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Gehorsam oder Gewissen

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Den Konflikt des Menschen zwischen der Befolgung eines von menschlicher Autorität aufgestellten Gebotes und der Einhaltung eines sogenannten höheren Gesetzes wird es immer geben. Sophokles hat ihn in seiner Antigone“ behandelt und in unseren Zeiten politischer Gewaltregime mit Einbeziehung eines jeden Menschen in die politischen Vorgänge dürfte er manchem zum eigenen Erlebnis geworden sein. Als nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft manche Parteigänger vor Gericht Rechenschaft über ihre Handlungsweise ablegen mußten, pflegten sie die nach dem Strafgesetze zu ahndenden Handlungen mit dem Hinweis auf einen ihnen erteilten Befehl zu verantworten. Wie in solchen Fällen die richterliche Entscheidung ausfiel oder noch ausfallen mag, geht weit über das örtliche Interesse hinaus. Wenn beispielsweise eine strafbare Handlung nur deshalb nicht bestraft würde, weil sie in Befolgung eines Befehles ausgeführt wurdq, könnte der Freispruch leicht zum Kristallisationskern einer sich verallgemeinernden Ansicht werden, die im gegenständlichen Falle nicht nur zu einer Verwirrung im Rechtsleben, sondern auch in der Ethik überhaupt führen müßte…

Was ist über Befehlsgebung und -befolguhg, über Gehorsam im allgemeinen zu sagen? Kinder müssen den Eltern und Lehrern, Lehrlinge ihrem Meister folgen. .Der Pfadfinder gehorcht ohne Widerrede , und am wichtigsten ist in aller Welt der .unbedingte“ Gehorsam gegenüber militärischen Vorgesetzten, ganz besonders bei der Kampftruppe. Selbstverständlich ist das auch in den Dienstvorschriften niedergelegt, so in dem auf Erzherzog Karl zurückgehenden .Dienstreglement für das kaiserliche und königliche Heer“ in Altösterreich- Da finden wir auch die Frage berücksichtigt, wie der Soldat sich bei ‘Befehlen, deren Ausführung eine strafbare Handlung darstellen würde, zu verhalten habe. Im I. Teil, § 11, Punkt 66 (Ausgabe 1897), steht geschrieben:

.Nur dann, wenn ein Befehl klar und offenbar gegen die beschworene Eidespflicht, die Wohlfahrt des Staates oder den Dienst gerichtet wäre, desgleichen wenn er eine durch das Strafgesetz verbotene Handlung verlangen würde, hat der Untergebene, nachdem er alle Umstände erwogen, den Gehorsam nicht zu leisten und hierüber dem nächsten Vorgesetzten 6ofort die Meldung zu erstatten.“

Damit ist vor mehr als einem halben Jahrhundert festgelegt worden, daß der Soldat den Gehorsam nicht zu leisten habe, wenn der Befehl „eine durch das Strafgesetz verbotene Handlung verlangen würde“. Es sei jetzt die Frage aufgeworfen, ob der angeführte Gesetzestext nicht vielleicht eine ganz allgemeine und zeitlos geltende Norm darstellen könnte.

Außer den Gesetzbüchern und sonstigen Vorschriften gibt es für den Menschen noch eine Instanz, die für sein Handeln maßgeblich ist — das Gewissen. Unsere Umgangssprache kennt die Gewissenspflicht, Gewissenserforschung, Gewissensbisse und -quälen, die Gewissensfrage und den Gewissenskonflikt, das schlechte und das gute Gewissen, den gewissenhaften und den gewissenlosen Menschen. Jeder Mensch weiß aus eigenem Erleben, daß es ein Gewissen gibt und was man darunter versteht. Die wissenschaftliche Definition des Gewissens als eines sehr komplexen psychischen Erlebens ist sehr schwierig und fällt nicht in den Rahmen dieses Aufsatzes. Das Gewissen ist, wie das Wort sagt, eine Art Wissen, mit dem wir Gut und Böse unterscheiden. Es ist aber kein rein geistiges Wissen, sondern ein Wissen, das mit dem ganzen Seelenleben verbunden ist, was wohl durch die Vorsilbe .ge“ oder in der französischen und englischen Sprache durch .con“ (conscience) zum Ausdruck kommt. Mit dem Wissen ist vor allem ein gefühlmäßiges Erleben verbunden. Der Mensch ist mit seinem Gefühl dabei, wenn er sich für etwas entscheidet. Es ist das Gefühl der Befriedigung, wenn er sich für das Gute, ein Gefühl der Unzufriedenheit, wenn er sich für das Schlechte entscheidet.

Jeder seelisch-geistig gesunde Mensch mit der auf unserer Kulturstufe üblichen Erziehung hat ein Gewissen als oberste Instanz in seiner Seele, die sein sittliches Verhalten gewährleistet. Wer sich von seinem Gewissen leiten läßt, geht nicht fehl. Alle Menschen haben zufolge der Gleichartigkeit der Seele und der individuellen Entwicklung und Erziehung der Art nach dasselbe Gewissen. Dem Grade nach, vielleicht besser gesagt: der sittlichen Kraft nach, gibt es Unterschiede. Man spricht zum Beispiel davon, daß jemand ein weites Gewissen habe, das heißt, daß er es mit den guten Sitten nicht sehr streng nehme. Das Gewissen ist eine Voraussetzung für das moralisch richtige wie die Vernunft für das verstandesmäßig richtige Handeln. Wenn alle Menschen nach ihrem Gewissen handeln würden, würde man nicht viele Richter brauchen. Doch sieht man schon im Verhalten der Menschen, soferne es gar nicht gesetzlichen Normen untersteht, oft, daß’jemand „mit einer Gewissenlosigkeit sondergleichen handelt.

Ein Sonderfall wäre es nun, wenn .die Stimme des Gewissens“ als bestimmender Faktor für eine Handlungsweise durch Befehlsgebung und deren Befolgung ausgeschaltet würde; wenn jemandem zum Beispiel der Befehl erteilt wird, etwas zu tun, was zu tun er „vor seinem Gewissen nicht verantworten“ kann. Entweder leistet er Gehorsam oder handelt er nach seinem Gewissen. In erste- rem Fall mag er sich denken: Nicht er ist der Übeltäter, sondern jener, der die Übeltat befiehlt. Das wäre richtig, wenn der Täter als Werkzeug ohne eigenen Verstand und Willen und ohne sittliches Empfinden aufzufassen wäre. Besitzt er aber diese Qualitäten, welche jedem erwachsenen Menschen zugeschrieben werden, dann ist er nicht mehr (nur) Werkzeug, sondern (auch) Täter und als solcher für seine Tat verantwortlich. Daher heißt es auch im § 560 (b) der im österreichischen Strafgesetz enthaltenen Sonderbestimmungen (ex 1920) für aktive Heeresangehörige, daß die Nichtbefolgung eines Befehles straflos sei.

„wenn der Befehl eine Handlung oder Unterlassung zum Gegenstände hat, in der offenbar eine strafbare Handlung zu erkennen ist“, und im § 535:

„Der Befehl eines Vorgesetzten entschuldigt nicht von der Zurechnung einer strafbaren Handlung, wenn nicht das Gesetz davon ausdrücklich eine Ausnahme macht.

Wenn Volksrichter eine in den Augen vieler als Mord erscheinende Tat mit dem Hinweis auf Befolgung eines Befehles entschuldigen, haben sie sich wahrscheinlich in die Zwangslage dessen, dem die strafbare Handlung befohlen worden ist, hineinversetzt und sind zu der Feststellung gekommen: der Täter ist jedenfalls nicht der Alleinschuldige, auch der Befehlsgeber ist schuldig; und ohne Befehl wäre es gar nicht zur Ausführung der strafbaren Handlung gekommen. Wenn aber daraus das Urteil erfloß: also ist der Täter unschuldig, so war dies zu viel Nachsicht. Es wäre richtiger gewesen, an Stelle der Verkündigung eines Freispruches mit einer Verurteilung vorzugehen und dabei die Milde des Gesetzgebers walten zu lassen, die nach § 46 c österreichisches Staatsgesetz dem Täter zuteil werden kann, „wenn er auf Antrieb eines Dritten, aus Furcht oder Gehorsam das Verbrechen begangen hat“.

Das wäre die einzig richtige Lösung, nämlich die milde Bestrafung des Mordes auf Befehl, wobei der Grad der Milde nach den jeweils vorliegenden äußeren Umständen, soweit solche noch feststellbar sind, zu bemessen wäre.

Es kann manchmal sehr schwer gewesen sein, einem Befehl nicht Folge zu leisten, zu anderen Malen mag es leichter möglich gewesen sein. Ein Fall, daß die Nichtbefolgung eines Befehles, der eine gesetzlich strafbare Handlung forderte, schwer geahndet worden wäre, ist noch nie bekannt geworden. Fälle von Nichtbefolgung solcher Befehle, die den Gehorsamsverweigerer wohl Nachteile auf sich nehmen, aber schließlich doch als Sieger im Gewissenskonflikt hervorgehen ließen, werden leider zu wenig hervorgehoben. Sie wären geeignet, Freisprüche trotz strafbarer Handlungen auf Befehl zu verhüten und wieder eine Moral herzustellen, die bis in die jüngste Vergangenheit durch Gesetz und Gewissen festgelegt war. Der Chef des deutschen Generalstabes, Generaloberst von Beck, beharrte Adolf Hitler gegenüber darauf, daß der soldatische Gehorsam dort eine Grenze habe, wo das Gewissen die Ausführung eines Befehles verbiete. Da er für diese Auffassung kein Verständnis fand, reichte er sein Abschiedsgesuch ein. Diese Handlungsweise findet das Lob der Nachwelt. Der General der altösterreichischen Armee C. Bardolff, der auch absolvierter Jurist war, nannte das von uns oben zitierte österreichische Dienstreglement ein Gesetzbuch, mit dem man

„nicht nur eine Armee aufbauen könnte, das vielmehr für manche Völker und Staaten heute noch in seinen allgemeinen Grundzügen ein fester Boden wäre, denn es enthalte ewige Wahrheiten, sittliche Forderungen höchster Ordnung .

Die Dienstordnungen aller Armeen der Welt sollten die österreichische Regelung bezüglich Nichtbefolgung militärischer Befehle, soferne sie in ihnen noch nicht oder nicht so klar enthalten ist, aufnehmen. Sie zeigt einen Ausweg aus dem Konflikt zwischen Gehorsam und Gewissen und bietet damit auch einige Gewähr für Menschlichkeit in Revolutionsund Kriegszeiten.

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