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Die Entscheidungen der unabhängigen Richterdürfen nicht zum Spielball machtpolitischer Interessen werden. Die Justizpolitik braucht eine ,.Klimaänderung”.

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Die Entscheidungen der unabhängigen Richterdürfen nicht zum Spielball machtpolitischer Interessen werden. Die Justizpolitik braucht eine ,.Klimaänderung”.

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Die Unabhängigkeit der Rechtsprechung ist für den Bürger kein papierenes Schlagwort, sondern lebenswichtiges Zentralproblem des demokratischen Rechtsstaates. Dafür genügt nicht ein verfassungsrechtliches Lippenbekenntnis, das findet man auch in autoritären Staaten.

Ohne richterliche Unabhängigkeit sind die wesentlichen Grundrechte der Freiheit und des Eigentums schutzlos. Der Richter nimmt nicht die Freiheit, er garantiert, daß die staatliche Strafgewalt in den engen Grenzen der Rechtsordnung gehalten wird.

In spektakulären Strafverfahren, auch in solchen der unmittelbaren Gegenwart, wird immer wieder der Verdacht der politischen Einflußnahme über die Staatsanwaltschaft laut. Wohl deswegen, weil dort auch wichtige Funktionen mit prominenten Parteigängern besetzt sind.

Solche Verhältnisse wären für die Rechtsprechung unerträglich — vor allem im Interesse der rechtsuchenden Bürger unseres Landes. Es muß alles getan werden, um das auch für die Zukunft zu verhindern.

Die Entwicklung scheint aber im gegenteiligen Sinn zu laufen.

Nach dem anerkennenswert großen Schritt, der in der vorletzten Legislaturperiode zur Sicherung der inneren Unabhängigkeit der Rechtsprechung durch entsprechende Ausgestaltung des richterlichen Gehaltsrechtes getan wurde, haben die Richter am Beginn dieser Regierungsperiode ein Arbeitspapier mit Reformvorschlägen an den Justizminister herangetragen.

Hauptpunkte dabei sind die Reform der Aufnahme in den Richterdienst, der Richterausbüdung, der richterlichen Personalsenate, des Disziplinarrechtes und des staatsanwaltlichen Dienst- und Organisationsrechtes; all dies bis auf den letzten Punkt jeweils unter dem Aspekt der Wahrung und Sicherung der Unabhängigkeit der Rechtsprechung durch Verstärkung der Mitwirkung der dritten Gewalt.

Die bisherigen Reaktionen darauf waren in jeder Hinsicht enttäuschend. In den wesentlichen Punkten steht der Justizminister gerade diesem Anliegen ablehnend, fast verständnislos gegenüber.

Am Beispiel des sogenannten „Privilegienabbaues” zeigt sich die Notwendigkeit der Beachtung solcher Grundsätze besonders deutlich. Der Gesetzgeber hat dabei mit leichter Hand einen Grundsatz umgestoßen, der bisher wesentliche Auswirkungen für die richterliche Unabhängigkeit hatte.

Durch eine rasch beschlossene Verfassungsänderung haben nunmehr Richter, die Abgeordnete sind, zugleich in der Rechtsprechung und als Politiker im Bundes- oder in den Landesparlamenten tätig zu sein, was früher ausgeschlossen war. Sie beschließen sozusagen vormittags die Gesetze, die sie nachmittags anwenden.

Mit diesem Bärendienst an der Justiz hat der Gesetzgeber selbst einen beachtlichen Teil zu jenem Vertrauensschwund beigetragen, der so oft heuchlerisch beklagt wird.

Das Vorgehen der Verwaltung bei der Vorbereitung dieser Verfassungsänderung war kennzeichnend für ihre derzeitige Taktik. Wie neuerdings in den meisten Fällen dieser Art wurde vorher über die Folgen einer solchen Regelung mit den Richtern überhaupt nicht gesprochen.

Dem entspricht auch die neue Übung, heikle Probleme gesetzgeberischer Natur auf diesem Sektor nicht durch Regierungsvorlagen, sondern durch Initiativanträge ins Parlament zu bringen.

Die Mehrheitsparteien nützen nunmehr dieses ursprünglich als Möglichkeit für eine Opposition, eigene Gesetzesanträge ins Parlament zu bringen, gedachte Instrument für sich selbst. Sie umgehen damit ein formelles Begutachtungsverfahren, vor allem auch vorangehende Verhandlungen mit den Betroffenen, partnerschaftlich gesehen unzweifelhaft ein rechtsstaatlicher Rückschritt.

All das kann man auch als Zeichen dafür nehmen, daß man zunehmend verlernt hat, miteinander zu diskutieren und sachliche Argumente des anderen auch zu akzeptieren. Der andere darf allenfalls, um der Form zu genügen, seine Meinung äußern, Ziel bleibt aber die möglichst rasche Durchsetzung eigener Ansichten möglichst ohne Abstriche.

Die ganz allgemein in der Innenpolitik zu registrierende Klimaänderung färbt natürlich auch auf die Justizpolitik ab. Auch im Justizbereich ist ein merkbarer

Toleranzverlust, verbunden mit der deklarierten Hinwendung zum Pragmatismus, feststellbar.

Der derzeitige Stil besteht darin, Änderungen in bezug auf die Richterschaft zu beschließen oder gar bereits durchzuführen, und sich erst danach aufgrund von Remonstrationen der Betroffenen mit deren Argumenten zu beschäftigen, wobei die Reaktionen auf solche Remonstrationen nicht ohne Empfindlichkeiten sind. , Die Verschiedenheit der Positionen der Richter einerseits und des Justizministers als Exponent der politischen Verwaltung andererseits dürfen nicht zu bloßen Konflikten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verniedlicht werden.

Es geht hier um das Wesentliche: Um die Erhaltung und Sicherung der Unabhängigkeit der Rechtsprechung in einer Zeit, in der der Einfluß des Staates und seiner Verbände, gesteuert von politischen Machtgruppierungen, auf jedem Gebiet immer größer wird.

Machtlose Gewalt

Für jeden dies Bedenkenden kann es nur mehr schwer zu ertragen sein, wenn aus dem übrigen Öffentlichen Leben bekannte Einfluß- und Interventionsmuster auch auf die Rechtsprechung übertragen und öffentlich Spekulationen über die Auswirkung der Zeugenaussage eines Ministers im Strafverfahren gegen einen seiner Freunde auf dessen tags darauf durchgeführte Enthaf tung angestellt werden.

Die Emanzipation der schwächsten der drei Staatsgewalten, der Rechtsprechungj vor allem gegenüber der politischen Verwaltung, ist bei weitem noch nicht ausreichend.

In diesem Zusammenhang wird von Politikern jeder Richtung als Abwehr gerne das Schlagwort vom Richterstaat gebraucht.

Die Rechtsprechung ist eine machtlose Staatsgewalt im bestem Sinn. Macht hat nur der, der in der Lage ist, seinen Willen auch durchzusetzen. Dies hat die Rechtsprechung nie angestrebt, dies wird sie nie tun und kann es auch gar nicht — und das ist gut so.

Bleibt als Ergebnis, daß es sicher nicht nachteilig ist, wenn auch auf dem Gebiet der Rechtspolitik nach einer längeren Phase grundsätzlicher Rechtsänderungen und visionären Vordenkens eine Pause eintritt. Pragmatismus alleine wird aber nur durch für jedermann sichtbare Erfolge gerechtfertigt. Ob es diese geben wird, darf derzeit bezweifelt werden.

Der Autor ist Präsident der Vereinigung der österreichischen Richter.

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