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Lücken im Verbotsgesetze

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Innerhalb Monatsfrist nach der Befreiung Wiens wurde bereits mit der Liquidierung des Nazismus begonnen und das Verbotsgesetz vom 8. Mai 1945 erlassen. Dieser ersten Etappe soll nun in der nächsten Zeit die zweite folgen, für welche die „G r u n d-sätze der Entnazifizierung“ beschlossen wurden, die neben weiteren Registrierungsbestimmungen die künftige Einteilung der zu registrierenden Nationalsozialisten und die Sühnebestimmungen enthalten,

so daß das künftige Gesetz als „Sühnegesetz“ bezeichnet werden könnte.

Trotz der Fülle gesetzlicher Bestimmungen bestehen in der Praxis Unklarheiten im Belange der Registrierung. So erscheint es fraglich, inwieweit auf Volksdeutsche, die aus den benaihbarten Auslandsstaaten vertrieben, in ihrer Heimat früher der Partei angehört haben, der 4 des Verbotsgesetzes anwendbar ist. 4 legt die Registrierungspflicht allen Personen auf „mit dem ordentlichen Wohnsitze oder dem dauernden Aufenthalte im Gebiete der Republik Österreich, die zwischen dem 1. Juli 1933 und 27. April 1945 der NSDAP, wenngleich nur zeitweise angehört haben.“ Diese Voraus Setzungen können jedoch auf Volksdeutsche, welche sich nach Niederösterreich, in die Alpenländer und nach Wien geflüchtet haben und hier ihre Aufnahme fanden, nicht zutreffen, denn sie haben in Österreich weder ihren ordentlichen Wohnsitz noch ihren dauernden Aufenthalt. Aufenthaltsbewilligungen, wenn sie Flüchtlinge überhaupt erhielten, wurden zeitlich befristet. Die Behörden vertreten aber den Standpunkt, daß mit der Überreichung des Ansuchens, die Absicht eines dauernden Aufenthaltes kundgegeben wird und die Registrierungspflicht sohin eingetreten sei. Diese Praxis findet jedoch im Gesetze keine Stütze. Aber nehmen wir an: Diese Personen wären registrierungspflichtig. Unterliegen sie auch den strafrechtlichen Bestimmungen des Verbotsgesetzes? Die Absicht des Gesetzes geht zweifellos doch dahin, Personen, die gegen die staatlichen Vorschriften, sohin als Illegale der NSDAP beitraten und Personen, die sich gegen die Sicherheit und den Bestand des österreichischen Staates vergangen haben, der Bestrafung zuzuführen. Diese Zweckbestimmung trifft bei Leuten nicht zu, die früher nicht in Österreich weilten und daher gegen den Bestand und die Sicherheit der Republik Österreich keinerlei strafbare Handlungen unternehmen konnten. Allerdings ist es in der Staatsraison gelegen, die in den Nachbarstaaten seinerzeit der NSDAP angehörenden Mitglieder und Anwärter zu registrieren, als eine polizeiliche Evidenzmaßnahme, da sich unter ihnen auch belastete Personen befinden können. Der Verlust des früheren Staatsbürgerrechtes, die Einziehung des gesamten Vermögens, die Internierung in Anhaltelagern, körperliche Züchtigung, Entzug aller Ansprüche auf Gehalt, Pension, Renten, Sozialversicherungsleistungen, Verpflegskosten in Krankenanstalten und Pflegestätten von Seiten ihres Heimatstaates, haben alle Volksdeutschen mit geringen Ausnahmen getroffen, ohne Unterschied, ob sie der Partei angehörten oder nicht. Diese über die Volksdeutschen ver-

hängten Maßregeln beinhalten eine die Sühnebestimmungen des österreichischen Verbotsgesetzes weitaus übersteigende Vergeltung. Es würde dem Rechtsempfinden widersprechen, sollten dieselben Menschen nunmehr wegen ihrer politischen Betätigung in einem anderen Staate zum zweitenmal der Bestrafung unterliegen.

Es wird deshalb notwendig sein, diese aufscheinenden Unklarheiten bei der endgültigen Redaktion des Gesetzes zu beseitigen, wenn auch eine Registrierung als polizeiliche Evidenzmaßnahme unerläßlich sein wird.

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