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Helfershelfer

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Nock immer grassiert in unserem Volk die Abtreibungsseuche. Nach wie vor ist es eine Massenerscheinung, daß unschuldiges Leben, daß das Leben von Tausenden und aber Tausenden ungeborener Kinder bewußt vernichtet wird.

Dabei liegt es auf der Hand, daß die Unterbrechung der Schwangerschaft fast immer kriminell ist. Wird sie doch nur in dem einzigen Ausnahmefall der medizinischen Indikation als straffrei zugelassen, und dieser Ausnahmefall ist höchst selten gegeben. Derzeit gilt es ja dank der hervorragenden Leistungen der Medizin nach deren Lehre und Praxis geradezu als unwissenschaftlich, wenn sich ein Arzt bei irgendwelchen Komplikationen keinen anderen Rat mehr weiß, als das Kind im Mutterleib zu töten.

Seitdem die staatlichen Prüfungsstellen, die vor 1938 zur Entscheidung über eine behauptete medizinische Indikation berufen waren; fehlen -sie wurden seit 1945 nicht wieder eingeführt —, mangelt es auch für alle gegen die Schwangerschaft gerichteten Eingriffe an einem objektiven Anhaltspunkt, der den Verdacht einer strafbaren Handlung ausschließen könnte. Das bedeutet, daß jeder Unterbrechungsakt als strafbar verdächtig ist und daher von allen öffentlichen Behörden und Aemtern ( 84 StPO.), aber auch von allen hiervon Kenntnis erlangenden Aerzten, Apothekern, Hebammen usw. ( 359 StG.) angezeigt werden muß.

Handelt es sich um den Verdacht einer Abtreibung mit Zustimmung der Schwangeren, so wird immer diese als unmittelbare Täterin und alle anderen, die daran mitgewirkt haben, also auch diejenigen, die selbst den Eingriff durchgeführt haben, als Mitschuldige behandelt.

Praktisch kommt aber doch als Hauptverantwortlicher der unmittelbare Helfer in Betracht, der die Unterbrechung vornimmt. Es ist in der überwiegenden Mehrzahl ein pflichtvergessener ärztlicher Abtreibtechniker, der gewöhnlich aus Gewinnsucht handelt. Er rechnet damit, daß sein Tun überhaupt verborgen bleibt, und für den Fall einer Anzeige wiegt er sich in der Hoffnung, daß seine Verantwortung nicht widerlegt werden könne, er habe nur aus medizinischer Indikation die Schwangerschaft unterbrochen. Daher versucht er sich noch dadurch zu sichern, daß er sich von einem Internisten, der die Schwangere, häufig entweder überhaupt nicht oder nur flüchtig untersucht, bestätigen läßt, daß die Unterbrechung medizinisch indiziert sei. Denn er weiß, daß er bei der voraussichtlichen Unerweislichkeit der medizinischen Indikation zu seiner Entlastung zumindest das Gericht zu überzeugen hat, in dieser Annahme geirrt zu haben, und daß er rechnen muß, selbst wenn ihm das gelingt, wegen leichtfertigen Eingriffs noch immer bestraft werden kann.

Diese vorprozessualen Begutachter, die sich bewußt zu einem solchen dunklen Geschäft hergeben, sind die Helfershelfer. Ihre Handlangerdienste sind geeignet, die Erforschung des wahren Tatbestandes zu erschweren, weil sie zunächst dem verbotenen Eingriff den Schein der Rechtfertigung verleihen. Im Endergebnis aber erweisen sie sich doch als bedeutungslos und können sich sogar aus ihrer vermeintlichen Entlastungsrolle noch zur weiteren Belastung ihres Auftraggebers auswirken.

Vor allem muß darauf hingewiesen werden, daß ein auf medizinische Indikation lautendes Gutachten eines Internisten, mag er auch einen Namen haben, den eingreifenden Gynäkologen nicht von der Verpflichtung entbindet, mitaller Gewissenhaftigkeit selbständig zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Indikation auch tatsächlich gegeben sind. Hier darf er nicht „nur Gynäkologe“ sein wollen, zumal er durch seine Spezialkenntnisse wissen muß, daß gerade auf diesem Gebiete die modernen Forschungsergeb-, nisse frühere Erfahrungen sowie Lehrmeinungen vielfach überholt haben und überdies Gefälligkeitsbestätigungen an der Tagesordnung sind. Die Rechtsprechung hat auch wiederholt die Verantwortung von Aerzten, daß sie sich auf die Begutachtung eines anderen Arztes haben verlassen dürfen, mit aller Entschiedenheit abgelehnt.

Davon abgesehen, fehlt einer solchen Begutachtung auch jeder objektive Beweiswert. Wer einer als strafbar verdächtigten Abtreibung durch ein Gutachten den Mantel der Rechtfertigung verliehen hat, kommt ja selbst als Mitschuldiger dieses Deliktes in Betracht, weil er ebenso wie der Abtreibende „hierzu Hilfe leistet“ ( 146 StG.). Aber auch wenn das in einem besonderen Fall außer acht gelassen würde, wäre das Gutachten trotzdem nicht verwertbar. Denn für die Frage, ob die medizinische Indikation in einem Verdachtsfall gegeben war, kann nur das Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen maßgebend sein. Als solcher ist aber der vorprozessuale Begutachter als befangen ausgeschlossen, mag er auch sonst dazu tauglich oder sogar berufen sein. Er kann daher auch nicht das Beweismittel eines sachverständigen Zeugen, sondern höchstens das eines (sachkundigen) Zeugen im Strafverfahren abgeben. Aber auch dann hat er als Zeuge, der wegen des Verdachtes seiner Mitschuld nicht einmal beeidigt werden darf ( 170 StPO.), überdies alle Bedenken gegen sich, die erfahrungsgemäß gerade solchen Personen begegnen, die von einer Prozeßpartei vor dem Verfahren gegen Entgelt mit der Aufgabe betraut worden waren, ein in ihrem Interesse gelegenes Gutachten samt Befund zu erstatten.

Gewiß werden auch seine Bekundungen über wahrgenommene Tatsachen nicht vernachlässigt werden dürfen. Doch lassen auch sie keine abschließenden Schlußfolgerungen für den gerichtlichen Sachverständigen zu. Denn dessen Gutachten hat dann, wenn seine Unterlagen nur oder auch mittelbar aus anderen Beweismitteln beschafft werden müssen, nur hypothetischen Wert. Er hängt davon ab, ob die Glaubwürdigkeit der einzelnen Bekundungen und damit deren Richtigkeit vom Gerichte angenommen wird, das dafür allein zuständig ist.

Nur am Rande sei vermerkt, daß sich das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen hauptsächlich über die Voraussetzungen der medizinischen Indikation zu erstrecken hat. Für die Frage, ob der beschuldigte Arzt in gutem Glauben-gehandelt hat — in diesem Fall kommt ihm ein schuldau'sschließender Irrtum zugute —, sowie ob der Arzt alle gebotene Gewissen-haftigkeit bei r seinem Eingriff angewendet hat, flfird der Sachverständige wohl auch Anhaltspunkte liefern können. Ein abschließendes Urteil wird sich aber das gleichfalls hierfür allein berufene Gericht nur unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Begleitumstände bilden können. Dazu gehört u. a.: Häufigkeit der Eingriffe, kritiklose Uebernahme eines Kollegengutachtens, Unterlassung einer gebotenen stationären Untersuchung, beschleunigte oder heimliche Durchführung, Verschleierungsversuche, Inhalt der Krankengeschichte, Regelung und Verbuchung des Honorars usw.

Ist so deutlich zu erkennen, welche schwerwiegenden Fragen in einem solchen Falle vom Gerichte zu lösen sind und durch, ein Sachverständigengutachten im Vorverfahren nicht gelöst werden können, so kann auch der Staatsanwaltschaft nicht der Vorwurf gemacht werden, wenn sie es hierbei grundsätzlich zu einer gerichtlichen Entscheidung kommen läßt. Nach dem sogenannten Legalitätsgrundsatz ist es ihr ja auch versagt, die Strafverfolgung von ihrem Ermessen oder gar von Zweckmäßigkeitserwägungen abhängig zu machen. Und bei der Unübersichtlichkeit der Beweislage kann in diesen Fällen nicht von der bei vollkommen klarer Sachlage gegebenen Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, aus dem Grunde von einer weiteren Verfolgung abzusehen, weil sachliche Gründe zur Annahme zwingen, daß ein Schuldspruch in der Hauptverhandlung nicht zu erwarten ist.

Diese Ausführungen zeigen zugleich, welcher Gefahr auch ein pflichtbewußter Arzt ausgesetzt ist. Sie erweisen aber auch mit aller Deutlichkeit, daß diese Gefahr einzig und allein dem Fehlen der staatlichen Prüfungsstellen entspringt, die zur Feststellung der medizinischen Indikation vor dem Eingriff unerläßlich sind. Es hat daher auch die Aerzte-schaft, die sich rühmen kann, in ihrem Kern über jeden Zweifel erhaben zu sein, nicht nur ein besonderes Interesse, sondern geradezu ein dringendes Recht darauf, daß die angeführten Prüfungsinstanzen wieder e i n-g efüh r werden.

Daß damit auch unserem Volke geholfen werden kann, liegt offen zutage: Die Abtreibungen würden sprunghaft abnehmen, die Frauenwelt würde von oft schweren gesundheitlichen Schäden bewahrt, es würde dem Vorwurf der unsozialen Begleiterfahrung, daß man sich auf diesem Gebiet mit Geld alles ebnen könne, die Grundlage entzogen, und nicht zuletzt würden breiteste Volkskreise wieder der Besinnung auf die wahre Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben zugeführt werden.

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