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Der „Registrierungsbetrug“

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Die Einspruchsfrist gegen die Eintragung in die besonderen Listen zur Registrierung für Nationalsozialisten läuft mit 2 9. September d. J. ab. Die Feststellungen und Eintragungen in diesen Listen, falls kein Einspruch erfolgt und dem Einspruch Folge gegeben wird, werden daher endgültig sein. LHe bereits vielen anhängigen Verfahren wegen 8 Verbotsgesetz („Registrierungs-betrug“) werden in Kürze eine bedeutende Vermehrung erfahren. Es ist daher bei der großen Tragweite der Rechtsprechung in diesen Fällen angebracht, grundsätzlich zum Tatbestand des sogenannten „Registrierungsbetruges“ Stellung zu nehmen:

8 Verbotsgesetz lautet:

Wer die Anmeldung unterläßt oder über wesentliche Umstände unvollständige oder unrichtige Angaben macht oder etwas unternimmt, um die Aufnahme eines Registrierungspflichtigen in die Liste oder die Vornahme eines Vermerks zu vereiteln oder die Aufnahme eines Nichtregistrierungspflichtigen oder eines unrichtigen Vermerks zu erwirken, macht sich des Verbrechens des Betruges schuldig und ist hiefür mit Kerker von ein bis fünf Jahren zu bestrafen.

Es sind sohin folgende Tatbestände zu unterscheiden: a) Unterlassung der Anmeldung oder nicht rechtzeitige Registrierung; b) Verhinderung der Aufnahme eines Registrierungspflichtigen in die besonderen Listen oder Vornahme eines Vermerkes; c) Erwirkung der Aufnahme eines Nichtregistrierungspflichtigen oder unrichtigen Vermerkes; d) unvollständige und unrichtige Angaben über wesentliche Umstände.

Für alle diese Tatbestände gilt — und dies kann nicht genug mit aller Deutlichkeit betont werden — was im 1 unseres Strafgesetzes festgelegt erscheint, daß zu jedem Verbrechen — und um ein solches handelt es sich hinsichtlich des Delikts nach 8 VG — „böser Vorsatz“ erforderlich ist. Gerade d!es muß hervorgehoben werden, weil vielfach Eintragungen erfolgt sind, die auf c:ne gewisse Unzulänglichkeit und Unklarheit der gesetzlichen Bestimmungen und auch auf die zum Teil nicht entsprechende Durchbildung dies mit den Registrierungsarbeiten befaßten Personals zurückzuführen sind. Während im allgemeinen die Tatbestände a) bis c) dieses Delikts keine besonderen Schwierigkeiten bieten, da inzwischen durch Durchführungsverordnungen usw. Klarheit geschaffen erscheint und insbesondere hinsichtlich dieser Tatbestände die Beweisfrage von wesentlicher-' Bedeutung ist, gehen die Meinungen bezüglich des letzten Tatbestandes (Anführung von unrichtigen und unvollständigen Angaben über wesentliche Umstände) weit auseinander. Dies ist insbesondere aus den Anklagen der Staatsanwaltschaft und den gegenteiligen Entscheidungen der Volksgerichte zu ersehen. Die Frage ist die, was unter „w esentlichen Umständen“ zu verstehen ist; ob jede Unterlassung von Anführungen, zum Beispiel Funktionen, soferne es sich nicht um die Funktion eines Zellenleiters oder Gleichgestellten aufwärts handelt oder ob schon die Nichtanführung der Funktion eines Blockleiters, Blockhelfers oder sonst einer Funktion oder ob die Anführung „Parteianwärter“ statt „Parteigenosse“, beziehungsweise der Mitgliedschaft einer Wehrformation oder die unrichtige Anführung über die Zeit der Zugehörigkeit zur NSDAP oder zu einer Wehrformation, ausgenommen der SS und Zugehörigkeit zur NSDAP in der Verbotszeit, schon den Tatbestand des Verbrechens nach 8 Verbotsgesetz erfüllt.

Würde die Verschweigung irgend welcher Umstände sdion strafbar sein, so hätte der Gesetzgeber keine Veranlassung gehabt, das Wörtchen „wesentliche“ (Umstände) in den Gesetzestext aufzunehmen. Es kann sich daher nur um solche Umstände handeln, die besondere Rechtsfolgen in strafrechtlicher oder verwaltungsrechtlichcr Hinsicht nach sich ziehen. Diese Umstände können aber wiederum nur in zwei Richtungen liegen, und zwar:

1. Ob jemand als Illegaler (10 Verbotsgesetz 1947) anzusehen ist und ob jemand dies anläßlich der Registrierung verschwiegen oder in dieser Richtung unrichtige odt..- unvollständige Angaben gemacht hat; ob in dieser Hinsicht jemand die Zugehörigkeit in der Verbotszeit oder sonstige Anhaltspunkte geflissentlich verschrie pen hat. Hiebei wird für die seinerzeitige Registrierung insbesondere d?r Erlaß des Bundesministeriums für Inneres, GZ1. 16251/45, von Bedeutung sein, wonach für die Erfassung als tI 11 e g a 1 e“ die anzusehen sind, die a) sich selbst als solche bezeichneten, b) einen Aufnahmetag in die NSDAP mit 1. M a i 1938 oder ein früheres Datum angaben, c) behaupteten, eine grüne Mitgliedskarte oder d) eine Mitgliedsnummer bis einschließlich 6,600.000 erhalten zu haben.

Hat jemand derartige Angaben bei der Registrierung gemacht, dann spricht für ihn die Vermutung der Illegalität und er kann wegen Falschregistrierung nicht verurteilt werden, weil für die Registrierungsbehörde bei Anführung eines dieser Merkmale zum Ausdruck gebracht erscheint, daß es sich um einen Illegalen, beziehungsweise um eine Person, die untier 10 Verbotsgesetz 1947 zu unterstellen ist, handelt. Ob dagegen später ein Einspruch eingebracht wurde, ist nicht von Bedeutung.

2. Wenn jemand über Umstände unridi-tige oder unvollständige Angaben gemacht hat, wodurch der Registrierungspflichtige aus den Kreis der Belasteten fallen würde. Die Unterlassung der Anführung einer Parrjeiauszeichnung (Blutorden, Goldenes Ehrenzeichen, einer Dienstauszeichnung in Bronze, Silber oder Gold) und goldenes Ehrenzeichen der HJ, Funktion eines Zellenleiters oder Gleichgestellten aufwärts, der SS-Zugehörigkeit, der Zugehörigkeit zur Gestapo, beziehungsweise SD, die Verschweigung des Offiziersdienstgrades der SA, NSKK und NSFK ( 17, Abs. 2, Verbotsgesetz 1947) begründet den Tatbestand nach 8 Verbotsgesetz. Das sind wesentliche Umstände, die bedingen, diß eben eine Person in die Gruppe der „Belasteten“ einzureihen ist. — Alle anderen Umstände aber sind nicht von „wesentlicher“ Bedeutung. Sie können natürlich für die Verwaltungs-behörde^ wissenswert sein (Gnadenakt usw.), es sind aber keine besonderen Folgen daran geknüpft, weshalb die Verschweigung oder unrichtige und unvollständige Angaben darüber nicht als Verbrechen im Sinne des 8 angesehen werden können.

Wichtig ist noch die Frage, ob jemand, der sich ursprünglich falsch registrieren ließ, jedoch im Sinne der Bestimmungen des 2. Abschnittes der Übergangsbestimmungen Punkt 3, Abs. 1 und 2, des Verbotsgesetzes 1947 die Möglichkeit der Nachregistrierung nicht ausnützte, weil ihm bereits zur Kenntnis gebracht wurde, daß amtlicherseits die Registrierungsbehörde die amtliche Richtigstellung in den besonderen Listen durchgeführt hatte, nach 8 Verbotsgesetz zu verfolgen ist. Wir werden in dieser Hinsicht im allgemeinen fünf Fälle zu unterscheiden haben:

1. Jemand unterläßt die Registrierung oder hat ursprünglich unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht und nützt die Nachfrist nicht aus, obwohl eine amtliche Richtigstellung hinsichtlich wesentlicher Umstände erfolgt ist. Eine Verständigung über die amtliche Richtigstellung an den Betroffenen ist nicht ergangen.

2. Gleicher Tatbestand wie zu 1.

Eine Verständigung über die amtliche Richtigstellung über wesentliche Umstände an den Betroffenen ist mit der Bekanntgabe erfolgt, daß gegen diese Einspruch erhoben werden kann. Der Betroffene erhebt Einspruch.

3. Gleicher Tatbestand wie zu 2, jedoch erhebt der Betroffene keinen Einspruch.

4. Der Registrierungspflidnige hat schon vor Beginn der Nachfrist in einer Stellungnahme an die Registrierungsbehörde wesentliche Umstände bekanntgegeben, in welchem Sinne dann die amtliche Richtigstellung erfolgt ist. In der Nachfrist ist keine Nachregistrierung erfolgt. Einspruch ist nicht erfolgt.

4. Gleicher Tatbestand wie zu 4. Einspruch ist erfolgt.

Die Ubergangsbestimmungen des zweiten Abschnittes des NS-Gesetzes 1947, Punkt 3, besagen folgendes:

A. Wer vor dem Inkrafttreten des NS-Gesetzes 1947 eine im 8 Verbotsgesetz mit Strafe bedrohte Handlung begangen hat, wird deshalb nicht bestraft, wenn er nach dem NS-Gesetz 1947 nicht mehr in den besonderen Listen zu verzeichnen Ist. Ein eingeleitetes Strafverfahren ist einzustellen. Eine bereits erfolgte Verurteilung gilt als nicht erfolgt. (Durch die Bestimmung des 4, Abs. 5, des Verbotsgesetzes 1947 ist einwandfrei festgestellt, wer von der Verzeichnung in den besonderen Listen auszunehmen ist.)

B. Wer auch nach dem Verbotsgesetz 1947 (NS-Gesetz) in den besonderen Listen zu verzeichnen ist, wird wegen der ursprünglichen Falschregistrierung nicht bestraft, wenn er binnen vier Wochen naoh Inkrafttreten des Verbotsgesetzes 1947 (NS-Gesetz) die unterlassene Anmeldung zur Registrierung nachholt oder unvollständige oder unrichtige Angaben berichtigt. Auch in dieser Hinsicht ist ein Strafverfahren bei entsprechender Registrierung in der Nachfrist einzustellen, ein bereits erfolgües Urteil gilt als nicht erfolgt. (Siehe Oberstgerichtliche Entscheidung OJs 25/47, Vg lk Vr 5350/46 Hv 2846/46.)

Für die strafrechtlidie Beurteilung bezüglich des Punktes A wird daher im allgemeinen die Sachlage nicht schwierig sein, insbesondere wenn die zuständige Stelle hiefür bereits einen Bescheid erlassen hat und dieser der Staatsanwaltschaft bei Beurteilung des Falles vorliegt. In solchen Fällen wird daher seitens der Anklagebehörde auf dieses Beweismittel besonderer Wert gelegt werden müssen und vor Anklageerhebung dieses Beweismaterial beizu-schatfen sein, um unnütze Anklagen hintanzuhalten.

Schwieriger wird allerdings die rechtliche Beurteilung hinsichtlich des Punktes B sein. Es heißt zwar im Absatz 2 der Übergangsbestimmungen, Punkt 3, daß einer nur dann straffrei werden soll, wenn er binnen vier Wochen nach, Inkrafttreten des NS-Gesetzes die unterlassene Anmeldung zur Registrierung nachholt oder unvollständige oder unrichtige Angaben berichtigt, jedoch werden die oben angeführten Fälle 3 und 5 auch straffrei zu gelten haben, während hinsichtlich der Fälle 1 und 2 der Tatbestand des 8 Verbotsgesetz anzunehmen sein wird, wobei hinsichtlich Punkt 2, was nicht bestritten werden soll, auch die gegenteilige Auffassung nicht ohne jede Berechtigung verschiedentlich vertreten wird (Täuschungshandlung). Es wird zwar vom Gesetzgeber eine positive Handlung des Betroffenen verlangt, jedoch wird sinngemäß dann, wenn der Registrierungspflichtige bereits vor Ablauf der Nachfrist, wenn auch schon vor Beginn der vierwöchigen Frist in einer Eingabe oder sonstigen Stellungnahme an die Registrierungsbehörde und nur an diese den später amtlicherseits richtiggestellten Tatbestand b e-kannt gab, die Registrierungspflicht im Sinri'e des 8 Verbotsgesetz unter Bezug ' auf Abs. 2 des Punktes 3, Abschnitt 2, e rfüllt und ein strafrechtlicher Tatbestand nicht mehr anzunehmen sein, da das Tatbestandsmerkmal der Irreführung nicht mehr vorliegt. Das gleiche wird auch dann sein, wenn jemand von der Registrierungsbehörde über die amtliche Berichtigung mit dem Bemerken verständigt wurde, daß er, falls er diese Richtigstellung nicht anerkenne, binnen gewisser Zeit Einspruch erheben könne. Erhebt dieser keinen Einspruch, dann wird auch in diesem Falle das Tatbestandsmerkmal der Irreführung fehlen und auch hier anzunehmen sein, daß der Tatbestand des Registrierungsbetruges nicht vorliegt. Erhebt jedoch jemand nach amtlicher Richtigstellung gegen diese Einspruch, dann wird der Tatbestand im Sinne des 8 Verbotsgesetz gegeben sein, da er nach wie vor auf dem Standpunkt steht, die Registrierungsbehörde zu täuschen und sie in Irrtum zu führen.

Ein Beispiel soll dies klarstellen: Wenn zum Beispiel jemand seine Zugehörigkeit zur SS verschweigt, die amtliche Richtigstellung in dieser Richtung nun erfolgt und der Betroffene behauptet, er sei nur förderndes Mitglied der SS gewesen und Einspruch erhebt, dann kann nicht angenommen werden, daß der Betroffene seine Registrierungspflicht im Sinne des 8 Verbotsgesetz und der Übergangsbestimmungen erfüllt hat, da amtlicherseits nur eine Richtigstellung auf Grund von entsprechenden Unterlagen durchgeführt wird. In diesen Fällen wird daher die strafrechtliche Verfolgung Platz greifen, es sei denn, der Betroffene ist in der Lage nachzuweisen, daß ihm seitens der Registrierungsbehörde bei seiner Vorsprache in der Nachfrist mitgeteilt wurde, eine Nachregistrierung sei nicht mehr erforderlich, da bereits eine amtliche Richtigstellung erfolgt sei. Auch dieser Sachverhalt wird vielfach behauptet (Beweisfrage). Erst durch das weitere Verfahren im Verwaltungswege oder durch das Strafverfahren wird vollkommene Klarheit hergestellt werden können. Prozeßökonomisch und im Sinne einer weisen Strafrechtspflege wird es natürlich sein, daß in solchen Fällen vor Anklageerhebung die Entscheidung der Kommission beim Bundesministerium für Inneres als letzte Instanz abgewartet werde. Dadurch würde nicht nur eine weitere Belastung der Verfolgungsbehörden und Gerichte, sondern auch im Falle einer nicht zurecht bestehenden amtlichen Berichtigung für den Betroffenen schwerer Schaden verhütet werden, zumal die Ratio des Gesetzgebers hinsichtlich des 8 Verbotsgesetz doch dahin geht, die Behörde in die Lage zu versetzen, die richtige Einreihung und Einstufung der Registrierungspflichtigen zu erreichen und sie den entsprechenden Rechtsfolgen zu unterstellen.

Die schwere Strafandrohung bei der Erreichung dieses Zweckes soll nur Behelf, nicht aber Zweck dieses Zieles sein, z umal die Bestimmung des 8 Verbotsgesetz überhaupt unserem ganzen Rechtssystem widerspricht und gleichsam der Beschuldigte durch hohe Strafandrohungen zur Wahrheit und zum Geständnis gezwungen wird und so in seinen durch die Prozeßordnung gewährleisteten Rechten der freien Verantwortung stark behindert wird. Nur unter dem Gesichtspunkt der außerordentlichen Zeitverhältnisse scheint vom rechtspolitischen Standpunkt aus gesehen diese Strafrechtbestimmung überhaupt vertretbar und erklärlich.

Im übrigen soll bei Beurteilung des ganzen Fragenkomplexes insbesondere die Tatsache nicht außer Betracht bleiben, daß die gesetzliche Bestimmung des Absatzes 2 der Ubergangsbestimmungen, Punkt 3, letzter Absatz, höchst unklar gehalten ist, da dort angeführt erscheint, daß die Bestimmungen des Punktes 3 keine Anwendung finden sollen, wenn sich der Täter auch des Verbrechens des Hochverrates nach TO Verbotsgesetz in der vor dem Inkrafttreten des NS-Gesetzes geltenden Fassung schuldig gemacht hat, so daß sich das Bundesmini-terium für Justiz veranlaßt sah, eine Interpretation dieser Gesetzesstelle zu geben, die jedoch vielfach infolge der späten Publikation und der widersprechenden sonstigen Veröffentlichungen dem Kreis der Betroffenen kaum zur Kenntnis gelangte. (Siehe auch Oberstgerichtliche Entscheidung OJ 25/47.)

Bei Beurteilung der Ausnützung, beziehungsweise Nichtausnüt-zun.g der Nachfrist wird insbesondere hinsichtlich der subjektiven Tatseite gerade auf diese aufgezeigten Umstände entsprechend Rücksicht zu nehmen sein.

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