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Christ und Strafvollzug

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Der Verfasser ist Leiter des landisgerichtli-chen Gefangenenhauses I Wien

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Der Verfasser ist Leiter des landisgerichtli-chen Gefangenenhauses I Wien

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Von jemandem, dessen berufliche Aufgaben im Bereich des Straf-und Untersuchungshaftvollzuges liegen, wird an dieser Stelle wohl erwartet, daß er erklärt und bekennt, inwieweit sein christliches Weltbild Basis für eben diese Berufstätigkeit ist.

Der Strafvollzug, seit 1970 nach einstimmiger parlamentarischer Beschlußfassung bundesgesetzlich geregelt, steht nicht erst seit dem kurz zurückliegenden tragischen Vorfall (Werner Knie-sek) unter öffentlicher Kritik. Es wird der Vorwurf erhoben, es mangle infolge irriger Humanitätsgesinnung an der nötigen Härte, es komme zur Verwöhnung der Gefangenen und gleichsam zu deren Bestärkung im kriminellen Tun infolge der Einstellung der Verantwortlichen, es sei ja ohnehin ausschließlich die gesellschaftliche Umwelt Anlaß zum Abgleiten in den Rechtsbruch gewesen.

Dem wird gerne die Ansicht vom vollkommen freien Willen gegenübergestellt, der Verantwortlichkeit des Menschen, Von der Schuld also, wobei vereinfachend die Grenzlinie zwischen den guten und den bösen, den anständigen und unanständigen Menschen als entlang der Gefängnismauer verlaufend angenommen wird.

Abgesehen einmal von den - in der Minderzahl befindlichen - Gefangenen, die eine geordnete Sozialisations-entwicklung hinter sich haben, handelt es sich beim größten Teil der Insassen unserer Vollzugseinrichtungen tatsächlich um erheblich psychisch und sozial vorge-schädigte Menschen, die von Anfang an die Wahrscheinlichkeit sozialabweichenden Verhaltens gegen sich hatten.

Sicherlich haben sie über diese Defizite hinaus persönliche Schuld. Aber es wird wohl nie gelingen, das Maß dieser Schuld, oder anders, die Grenze zwischen eigenem Versagen und dem anderer zu ergründen. Solche Überlegungen würden auch das verständnisvollste Gemeinwesen nicht daran hindern, sich vor gefährlichen

Rechtsbrechern vorerst durch deren Verwahrung zu schützen, bedingen aber anderseits wohl die Verpflichtung zu realitätsnahen und persönlichkeitsbezogenen rehabilitierenden Maßnahmen während der Haft und zu Bemühungen dahin, den Täter nach Entlassung in die Gemeinschaft einzugliedern, somit, christlich gesprochen, Versöhnung herzustellen.

Aber, wird man einwenden, wo bleibt bei all dem Getue um den Rechtsbrecher die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung, die Abschreckung anderer vor strafbaren Handlungen, die Generalprävention? Müssen nicht jedenfalls diesen übergeordneten Interessen die individuellen Ansprüche des

Rechtsbrechers, bei allem Verständnis, weichen? Ja sicherlich, das wird in vielen Fällen so sein müssen. Auch an Strenge (das ist allerdings etwas ganz anderes als die oft geforderte „Härte") und Konsequenz gegenüber den oft überaus schwierigen Insassen wird es nicht mangeln dürfen.

Aber wir Christen, die wir Aufgaben im Strafvollzug wahrzunehmen haben, sollten uns doch nicht zu sehr wohlfühlen bei alldem: Unter jenen Männern, die vorhatten, die Ehebrecherin zu steinigen, waren sicherlich einige, die gar nicht so blutrünstig waren, die vielleicht sogar Mitleid mit der Frau hatten, aber dennoch vor der Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit der Hinrichtung überzeugt waren. Wo käme man schließlich hin, mögen sie gedacht haben, wenn durch Nachsicht in solchen Fällen die Sitten verwildern und man dann womöglich nicht einmal mehr sicher wäre, auch Vater des von der Ehefrau geborenen Kindes zu sein ... ?

Ist der Christ im Strafvollzug also letztlich auch ein Utopist? Ebenso Utopist wie jene anderen, die von der „gefängnislosen Gesellschaft" träumen?

Nun, Wirklichkeitsferne wurde den Christen schon immer vorgeworfen. Aber sie unterscheiden sich in ihrem Verhältnis zum Rechtsbre-. eher doch vom Ansatz her wesentlich von den anderen, den Utopisten. Gleichen letztere Ärzten, deren Streben ausschließlich darauf gerichtet ist, den menschlichen Tod als kollektives Phänomen zu beseitigen, versuchen wir Christen - wissend um Tod und Schuld und in der eigenen Unzulänglichkeit immer wieder auf die Gnade Gottes zurückverwiesen -, den einzelnen leidenden und gefallenen Menschen in seiner gegenwärtigen Bedrängnis ernst zu nehmen, ihm beizustehen, ihn zu heilen.

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