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Keine Strafe ohne Schuld

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In den Vordergrund der Verbesserung der zweiten Lesung steht daher die Verankerung des Grundsatzes

— von dem in der ersten Lesung keine Rede war — „keine Strafe ohne Schuld“ ( 4 E.). Damit sind wir über den deutschen Entwurf hinausgegangen, der diesen Grundsatz in der ersten Lesung aufgenommen hatte, in der zweiten Lesung hingegen nur noch in den Bestimmungen über die Grundsätze der Strafzumessung regelte. Darüber hinaus wurde das Schuldprinzip auch unter den allgemeinen Grundsätzen der Strafbemessung (38, Absatz 1 E.) in folgender Weise umschrieben: Grundlage für die Zu-messung der Strafe ist die Schuld des Täters. Selbst objektive Bedingungen der Strafbarkeit — wenn also eine besondere Folge der Tat an schwerere Strafen geknüpft wird, ich verweise auf den Todeserfolg bei den Verkehrsdelikten des 334 ÖStG. — erfordern in Hinkunft die Schuldform der Fahrlässigkeit, so daß demnach die schwerere Strafe den Täter nur dann trifft, wenn er diese Folge wenigstens fahrlässig herbeigeführt hat.

Schuldformen sind: dejr Vorsatz (direkter Vcrsat: und 'bedingter ' Vorsatz) und die Von ?atzartenabsicht und Wissentii'chkelt sowie die Fahrlässigkeit. Beide Schuldformen sind nunmehr im Gesetz definiert.

Richtig ist, daß der Reformversuch— ich wiederhole hier eine Darstellungsweise Hans Z e r b s' („Presse“ vom 29. September 1962), demnach zumindest die erste Lesung — unter lautem Kriegsgeschrei um Tat- oder Täterstrafrecht in Angriff genommen ist. In der zweiten Lesung wurde eindeutig klargestellt, daß im Mittelpunkt des Strafrechtssystems nicht der Täter, sondern nach wie vor die Tat steht. Der vorliegende Entwurf knüpft nämlich die Strafbarkeit weiterhin an Unrechtstypen, die wir Tatbestände nennen, an. Die Tatbestandsgebundenheit als Voraussetzung der Strafbarkeit und darüber hinaus auch die Tatbezogenheit der Strafe ist nach wie vor gegeben und damit gesichert, daß die Einzeltat und nur diese die Voraussetzung der Strafbarkeit bildet.

Entscheidend ist weiter Wesen, Zweck und Maß der Strafe. Die Bestimmungen über die Strafe sind gleichsam die Krone des ganzen Strafrechtssystems. Die Strafe ist demnach ein Übel, welches jemand für eine Rechtsverletzung erleiden muß. Seine Rechtfertigung findet das Strafrecht in der Notwendigkeit der Strafe zur Wahrung der Rechtsordnung vermöge ihrer spezifischen Eigenschaft als gerechte Vergeltung und zugleich als eine wirksame Verhütung (General- und Spezialprävention) von Verbrechen, wobei der Grad des Vergeltungsbedürf-nisses vom jeweiligen Stand der Kultur des Volkes bcstimmt wirf. Strafzwecke sind demnach, die Schuld des Täters auszugleichen, also die Sühne-wirkuhg, sowie die Vergeltung, die Bewährung der Rechtsordnung, ferner die kriminalpolitischen Zwecke, bei denen in erster Linie der Schutz der Allgemeinheit steht, nämlich daß der Täter und andere vor künftigen Taten abgeschreckt werden, oder darin bestehen kann, daß auf den Täter eingewirkt wird, um ihn der Gemeinschaft wiederzugewinnen und ihn gegen Versuchungen innerlich widerstandsfähiger zu machen (Resozialisierung).

Die Differenzen, die hier gegeben sind, liegen offenbar darin, daß die eine Gruppe den Hauptzweck der Strafe oder zumindest einen vornehmen Zweck derselben in der Resozialisierung sieht, während die Anhänger der christlichen Weltanschauung die Resozialisierung wohl als zu billigenden Zweck der Strafe werten, jedoch darauf verweisen, daß hierbei weder die Vergeltungs- noch die Sühnefunktion der Strafe außer acht gelassen werden kann. Wir müssen es als eine Verbesserung der zweiten Lesung ansehen, daß vor allem der Schuldvergeltung und damit einem wesentlichen Anliegen Rechnung getragen wurde; ferner, daß Vorstellungen einiger Verfechter des Täterstrafrechts nicht verwirklicht wurden und vor allem Beziehungen zwischen diesem und der Resozialisierung nicht mehr hergestellt werden können.

Bedenken bestehen noch immer im folgenden:

• Nach wie vor kommt nicht zum Ausdruck, daß die Strafe ein Ü b e 1 ist;

• Noch immer vermeidet man es, die Tadelsfunktion der Strafe herauszustellen; ansonsten wäre es nicht verständlich, daß man in der zweiten Lesung wohl unserem Verlangen nach Aufspaltung der Strafe in Kerker, Gefängnis und Arrest Rechnung getragen hat, jedoch davon absieht, bei den einzelnen Delikten diese besonderen Strafarten anzudrohen, sondern im Gesetzestext des Besonderen Teiles nur von Freiheitsstrafen spricht. Es bleibt dem Urteil des Richters überlassen, die Art der Freiheitsstrafe zu bestimmen, wobei die im Allgemeinen Teil des Gesetzes vorgesehene zeitliche Bemessung der einzelnen Strafarten hierfür maßgebend ist. • Im übrigen läßt das Strafvollzugsgesetz nicht erkennen, inwieweit sich die Verschiedenartigkeit der Strafe in Kerker, Gefängnis oder Arrest im Strafvollzug auswirkt. Dies bringt die Gefahr mit sich, daß wir zwar verschiedene Bezeichnungen für verschiedene Straf arten haben, keineswegs jedoch eine damit notwendig verbundene Differenzierung des Strafvollzuges, so daß die Kennzeichnung einer solchen Maßnahme durch Professor R i 111 e r als sogenannter Etikettenschwindel nicht fehlgehen dürfte. Hier werden daher noch Maßnahmen notwendig sein.

• Schließlich kann man auch verschiedener Meinung darüber sein, ob dem Richter unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eingeräumt werden soll, von Strafe ganz abzusehen.

• Endlich werden die vorliegenden Bestimmungen über das außerordentliche Milderungsrecht eine geteilte Beurteilung finden können, wenn man nicht für eine weitgehende Aufweichung des durch das Strafgesetz gewährten Rechtsgüterschutzes eintritt.

Zum Abschluß sei bemerkt, daß der Entwurf den vorbeugenden Maßnahmen, wie der Unterbringung in einer besonderen Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher oder in einer Entwöhnungsanstalt, Raum gibt, und dies mit Recht, weil die schuldbezogene Strafe nicht in der Lage wäre, der Gefährlichkeit solcher Täter wirksam zu begegnen.

Dieser kurze Überblick beweist, daß die Vertreter der katholischen Weltanschauung bei der zweiten Lesung Wesentliches erreicht haben, einiges verhinderten, manches allerdings nicht durchsetzen konnten. Nicht selten gelang es, eine Streitfrage durch einen Kompromiß zu beendigen, und wir hoffen, daß wir damit nicht e i n brennendes Problem durch mehrere schwelende ersetzt haben. Die große Strafrechtsreform braucht eben Zeit und Ruhe. Nichts schadet ihr mehr als Betriebsamkeit. Denn wir wollen nicht eilig Geschäfte besorgen, sondern Taten auf Dauer setzen (Schau-kal).

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