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Das Grundproblem der Strafrechtsreform

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„Die Furche“ eröffnet mit dem untenstehenden Beitrag eine Aufsatzreihe aus der Feder namhafter Juristen aus Richter-, Anwälte- und anderen Kreisen zum Wesen und zur Problematik der geplanten österreichischen Strafrechtsreform, die bekanntlich in 'einem noch nicht näher bestimmten Ausmaße Prinzipien eines modernen Täterstrafrechts berücksichtigen will. Die Veröffentlichung wird fortgesetzt. „Die Furche“

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„Die Furche“ eröffnet mit dem untenstehenden Beitrag eine Aufsatzreihe aus der Feder namhafter Juristen aus Richter-, Anwälte- und anderen Kreisen zum Wesen und zur Problematik der geplanten österreichischen Strafrechtsreform, die bekanntlich in 'einem noch nicht näher bestimmten Ausmaße Prinzipien eines modernen Täterstrafrechts berücksichtigen will. Die Veröffentlichung wird fortgesetzt. „Die Furche“

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Die wichtigste Frage, die eine Reform des Strafrechts zu lösen hat, ist die nach dem Sinn und Zweck der vom irdischen Richter verhängten Strafe. Zwei Auffassungen stehen von alters her einander gegenüber: Die eine erblickt ihn in der aprioristischen, aus der reinen Vernunft und nicht aus der Erfahrung abgeleiteten Vergeltungsidee, die ohne Rücksicht auf irgendwelche Bedürfnisse des Gemeinschaftslebens die Bestrafung der Verbrecher erheischen soll. Die andere sieht in der Strafe nur ein Mittel zur Erreichung praktischer Ziele, eine menschliche Einrichtung zur Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens im Staat. Die Strafe hat danach keinen anderen Zweck als den, künftige Verbrechen zu verhüten, indem sie den Gelegenheitsverbrecher abschreckt, den angehenden Gewohnheitsverbrecher bessert und den unverbesserlichen durch dauernde Verwahrung unschädlich macht.

Es ist klar, daß die beiden entgegengesetzten

Standpunkte, die Vergeltungstheorie und der Prä*entionsgedanke, -zu ganz verschiedenen Ge-l&TltingefeMes Strafrechts führen müsseh Für die erste steht die T ä t und die darin verkörperte Schuld des Täters im Mittelpunkt der Betrachtung. Ihr Blick ist in die Vergangenheit gerichtet. Aufgabe des Richters ist es, die der Schwere des dem Verletzten zugefügten Leides und, dem Grad der Täterschuld entsprechende Ahndung zu finden. Sinn und Zweck der Strafe ist Repression, ist Sühne und Vergeltung. Die andere Auffassung interessiert dagegen die Tat nicht um ihrer selbst willen, sondern bloß als Symptom fürdieTäterpersönlichkeit. Nicht das begangene Verbrechen steht im Vordergrund, sondern die Frage, was die Gemeinschaft vom Täter in Zukunft zu erwarten hat. Aufgabe des Strafrichters ist die Prognose. Sein Blick ist in die Zukunft gerichtet, und Art und Ausmaß der über den Rechtsbrecher zu verhängenden Abwehrmaßregel werden ausschließlich durch das Bedürfnis bestimmt, ihn von weiteren Uebel-taten abzuhalten. Sinn und Zweck der Strafe ist Prävention, ist Vorbeugung und Verbrechensverhütung. Nicht die Schuld des Täters bildet den Maßstab für die über ihn zu verhängende Maßnahme, sondern seine Gefährlichkeit. Es kann sein, daß eine verhältnismäßig geringfügige Verfehlung wegen der darin zutage getretenen Roheit, Bosheit oder Arglist eine große Gefährlichkeit des Täters offenbart und, umgekehrt, ein schweres Verbrechen wegen der besonderen Umstände, die es veranlaßt haben, nur ein geringe; daß das geringere Vergehen eine viel kräftigere Gegenwirkung fordert als das schwere Verbrechen. Das ist der Sinn des Satzes: „Nicht die Tat, sondern der Täter soll bestraft werden.“ Die letzte Folgerung aus dieser Auffassung wäre die Abschaffung der besonderen. Strafrahmen für die verschiedenen im Gesetz verpönten Handlungen und die Abstufung des Abwehrmittels ausschließlich nach der Art der Täterpersönlichkeit.

Obwohl der Vergeltungsgedanke bei uns immer noch die strafrechtlichen Anschauungen der Laien und eines Teiles der Fachleute beherrscht und diese nach wie vor in der sogenannten „gerechten“ Strafe und im sogenannten „kurzen Prozeß“ das. Ideal erblicken, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die moderne Entwicklung des Strafrechts die Tendenz hat, sich dem Standpunkt der spezialpräventiven Auffassung immer mehr zu nähern. In den auf dem Gebiet der Kriminalpolitik führenden nordischen Staaten: Schweden, Norwegen und Dänemark und in der Schweiz, spricht kaum noch jemand von Sühne und Vergeltung. Die Strafe ist dort längst

nicht .mehr absichtliche Zufügung eines Uebels, sondern nur noch eine der Persönlichkeit des einzelnen Rechtsbrechers angepaßte Erziehung. Der letzte schwedische Entwurf zu einem Kriminalgesetz nennt sich gar nicht mehr Strafgesetzentwurf, sondern Entwurf eines Gesetzes zum Schutz gegen Verbrechen; und das Ergebnis dieser Umstellung ist nach der dänischen Statistik ein Zurückgehen der Rückfallsfrequenz bei den Gewohnheitsverbrechern mit denkbar ungünstigster Prognose von 70 Prozent auf 40 Prozent. -

Auch in unserer eigenen Gesetzgebung wird der Vergeltungsgedanke immer mehr abgebaut. Schon die Einführung des bedingten Strafnachlasses und der bedingten Verurteilung, der unbestimmten Verurteilung und der vorzeitigen Entlassung auf Probe bedeutet einen Bruch mit den herkömmlichen Anschauungen und eine Absage an die Vergeltungsidee

Wenn es wahr wäre, daß die Gerechtigkeit, wie Kant behauptet hat, verlange, daß jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind, dann wäre der im bedingten Strafnachlaß und in der bedingten Verurteilung gelegene bedingte

Verzicht auf die Strafe eine Ungerechtigkeit. Und wenn die Strafe gerechte Vergeltung für das Verbrechen ist, kann sich ihr Ausmaß immer nur nach der Schwere des vom Täter begangenen Unrechts und dem Grad seines Verschuldens richten, niemals aber, wie bei der relativ unbestimmten Verurteilung nach dem Jugendgerichtsgesetz, bei der im Urteil nur ein Mindest- und ein Höchstmaß der Freiheitsstrafe bestimmt wird, oder bei der vorzeitigen Entlassung auf Probe, durch das Verhalten des Täters im Strafvollzug beeinflußt werden oder durch die ge-bessei; Aussicht auf sein künftiges Wohlverhalten.

Der Entwurf der Strafrechtskommission trägt nun zwar den in der Bevölkerung herrschenden Anschauungen insofern Rechnung, als er nach wie vor für jedes Verbrechen ein seiner absoluten Schwere angemessenes Strafmaß bestimmt,

in dieser Beziehung also am „Tatstrafrecht“ festhält. Aber er geht doch in der spezialpräventiven Richtung, in der Richtung auf das „Täterstrafrecht“ noch um einige Schritte weiter als das geltende Recht.

Er läßt erstens die sogenannte echte bedingte Verurteilung, die Beschränkung des Urteils auf den Schuldspruch und den Aufschub des Ausspruches über die Strafe für eine Probezeit auch gegen erwachsene Verbrecher zu, und er stellt zweitens den für die einzelnen Verbrechen angedrohten Strafen bestimmten Ausmaßes für gewisse Arten von Rechtsbrechern sogenannte vorbeugende Maßnahmen von unbestimmter Dauer an die Seite, deren Ausmaß sich nicht nach der Schwere des Unrechts und der Schuld, sondern ausschließlich nach der Gefährlichkeit des Täters richtet: so die Einweisung von geisteskranken Rechtsbrechern und Psychopathen in Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher, die Einweisung von Gewohnheitstrinkern in Trinkerheilanstalten und die Unterbringung gefährlicher Gewohnheitsverbrecher in der Sicherungsverwahrung. Die Anhaltung in diesen Anstalten soll sich, soweit es nicht der Gesundheitszustand der Eingewiesenen fordert, von der Anhaltung im Gefängnis nicht unterscheiden. Beide sollen, soweit als nur irgend möglich, der Resozialisierung, der Erziehung zu einem geordneten Leben dienen. Der Unterschied zwischen Strafen und vor-

beugenden Maßnahmen besteht nur darin, daß die Dauer der Strafe von der.; Art der strafbaren Handlung abhängt und im Urteil festgesetzt wird, die Dauer der vorbeugenden Anhaltung aber nur durch den gefährlichen Zustand des Täters und den Erfolg seiner Behandlung bestimmt wird. Im Bereich dieser vorbeugenden Maßnahmen wird also der Gedanke, daß sich das Ausmaß der Reaktion gegen den Rechtsbrecher nicht nach der Art der Tat und dem Grad seines Verschuldens, sondern nur nach seiner Persönlichkeit richten soll, restlos verwirklicht.

Im einzelnen lauten die vorgeschlagenen Bestimmungen:

„ 25. Begeht jemand, der wegen einer Geistesoder Gemütskrankheit oder wegen Schwachsinns unzurechnungsfähig ist, eine . mit Strafe bedrohte Handlung gewisser Schwere“ (die nähere Begrenzung soll erst nach Beratung des besonderen Teiles

bestimmt werden), „so ordnet das Gericht seine Unterbringung in einer besonderen Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an, wenn er nach der Art seiner Tat und seiner Persönlichkeit für die öffentliche Sicherheit besonders gefährlich ist.

Dasselbe gilt für Personen, die, ohne zurech' nungsunfähig zu sein, mit einem abnormen seelischen Zustand krankhafter Art und höheren Grades behaftet sind. Die Unterbringung wird -auf die verhängte Strafe angerechnet.“

„ 26. Wer, ohne daß die Voraussetzungen für seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher vorlägen, dem Genuß von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln ergeben ist und wegen einer im Rausch oder im Zusammenhang mit seiner Gewöhnung begangenen strafbaren Handlung oder wegen Trunkenheit eine zwei Jahre nicht übersteigende Freiheitsstrafe verwirkt hat, wird vom Gericht in eine Entwöhnungsanstalt eingewiesen, wenn es die öffentliche Sicherheit erfordert und die Einweisung nicht von vornherein aussichtslos erscheint. Die Unterbringung wird auf die verhängte Strafe angerechnet.“

„ 28. Wer, nachdem er im Alter von mehr als 18 Jahren wegen vorsätzlicher strafbarer Handlungen mindestens zwei Gefängnisstrafen verbüßt hat, nach Vollendung seines 24. Lebensjahres wegen

einer mit Strafe bedrohten Handlung gewisser Schwere“ (wie oben) „verurteilt wird und wegen seines Hanges zu strafbaren Handlungen oder, weil er seinen Lebensunterhalt regelmäßig ganz oder zum Teil durch strafbare Handlungen gewinnt, für die öffentliche Sicherheit gefährlich ist, wird neben einer Strafe von bestimmter Dauer zur Sicherungsverwahrung auf unbestimmte Zeit verurteilt. In 1 diesem Fall tritt die Sicherungsverwahrung an die Stelle der ausgesprochenen Strafe.“

„ 29. Die vorbeugenden Maßnahmen dauern so lange, als es ihr Zweck erfordert. Die Unterbringung in einer Entwöhnungsanstalt darf nicht länger als zwei fahre dauern.“ Die Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aber sind zeitlich unbeschränkt, können also, wenn nötig, bis ans Lebensende fortgesetzt werden. Die Notwendigkeit der weiteren Anhaltung wird periodisch überprüft.

Eine weitere Annäherung an den Gedanken des Täterstrafrechts liegt darin, daß das,Gericht von der im Gesetz angedrohten Strafe abgehen kann, und zwar nicht, wie bisher, nur nach unten durch außerordentliche Strafmilderung, sondern auch nach oben durch außerordentliche Strafschärfung, indem es die Strafe wegen wiederholten Rückfalls bis auf das Anderthalbfache des angedrohten Höchstmaßes erhöhen kann.

Vom Gedanken des Täterstraf rechts beeinflußt ist endlich auch die allgemeine Strafzumessungsregel, des 34: „Bei Bemessung der Strafe hat das Gericht hauptsächlich abzuwägen, ob die Tat mehr auf eine den Anforderungen des Gemeinschaftslebens feindselig oder gleichgültig gegenüberstehende Einstellung des Täters oder mehr auf äußere Ursachen zurückzuführen ist, die ihm nicht zum Vorwurf gereichen.“

Die Vorschläge des Entwurfs stellen also einen Ausgleich zwischen den beiden extremen Standpunkten dar, der, wie jedes Kompromiß, an einer gewissen Halbheit krankt. Aber ein reines Vergeltungsstrafrecht ist heute nicht mehr, ein ausschließlich nach dem Präventionsgedanken ausgerichtetes noch nicht möglich. Ein Gesetz, das lebendes Recht schaffen will, muß auf die in der Bevölkerung herrschenden Anschauungen Rücksicht nehmen.

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