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Ein Fall für den Historiker

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Zwischen 1984 und 1990 wurden 676 Anzeigen wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung erstattet, wenige davon führten zu Verurteilungen. 293 Anzeigen -darunter auch gegen Unbekannt -wurden eingestellt, über 350 sind noch gerichtsanhängig. Einen exemplarischen Fall hat die FURCHE von den anhängigen herausgegriffen und dokumentiert. Da es sich dabei um ein laufendes Verfahren handelt, muß sich die Berichterstattung darüber jeder Wertung enthalten. Wir lassen die Fakten für sich sprechen.

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Zwischen 1984 und 1990 wurden 676 Anzeigen wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung erstattet, wenige davon führten zu Verurteilungen. 293 Anzeigen -darunter auch gegen Unbekannt -wurden eingestellt, über 350 sind noch gerichtsanhängig. Einen exemplarischen Fall hat die FURCHE von den anhängigen herausgegriffen und dokumentiert. Da es sich dabei um ein laufendes Verfahren handelt, muß sich die Berichterstattung darüber jeder Wertung enthalten. Wir lassen die Fakten für sich sprechen.

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Sein Name wurde in Verbindung mit der österreichischen Neonazi-Szene in den letzten Tagen häufig genannt: Gerd Honsik, Vorsitzender der „Ausländer-Halt-Bewegung" und verantwortlich für das Machwerk „Halt".

□ Am 9. Dezember 1986, also vor mehr als fünf Jahren, hat die Staatsanwaltschaft gegen ihn den Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung wegen Bestreitung der Existenz von Gaskammern und Wiederbetätigung gestellt. Unter einem wurde ein gerichtsmedizinisches Sachverständigen-Gutachten hinsichtlich der Anwendung von Giftgas zur Vernichtung von Menschen und deren Auswirkungen beantragt. Dem wurde mit Beschluß vom 16. Dezember 1986 vom Untersuchungsgericht stattgegeben. Als Gutachter wurde Dozent Johann Missliwetz, Oberarzt am Wiener Institut für Gerichtsmedizin, bestellt.

□ Am 26. Jänner 1987 beantragte der Staatsanwalt zusätzlich noch ein historisches Gutachten zur Frage der Menschenvernichtung und der Existenz von Gaskammern. Diesem Antrag wurde mit Beschluß vom 28. Jänner 1987 stattgegeben und der Auftrag erging an Gerhard Jagschitz. Universitätsprofessor am Wiener Institut für Zeitgeschichte.

□ Ungeduldig erkundigte sich der Grün-Abgeordnete Manfred Srb mehr als zweieinhalb Jahre später in einer schriftlichen Anfrage von 22. September 1989 bei Justizminister Eg-mont Foregger nach dem Stand des Verfahrens. In seiner Anfragebeantwortung vom 20. November 1989 (siehe Faksimile) teilte Foregger mit, daß „ein weiteres Zuwarten bis zum Einlangen der Gutachten nicht mehr vertretbar" sei. In einer Dienstbesprechung am 18. Oktober seien die staatsanwaltschaftlichen Behörden ersucht worden, „unter Bedachtnahme auf die bisherige Judikatur des Obersten Gerichtshofes" - der vorher und nachher (siehe Kasten) einschlägig entschieden hatte - nicht mehr auf die Gutachten zu warten.

□ Wenige Tage vorher, am 10. November 1989, hatte Gerichtsmediziner Missliwetz dem Gericht mitgeteilt, daß er nach offensichtlichen Kommunikationsschwierigkeiten mit der Justiz über die Fragestellung des Gutachtens „den Fall als abgeschlossen betrachtet habe". Eine Begutachtung wäre außerdem „leider aus zeitlichen Gründen völlig unmöglich, da ich derzeit mit äußerst arbeitsintensiven Gutachten (z.B. Attentat auf die Kurden, Morde in Lainz) .überlastet bin". Zwei Fragenbereiche woilte Missliwetz aber grundsätzlich ausgeklammert wissen: „Ob tatsächlich Gaskammern bestanden und Menschen in Gaskammern getötet wurden, steht meiner Ausfassung nach eindeutig fest, wäre aber, wenn dies überhaupt eine Frage darstellt, von einem Historiker zu beantworten." Und: „Ob Gas austreten konnte, ist eine Frage der Technik und letztlich keine medizinische Frage."

□ Nach einem weiteren halben Jahr erkundigten sich Parlamentarier, diesmal unter der Federführung des SPÖ-Abgeordneten Edgar Schranz, erneut nach dem Stand der Dinge. In seiner Anfragebeantwortung teilte Foregger mit: „Gegen Gerd Honsik wurde am 12. Juni 1990 von der Staatsanwaltschaft Wien die Anklageschrift wegen Verbrechens nach Paragraph 3 g Absatz 1 Verbotsgesetz beim Landesgericht für Strafsachen Wien ein-

gebracht. Mit der Anordnung einer Hauptverhandlung kann voraussichtlich Ende 1990 oder Anfang 1991 gerechnet werden." Gegen die Anklage hat Honsik-Anwalt Herbert Schaller zwar Einspruch erhoben, der allerdings abgewiesen wurde. □ Anfang 1991 war von einer Hauptverhandlung keine Rede. Dafür langte bei Gericht ein mit 10. Jänner 1991 datiertes Schreiben von Universitätsprofessor Gerhard Jagschitz ein, in dem der Historiker seine Absicht mitteilte, „die Archiv- und Forschungsarbeiten mit Beginn des Jahres 1992 abzuschließen und das Gutachten im Anschluß daran zu verfassen. Es ist also im Verlauf des Jahres 1992 mit der Fertigstellung zu rechnen."

Weil durch die europäischen Umwälzungen nunmehr zusätzliche Quellen und Archive zugänglich geworden seien, ist „anzunehmen, daß diesem Gutachten erstmals wichtige neue Dokumente zugrunde liegen werden und darüber hinaus Zweifel an der Echtheit bisher verwendeter Quellen beseitigt werden können".

Im Gespräch mit der FURCHE bestätigt Jagschitz, daß er „nach fast 4.000 Arbeitsstunden in dieser Frage" jetzt an der Fertigstellung des Gutachtens feilt, das Einwände in der revisionistischen Literatur wie aufgebrachte Zweifel „auch wissenschaftlich beantworten" soll. Zum Inhalt und zu den Ergebnissen seiner Forschungsarbeit möchte er sich angesichts des laufenden Verfahrens vor Verhandlungsbeginn nicht äußern.

Die Hauptverhandlung in dieser Strafsache gegen Gerd Honsik soll nunmehr - so die nächste und vorerst letzte Ankündigung - für April 1992 ausgeschrieben werden.

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