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Neue Gesetze — andere Gesetze?

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Die Justizbehörden müssen sich jedoch in nahezu ebenso erheblichem Maße wie mit Zivilstreitsachen auch mit sogenannten Außerstreitsachen beschäftigen, und dazu gehören Erbschaften, Grundbucheintragungen, Firmenregistrierungen, Bestimmung von Vormündern, Volljährigkeitserklärungen und dergleichen mehr. Es gab 1961 immerhin 3,396.983 solcher Angelegenheiten, die manchmal von großer persönlicher oder geschäftlicher Bedeutung sind und manchmal als lästige Formalitäten empfunden werden.

Der österreichische Rechtsphilosoph Max Burckhard hat einmal die Frage gestellt, was wohl geschehen würde, wenn man in einem Land ein bestimmtes geographisches Gebiet als völlig recht- und behördenlos erklären würde. Burckhard sprach dazu die Meinung aus, daß sich bestimmt sofort eine große Zahl von

Menschen auftun würden, um dorthin zu gehen und dort zu leben. Der Verfasser glaubt jedoch, annehmen zu dürfen, daß es damit enden würde, daß auch dort schließlich Verwaltungsbehörden und Gesetze geschaffen werden würden. Allerdings würden es kaum die gleichen wie im übrigen Land sein. Lassalle hat einmal davon gesprochen, daß, wenn einmal durch eine Natur- oder andere Katastrophe sämtliche Gesetzbücher eines Landes vernichtet würden und neue geschrieben werde müßten, wesentlich andere Gesetze entstehen würden als die vorherigen.

Ist die Strafsektion II mit der Iegi-stisehen Seite beschäftigt, so die Strafsektion IV mit individuellen und konkreten Straffällen. Obwohl deren Untersuchung und Verhandlung allgemein Sache der vom Ministerium unabhängigen Richter ist, kann man aus der untenstehenden Geschäftsordnung

ersehen, daß der Strafsektion IV dennoch eine Reihe spezifischer Angelegenheiten verbleiben. Nicht zuletzt obliegt ihr ja auch die ministerielle Instruktion der Oberstaatsanwaltschaften, die zum Unterschied von den Richtern sehr wohl den Weisungen des Ministeriums unterstehen. Auch sie werden noch im zweiten Artikel behandelt werden. Die Abteilung 13 (Gnadensachen) arbeitet nur dem Bundespräsidenten vor, welcher die ihm vom Ministerium vorgelegten Ansuchen um Begnadigungsfälle endgültig prüft und erledigt. An und für sich mag man sich fragen, ob eine moderne Rechtspflege nicht der Begnadigung entraten könnte. Handelt es sich doch dabei schließlich um ein Überbleibsel aus Zeiten so unvollkommener Rechtsprechung, wie es die der absoluten Herrschaftsregime eben waren. Es hat sich jedoch gezeigt, daß der Schematismus auch der heutigen Gesetzlichkeit und Gerichtsbarkeit nicht so selten die Richter außerstande,seXzt, den Nuancen menschlichen Schicksals im wahrster) Sinne des Wortes gerecht zu werden, so daß es sehr wohl einer besonderen Person bedarf, die unbelastet vom Formalismus der Gerichte, ein letztes entscheidendes Wort zu sprechen imstande ist. In irgend einer fernen Zeit vielleicht, in der die Richter die Kenntnis der Gesetzbücher mit der Kenntnis menschlicher Verhältnisse und Wesenheit vollends — oder jedenfalls viel besser als heute — verbinden und beherrschen werden, wird man vielleicht auf dieses Prärogativ des Staatsoberhauptes verzichten können.

Doch die Strafsektion IV hat sich nicht nur mit individuellen Straffällen — und somit auch (ein neuer Zug in der Jurisprudenz) mit von Österreichern und anderen gegen die gesamte österreichische Gerichtsbarkeit aller Instanzen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhobenen Beschwerden — zu beschäftigen. Ihr obliegt auch, mit Hilfe der Staatsanwälte die Gerichte auf allgemeine Zeichen der Zeit aufmerksam zu machen und Einheitlichkeit in der Behandlung von ähnlichen Straffällen zu veranlassen. So werden sich zum Beispiel das Verhalten und die Strafanträge der Staatsanwälte an den Gerichtshöfen bei Verkehrs- oder Verbrechen Jugendlicher sehr darnach richten, ob die Zahl der respektiven Vorfälle allgemein im Steigen ist.

Die Personalsektion III ist gleichzeitig, und nicht zufälligerweise, auch die Verwaltungssektion des Justizministeriums. Befindet sie sich doch — zum Unterschied von allen anderen Personalsektionen von Ministerien — in der seltsamen Lage, einem großen Teil ihrer Untergebenen — so zum Beispiel dem Präsidenten eines Gerichtes — Vorhaltungen machen zu können, er möge doch endlich seine Verhandlungssäle ausweißen lassen, nicht aber ihm oder irgendeinem anderen Richter zu sagen, daß dieses oder jenes Urteil ein Mißgriff gewesen sei. Wir werden aber später sehen, daß der Richterstand selber seine Organe hat, die sich mit den inhaltlichen und Kaderfragen der Gerichtsbarkeit sehr intensiv beschäftigen.

Vorläufig soll hier nur noch dargelegt werden, daß die Verwaltungsund Personalsektion sich materiell und beim nichtrichterlichen Personal auch instruktiv kümmern muß:

Oberster Gerichtshof. Generalprokurator (Zahlen eingangs bereits angegeben). Je ein Oberlandesgericht in Wien (für Wien, Niederösterreich und Burgenland), in Graz (für Steiermark und Kärnten), in Linz (für Oberösterreich und Salzburg) und in Innsbruck (für Tirol und Vorarlberg). 20 Landes- Kreis- und andere Gerichte erster Instanz. 229 Bezirksgerichte und 62 Arbeitsgerichte. Zu den Gerichten erster Instanz gehören eine Reihe von Spezialgerichten, die ihre Existenz nicht irgendepem besonderen Prinzip, sondern vielmehr der besonders starken Inanspruchnahme der Gerichtsbarkeit auf dem betreffenden Spezialgebiet verdanken. Dazu gehören das Exekutionsgericht und das Handelsgericht in Wien und die Jugendgerichte in Wien und Graz.

An diesen Gerichten sind beschäf-:igt: 1106 Richter, 125 Staatsanwälte, 1419 Rechtspraktikanten, Richteran-värter, Beamte und Angestellte aller \rten und Arbeiter. Die Personal-jnd materiellen Kosten unserer Ge-•ichte betragen 403,8 Millionen Schilling, die Einnahmen aus Geldstrafen jnd Gebühren 277,5 Millionen Schilling. Insgesamt kostet uns aber unsere lustiz mit allen ihren Institutionen jnd dem Ministerium miteingeschlossen 317,5 Millionen Schilling, das ist sin dreiviertel Prozent unseres gesamten Staatsbudgets, und eigentlich sehr wenig, wenn man bedenkt, daß es dabei, wenn auch nicht mehr um Leben und Tod, so doch um Entscheidungen über tausende Lebensschicksale und im ganzen auch um ein gut Teil Volkserziehung geht.

In einem folgenden Artikel sollen weitere Gegenstände der Justiz-waltung, wie die Ausbildung, Auswahl, Organisation und der Status der RicUter und Staatsanwälte und der Strafvollzug sowie Probleme und Errungenschaften unserer heutigen Rechtspflege, behandelt werden.

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