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Ein bedeutungsvoller Entscheid

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Ein Urteil, das für die künftige Pressearbeit in Österreich von prinzipieller Bedeutung ist — sogar das in München erscheinende „Archiv für Presserecht“ interessiert sich für den Entscheid —, fällte kürzlich der Oberste Gerichtshof. Die Essenz des Spruches populär ausgedrückt: Ein minderwertiges Literaturerzeugnis kann von einer Zeitung, auch wenn diese mit ihm laut Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in einem „Konkurrenzverhältnis“ steht, als „minderwertig“ bezeichnet werden.

Die Bedeutung, des Entscheides ist um so höher zu werten, da der Oberste Gerichtshof der bisherigen Sprüchpraxis offenbar nicht in allen Belangen folgte und so eine neue Plattform geschaffen wurde.

Den Präzedenzfall für das Urteil des Obersten Gerichtshofes bildete der sogenannte „Echo-Prozeß“. Im September 1960 war in der Beilage „Illustrierter Weltspiegel“ der in Niederösterreich erscheinenden St. Pöltner Preß-vereinsblätter ein Artikel mit der Überschrift „Sumpfblüten am Zeitungsstand“ erschienen. In dem Aufsatz wurde die Schmutz- und Schundliteratur, vor allem im Hinblick auf die Gefährdung der Jugend, einer ernsten Kritik unterzogen. Das „Echo der Heimat“ fühlte sich durch ein in diesem Zusammenhang gebrachtes Photo betroffen. Der Verlag Gustav A. Neumann reichte daraufhin die Klage wegen unlauteren Wettbewerbs ein und verlangte vom zuständigen Gericht, daß die beklagten Zeitungen verpflichtet werden sollen, die Behauptung, das „Echo der Heimat“ sei ein minderwertiges Literaturerzeugnis, zu unterlassen, zu widerrufen und den Widerruf zu veröffentlichen.

Das Kreisgericht St. Pölten beauftragte daraufhin einen gerichtlichen Sachverständigen mit der Ausarbeitung eines Gutachtens über das ..Echo der Heimat“. Es trat nun der in Österreich höchst seltene Fall ein, daß über Auftrag eines Gerichtes ganze Jahrgänge einer Zeitung einer kritischen Analyse unterzogen wurden.

In dem Gutachten — es ist ein F.xempel für einen bestimmten Teil der heutigen Presseerzeugnisse — zieht der Sachverständige unter anderem folgende Schlüsse über die Auswirkungen dieser Zeitung auf die Leserschaft:

Die ständige, gehäufte und weitschweifende Darbietung von Kriminal-, Sexual- und Skandalaffären verzeichnet die Lebenswirklichkeit und zwingt so dem durchschnittlichen, vor allem dem jugendlichen Normalleser vielleicht unbewußt ein völlig einseitiges, verzerrtes Weltbild auf. In dem oft mit minuziöser Genauigkeit geschilderten Ablauf von Gewaltverbrechen und Sittlichkeitsdelikten werden immer wieder Menschen in den Mittelpunkt des Lebensinteresses gerückt, die außerhalb der menschlichen Gesellschaftsordnung stehen und die gerade dadurch für die heranwachsende Jugend zu schlechten und gefährlichen Leitbildern werden. Die massive Kritik an der Justiz unterhöhlt das Vertrauen in einen Rechtsstaat in einem Ausmaß, das kaum gerechtfertigt erscheint. Durch die journalistisch ungerechtfertigten Eingriffe in die Privatsphäre des einzelnen und in die Intimsphäre von Ehe und Familie werden einzelne Personen immer wieder dem Urteil und den Vermutungen der Leser ausgeliefert.

In erster Instanz wies das Kreisgericht St. Pölten die Klage zur Gänze

ab und verurteilte den Verlag Gustav A. Neumann zum Ersatz sämtlicher Kosten. In der Urteilsbegründung führte das Gericht aus, daß nur ein relativ kleiner Teil des redaktionellen Inhalts des „Echo der Heimat“ einwandfreie Unterhaltung und objektive Information biete. Hingegen zeigten Inhalt und Form der Berichte, die ihren Stoff „aus den Niederungen des Lebens“ beziehen, unverkennbar die typischen Wesensmerkmale jener Schrifttumsgattung, die sowohl in der pädagogischen Fachliteratur als auch in der allgemein wissenschaftlichen als Schundliteratur bezeichnet wird.

„Echo der Heimat“ legte daraufhin Berufung ein, der vom Oberlandesgericht Wien auch teilweise stattgegeben wurde. Die zweite Instanz bestätigte zwar die Richtigkeit der Tatsachenbehauptung, doch gebot es den Preßvereinszeitungen, die Bezeichnung des „Echo“ als minderwertiges Presseerzeugnis zu unterlassen, da ein Konkurrenzblatt, das solches behaupte, wohl nicht ohne Bedachtnahme auf die Steigerung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit handle. Die zweite Instanz nahm also den Standpunkt ein, daß eine Zeitung eine andere nicht namentlich als ein minderwertige Literaturerzeugnis bezeichnen darf, weil dadurch das Gesetz zum Schutze gegen den unlauteren Wettbewerb verletzt würde. Der Verlag der Preßvereins-blätter legte durch Rechtsanwalt Doktor Alfred Haslinger Revision ein.

In dem endgültigen Entscheid des Obersten Gerichtshofes wurde das Ersturteil des Kreisgerichtes St. Pölten wiederhergestellt. Grundsätzlich setzt sich der Oberste Gerichtshof mit dem Begriff der Sittenwidrigkeit auseinander. Das Berufungsgericht hatte nämlich eine Sittenwidrigkeit in „vergleichender Reklame“ erblickt, weil die beklagte Partei den Erzeugnissen der klagenden Partei einen verschleierten, doch erkennbaren kräftigen Seitenhieb versetzt habe. Doch wenn man von der Tatsache ausgehe, daß wahrheitsgemäße Kritik erlaubt sei, dann kann eine Sittenwidrigkeit (im Sinne des 1 des Gesetzes zum Schutze gegen unlauteren Wettbewerb) nur in der Art und Weise der geübten Kritik gelegen sein. Maßstab für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit seien die anständigen Gebräuche im gesellschaftlichen Verkehr.

Der Oberste Gerichtshof verweist auch auf die Entscheidung des Deutschen Gerichtshofes, der entschieden hatte, daß die Verbreitung einer wahren Behauptung nicht grundsätzlich verboten werden könne. Die Verbreitung der wahren Behauptung ist vielmehr dort erlaubt, wo die Kenntnis des kränkenden Umstandes die Wahl der Allgemeinheit in richtige Bahnen lenken soll und kann. Gerade das, so stellt der Oberste Gerichtshof fest, trifft im vorliegenden Fall zu, ergibt sich doch aus dem Schlußsatz des inkriminierten Aufsatzes, daß der Zweck der Unterstützung der Forderung, die gesetzlichen Bestimmungen zur Bekämpfung von Schmutz und Schund zu verstärken, dienen sollte. Es kann daher im Vorgehen der beklagten Partei auch keine Sittenwidrigkeit im Sinne des 1 UWG erblickt werden, so daß in Stattgebung der Berufung das Ersturteil wieder herzustellen war.

Die Klage des „Echo“ wurde daher abgewiesen und dem Gustav-A.-Neu-mann-Verlag der Ersatz der Kosten auferlegt.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes hat eine neue Situation zur Bekämpfung von Schmutz und Schund geschaffen. Bisher war es häufig so, daß eine Zeitung in so manchen Fällen ein Wort der berechtigten Kritik unterließ, weil das angegriffene Organ sofort wegen unlauteren Wettbewerbs klagen konnte. Das Schmutz- und Schundgesetz war in vielen Belangen dadurch einer wesentlichen Stütze, nämlich der Unterstützung durch die anständige Presse, beraubt. Der Spruch des Obersten Gerichtshofes schuf eine neue Basis.

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