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Nicht auf die Nationalsozialisten einschränken!

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Die Frage, ob gewisse in der NS-Zeit begangene Verbrechen von der Verjährung ausgeschlossen sein sollen, findet am ehesten dann eine befriedigende Antwort, wenn man sie losgelöst von ihrem politischen Hintergrund nach den für die Gestaltung des Strafrechts allgemein maßgebenden Erwägungen behandelt. Die überwiegende Meinung geht heute dahin, daß die Strafe eine Mehrheit von Aufgaben zu erfüllen hat. sie soll einerseits das in der Vergangenheit liegende Verhalten des Täters tadeln und anderseits wirksam den Gefahren entgegentreten, die der Rechtsordnung von seiner Seite in Zukunft drohen.

Durch ihren Tadel stellt die Strafe den in der Übeltat erschütterten Glauben an die Herrschaft des Rechtes wieder her. Der in ihrem Übel-ge'hadt gelegene Akzent der Mißbilligung trägt der Wichtigkeit der durch das Verbrechen verletzten Rechtsvorschrift Rechnung und sorgt für eine an den sozialen Bedürfnissen orientierte Wertordnung des Menschen. In ihrer Wirkung auf den Bestraften selbst kann sie diesen etwa durch Freiheitsentzug an der Verwirklichung asozialer Vorhaben faktisch hindern oder durch Erziehung oder Abschreckung erreichen, daß er seine Bestrebungen den Erfordernissen eines geordneten Gemeinschaftslebens anpaßt.

Sind Wiederherstellung des Bewußtseins der Rechtsherrschaft,Sicherung vor dem Übeltäter und das Bemühen um seine soziale Einordnung die Bestimmungselemente der Strafe, dann müssen sie auch maßgebend für das Erlöschen des Strafanspruches durch Zeitablauf sein.

Der bloße Zeitablauf ist insofern von Einfluß auf das Bedürfnis nach Wiederherstellung des Bewußtseins der Rechtsherrschaft, als mit der Zeit die Erinnerung an die Tat schwindet, die das Reaktionsbegehren ausgelöst hat. Ausmaß und Geschwindigkeit dieses Erinnerungs-verlustes sind weitgehend vom Unrechtsgehalt der Tat bestimmt. Dieser ergibt sich einerseits aus Wert, Umfang und Intensität der Rechtsgüterverletzung und anderseits aus der in der Tat geoffenbarten Feindseligkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber den durch das Strafrecht geschützten Interessen. Das durch die Tat ausgelöste Sicherungs- und Erziehungsbedürfnis schwindet mit dem Zeitablauf nur dann und insoweit, als der Täter durch Wohlverhalten gezeigt hat, daß es ihm gege-über nicht mehr besteht.

Die Unverjährbarkeit von in der NS-Zeit begangenen Verbrechen ist im Augenblick insofern außer jeder Diskussion, als nach geltendem Recht der Zeitablauf nur dem zugute kommt, der in der Verjährungszeit kein neues Verbrechen begangen hat. Das würde allerdings anders, wenn der Entwurf zum neuen Strafrecht Gesetz werden sollte. Er verzichtet auf das Wohlverhalten in der Verjährungszeit. Die Straflosigkeit soll im Fall der Verjährung daher künftig nicht mehr verdient sein müssen, sondern fällt dem Täter, selbst wenn er weiterhin gemeingefährlich ist, als Geschenk in den Schoß.

Problematisch ist, ob es Verbrechen geben soll, die auch bei Wohlverhalten des Täters von der Verjährung ausgeschlossen sind. Das österreichische Strafrecht hat seinerzeit alle mit dem Tod bedrohten Verbrechen für unverjährbar erklärt, wobei es von der Erwägung ausging, daß bei besonders schweren Rechtsbrüchen die Rechtsordnung unter keinen Umständen darauf verzichten kann, sich gegenüber dem Rechtsbrecher durchzusetzen. Vor allem in den Fällen des Mordes, der Tötung im Zuge eines Raubüberfalls (räuberischer Totschlag) und der Durchführung gemeingefährlicher Verbrechen, die zum Tod eines Menschen führten, der dem Täter voraussehbar war, war die Verjährung für den unmittelbaren Täter und denjenigen, der zur Tat angestiftet hatte, ausgeschlossen. An der weiteren Geltung dieser nach meiner Ansicht noch immer in Kraft stehenden Anordnung des Gesetzes sind Zweifel erhoben worden, weil es mit der Abschaffung der Todesstrafe im ordentlichen Verfahren zur Zeit kein schlechtweg mit dem Tod bedrohtes Delikt gibt.

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