6687933-1962_25_03.jpg
Digital In Arbeit

Mir wer'n an Richter brauchen

Werbung
Werbung
Werbung

Mit einer Vorstellung des Bundesministeriums für Justiz setzen wir heute unsere Veröffentlichungen über die österreichischen Ministerien, ihren Aufbau und ihre Aufgaben, fort.

Die Redaktion

Der Vater der Verfassung der österreichischen Republik, Professor Hans Kelsen, hat unlängst einen Vortrag gehalten, der den Titel „Was ist Gerechtigkeit?“ trug. Nach einer umfassenden, gelehrten und pointierten Exposition der wichtigsten Rechtstheorien von Plato bis Marx, mußte Professor Kelsen am Schlüsse seiner Ausführungen resigniert zugeben, daß er nicht sagen könne, was Gerechtigkeit sei. Kein Rechtssystem habe es sowohl in der Theorie als in der Praxis vermocht, absolute Gerechtigkeit zu gewähren.

Dennoch ist das Streben nach Gerechtigkeit so alt wie die Menschheit selbst. Zu untersuchen, ob und wie weit die Menschheit damit weitergekommen ist, würde eine Habilitationsarbeit ausmachen. Sicher aber ist, daß sich die Menschen die Ver-fcfrkkchung dieses • Strebens zu allen Zeiten viel haben kosten lassen - im WfiVfereh“Sinne: durch einsarrit?'!Öpför° gänge und Revolutionen, im engeren Sinne: durch scharfsinniges Ausdenken von Rechtsprinzipien und Gesetzen, durch minutiöse und umfassende Organisarionen zu ihrer Anwendung und ihrem Vollzug.

Seitdem der einzelne noch selber sein Recht mit Zähnen, Klauen und Steinbeil, die Sippe es bluträcherisch mit Messer und Spieß verteidigte, die Menschen des Mittelalters es mit Standesgerichten und Femen und adelige Grundherren es in eigener Machtvollkommenheit sprachen und vollzogen, sind wir heute — wenn auch nicht überall — bei einem Rechtswesen angelangt, in dem Gesetzgebung, Gesetzesschutz, Rechtsprechung und Rechtsvollzug streng voneinander getrennt sind und einander zur Wahrung des Interesses aller und des einzelnen gegenseitig kontrollieren und überwachen.

So gibt es in Österreich außer und über der normalen Justizwaltung eine solche des sogenannten „Öffentlichen Rechte s“, die sich in den folgenden Organen verkörpert:

Der Verfassungsgerichtshof entscheidet über:

a) Solche vermögensrechtliche Ansprüche an den Bund, die Länder. Gemeinden, die weder im ordentlichen Rechtsweg ausgetragen noch durch eine Verwaltungsbehörde erledigt werden können.

b) Über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen oder die Gesetzmäßigkeit von Verordnungen.

c) In letzter Instanz über Beschwerden wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte.

d) Über die Anfechtung von Wahlen in die politischen Vertretungs-körper und in die Kammern.

e) Über Anklagen gegen Minister.

f) Über Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden, zwischen Verwaltungsgericht und allen anderen Gerichten (auch zwischen sich selbst und dem Verwaltungsgericht,' was nicht ganz fair ist) sowie zwischen Bund und Ländern untereinander.

Der Verfassungsgerichtshof besteht aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten, zwölf Mitgliedern (Räten), sechs Ersatzmitgliedern, vier ständigen Referenten und vier Sekretären.

Vorgeschlagen werden die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes, wie aller Gerichte des öffentlichen Rechtes teilweise von den Regierungsparteien oder vom Nationalrat oder vom Bundespräsidenten. Der Verfassungsgerichtshof kostet uns 2 Millionen Schilling im Jahr. Einnahmen hat er keine.

Der Verwaltungsgericht s-li o i ist zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung berufen. An ihn wendet man sich mit Beschwerden über Rechtswidrigkeiten von Verwaltungsbehörden. Er verfügt über einen Präsidenten, einen Vizepräsidenten, fünf Senatspräsiidenten, 26 Räte, sieben Präsidialbeamte und 40 andere Angestellte. Derzeit wird viel Kritik an der langen Dauer der vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Verfahren geübt. So ist dem Verfasser der Fall eines sozial Bedürftigen bekannt, den ein Ministerium fünf Jahre verschleppt, dann negativ entschieden hat, so daß er dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde, wo er nunmehr ohne weiteres weitere zwei Jahre liegen kann, ehe über ihn entschieden wird. Budget: 8,6 Millionen Schilling. Einnahmen: 200.000 Schilling.

Der Rechnungshof besteht praktisch schon seit 1761. Heute ist seine Aufgabe: Kontrolle über das Wirtschaften des Bundes, der Länder und Gemeinden (über 20.000 Einwohner), der Sozialversicherungsträger sowie aller öffentlichen Fonds und aller Unternehmen, an denen Bund, Länder oder Gemeinden finanziell beteiligt sind. Der Rechnungshof ist seiner Organisation nach kein Gerichtshof, sondern ein Unternehmen von Gebahrungs- und Buchprüfern. Er wird von einem Präsidenten und einem Vizepräsident geleitet und verfügt über 16 Abteilungen mit 139 Beamten, unter denen die einzelnen zu kontrollierenden öffentlichen Einrichtungen aufgeteilt sind. Kosten: 14,7 Millionen Schilling im Jahr. Einnahmen: keine.

Der Oberste Gerichts-h o f untersteht verwaltungsmäßig (zum Unterschied von den vorherigen) — aber nur in dieser Hinsicht — dem Justizministerium. Denn er ist die oberste Instanz unserer aller Zivil-und Strafgerichtsbarkeit und ist so wie alle anderen Gerichte nur technisch und in Organisationsfragen ans Ministerium gebunden. In seinen Entscheidungen ist er unabhängig. Beim Obersten Gerichtshof sucht der Bürger sein Recht in allen Zivil- und Strafrechtssachen, wenn er es nicht bei einem Bezirks- Kreis- Landesoder Oberlandesgericht erhalten zu haben glaubt.

Photo: OHo Swoboda

Beim Obersten Gerichtshof gibt es jedoch noch als eine Art unbequemer und wachsamer Untermieter die Generalprokuratur, bestehend aus einem Generalprokurator und dessen Stellvertreter, acht Generalanwälten und zwei zugeteilten Staatsanwälten. Ihnen obliegen im allgemeinen die Wahrung der Gesetze im staatlichen Eigeninteresse und im besonderen zum Beispiel die Erhebung von Nichtigkeitsbeschwerden gegen richterliche Erkenntnisse — Alptraum eines jeden Richters. Die Generalprokuratur untersteht bereits dem Justizminister, womit wir zur eigentlichen Justizverwaltung gelangen.

Einer Erklärung des derzeitigen Justizministers Dr. Broda zufolge ist sein Ministerium eine Art Gemischtwarenhandlung mit einer Maria-Theresien-Konzession. Es regiert nämlich über sehr vielfältige Gebiete des Justizwesens, die in anderen Ländern von eigenen oder anderen Ministerien verwaltet werden. Es scheint jedoch, daß das österreichische System sich deshalb bewährt, weil es sowohl Brücken zwischen den von ihm betreuten drei Hauptgebieten Legislative, Rechtsprechung und Rechtsvollzug als auch zwischen Justiz und öffentlichem' Leben bildet. Somit kann das Justizministerium — wieder nach einem Wort des Ministers — die Funktion einer „Wetterwarte“ des Rechtsstaates erfüllen. Dem Verfasser erscheint diese Definition ein wenig zu bescheiden. Das Justizministerium hat während der Amtstätigkeit des jetzigen Ministers — die sich in diesen Tagen zum zweiten Male jährt — bedeutende gesetzreformerische Werke angegangen und bereits vollbracht. Diese sollen in einem zweiten Artikel noch behandelt werden.

Ein Drittel der Abteilungen des Justizministeriums — 9 von 23 — sind mit rein legistischer Arbeit beschäftigt. Sieben davon gehören zu den acht Abteilungen der zivilrechtlichen Sektion I, dieweil nur zwei Abteilungen der Sektion II A für legistische Fragen des Straf- und Strafverfahrensrechtes sind. Was für Dinge das sind, ersieht man aus der unten abgedruckten Geschäftsverteilung des Ministeriums. Man kann daraus ersehen, daß sich unsere Justiz in weit größerem Maße mit den unkriminellen Streitigkeiten unserer Bürger untereinander als mit ihren Sünden gegen das Strafrecht beschäftigen muß. In der Tat beträgt die Zahl der im Jahr 1961 vor unsere Gerichte und andere Justizbehörden gebrachten Zivilstreitsachen 1,636.927, während die Zahl der vor die Strafrichter gekommenen Angelegenheiten 493.016 betrug (weniger als ein Drittel von diesen endete mit rechtskräftigen Verurteilungen). Diese Zahlen geben einiges zu denken. Sie besagen, daß sich im Jahr über 800.000 Österreicher mit 800.000 anderen Österreichern vor Gericht bekriegen. Das ist ungefähr die Hälfte unserer erwachsenen Bevölkerung. Anderseits gäbe es jedoch bei weitem nicht so viel Gefängniszellen in Österreich, um die im Jahr 1960 wegen Vergehen und Verbrechen verurteilten 120.000 aufzunehmen. Tatsächlich beträgt die Zahl der Inhaftierten nur rund 6000 im Jahr, die übrigen werden entweder bedingt oder zu Geldstrafen verurteilt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung