinausgehende wertende Aussagen über die juristische Qualität hypothetischer Urteile abzugeben.

Wenn dieselbe Aussage jedoch vom Präsidenten des Nationalrats gemacht wird, der sich selbst als Zeuge anbot, so ist dies in einem entscheidenden Punkt noch viel problematischer. Durch die Wiedergabe dieser Aussage in den Medien, mit der ja zu rechnen war, wird die Gefahr einer Beeinflussung von Berufs- und Laienrichtern heraufbeschworen, der der Gesetzgeber durch einen eigenen, von Amts wegen zu verfolgenden Straftatbestand im Mediengesetz, nämlich die „Verbotene Einflußnahme auf ein Strafverfahren", gezielt entgegenwirken wollte.

Dieser Tatbestand, der 1982 die berühmten „Lasser'sehen Artikel" ablöste, sei daher aus gegebenem Anlaß in Erinnerung gerufen (siehe Kasten rechts unten), zumal auch der „Denkanstoß" des Bundeskanzlers, das Gericht möge überlegen, inwieweit politische Vorgänge überhaupt vor die Strafgerichte gehören, nicht dazu angetan war, das Bewußtsein für die Problematik der Verfahrensbeeinflussung in der Öffentlichkeit zu stärken.

Auch aus dem Hinweis des Bundeskanzlers auf die Möglichkeit einer Ministeranklage vor dem Verfassungsgerichtshof resultiert Erklärungsbedarf. Eine solche Anklage ist für „schuldhafte Rechtsverletzungen" im Rahmen der Amtstätigkeit - im Regelfall also für Handlungsweisen unterhalb der strafrechtlichen Erheblichkeitsschwelle - vorgesehen,und die dabei allenfalls mögliche Sanktion kann im Normalf all nur im Amtsverlust bestehen.

Dieses in der Zweiten Republik höchst selten, zuletzt 1985 im Zuge des Ladenschlußstreits von der damaligen SPÖ-FPÖ-Bundesregierung gegen den früheren Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer zur Anwendung gebrachte, damals jedoch zurecht sanktionslos gebliebene Instrumentarium, ist praktisch ungeeignet, die strafrechtliche Verantwortung für Kriminaldelikte sicherzustellen.

Von der in der Verfassung (Artikel 143 Bundes-Verfassungsgesetz, siehe unten links) auch vorgesehenen -und durchaus problematischen - theoretischen Möglichkeit, die Anklage wegen gerichtlich strafbarer Delikte von obersten Amtsträgern ausschließlich vor dem Verfassungsgerichtshof zu erheben, wurde - soweit ersichtlich - in der Zweiten Republik noch nie Gebrauch gemacht. Im Falle „Noricum" wäre es dafür überdies schon zu spät.

Die „Staatsgerichtsbarkeit" des Verfassungsgerichtshofs begründet eine spezifisch politische Verantwortlichkeit, die die strafrechtliche, der die Politiker so wie jeder andere Staatsbürger auch unterliegen, nicht ersetzen kann und soll. Es gehört nun einmal zum Wesen des Rechtsstaats, daß niemand „legibus solutus" agieren darf.

Ganz abgesehen vom Anlaßfall ist darauf hinzuweisen, daß unsere Verfassung für den theoretischen Fall, daß ein Strafverfahren als staatspolitisch schädlich erscheint, eine juristisch saubere Möglichkeit vorsieht, ein solches Verfahren von vornherein zu vermeiden.

Dem Bundespräsidenten steht das Recht der Abolition (Artikel 65 Bundes-Verfassungsgesetz, siehe nebenan) zu, wodurch die aus dem Legalitätsprinzip resultierende Pflicht zur amtswegigen Strafverfolgung durchbrochen und das Verfahren ohne Mitwirkung der Gerichte niedergeschlagen wird. Dies ist der einzige rechtsstaatlich saubere Weg, dem Phänomen Rechnung zu tragen, daß es auch in einem Rechtsstaat Straftaten geben kann, deren Verfolgung dem Staat mehr schadet als nützt - womit freilich nichts darüber ausgesagt werden soll, ob der Fall „Noricum" wirklich ein tauglicher Anlaßfall für eine solche Vorgangsweise gewesen wäre.

Zum jetzigen Zeitpunkt aber, da die Manager in ihrem Verfahren bereits rechtskräftig verurteilt wurden und das „Politikerverfahren" im vollen Gang ist, ist es ein - wie gezeigt sogar strafrechtlich abgesichertes - Gebot des Rechtsstaats, die Gerichte frei von jeglicher Beeinflussung arbeiten zu lassen.

Der Autor ist Universitätsdozent und Strafverteidiger in Wien.

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