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Falsche Werkzeuge im Sicherheitswesen

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In den letzten Tagen lernte ich kaum bekannte Worte Grillparzers kennen:

„Neigt auch der Tag sich mir schon, noch immer möchte ich glauben in Dich mein Österreich, so Du nur einen mir zeigst, der nicht zur Meute gehört.“

Nach glaubwürdiger Darstellung eines damaligen Zeitgenossen schrieb der große österreichische Dichter diese Zeilen „am Abend seines 80. Geburtstages, angewidert von der vielköpfigen Schlange Gratulierender aus damaligem Naderertum. Er hat dann das Blatt zerknittert und in den Papierkorb geworfen. Dort war es von Katharinas ordnender Hand gefunden, geglättet und meinem Großvater als langjährigem Freund Grillparzers gelegentlidi seines Besuches am nächsten Morgen überlassen.“

So ist auf der Rückwand des in Glas gerahmten vergilbten Blattes Papier die Geschichte des kostbaren Erbstückes aus Großvaters Zeit verzeichnet.

Es hat also schon damals etwas gegeben, wogegen sich heute wie ehedem unser Abscheu richtet: das Naderertum. Der Ausdruck wurzelt auf Wiener Boden und ist uns Österreichern daher geläufig. Das etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache, herausgegeben von Götze, gibt denn auch über dieses uns geläufige Wort keine Auskunft. Naderer in des Wortes heutiger Bedeutung hat seinen Ursprung in einem Personennamen, dem Polizeichef Sedlnitzkyscher Ära und wurde zufolge der Vorstellung, die sich mit der Person des Herrn Naderer und den damaligen Verhältnissen verknüpfte, in der Folge den Wienern und Österreichern eine begriffliche Bezeichnung einer verabscheuens-würdigen Betätigung. Grillparzer mag in seinen ebenso rasch hingeworfenen als wieder weggeworfenen Sätzen am 15. Jänner 1871 übertrieben haben, er spricht aber immerhin von einer „Meute“, die — wie es mir scheint — auch bis heute so viele Jahre nach seinem Tode noch immer nicht vollständig verstummte.

Auf die Gefahr solcher Erscheinung öffentlich hinzuweisen, ist dann am Platze, wenn sie sich öffentlich breit macht. Diesem professionellen Naderertum gilt in erster Linie der Kampf, denn es ist ihm eigen, harmlose Vorfälle aus verwerflichen Gründen in einer für den Betroffenen gefährlichen Weise zu entstellen und zu färben, womit gerade in Zeiten, wie den heutigen, nachteiligste den Interessen der Allgemeinheit schädliche Folgen verknüpft sein können. Solch widerliches Unwesen lehnt nicht nur die christliche Ethik ab. Es ist nicht von ungefähr, wenn erst jüngst auch das Zentralorgan der Sozialisti-tchen Partei Österreichs hievor warnte.

Deutlich genug kam die Entwürdigung, die der Sicherheits- und Rechtspflege und dem Staate selbst aus Zulassung und Begünstigung des Angebertums und seiner Varianten erwächst, im nationalsozialistischen System zum Ausdruck. Nirgends warst du sicher, nicht

auf der Gasse, nicht auf der Straßenbahn, oft nicht einmal in deiner eigenen Wohnung, ob du nicht von einem aufhorchenden Späher belauscht würdest, um morgen der Gestapo ausgeliefert zu werden. Wenn du zu einem Freunde sprachst, sahst du dich zuerst vorsichtig um: Sind Aufpasser in der Nähe? Jede geschriebene Zeile, die du verstreutest, wenn sie auch harmlos war, konnte dich ins Gefängnis bringen, falls sie ein Angeber fand, der ihr eine böse Deutung zu geben wußte. Mit diesem Angeberwesen hatte der Staat tatsächlich die staatsbürgerlichen Freiheiten beschlagnahmt. Kein Polizeisystem des Absolutismus hatte sich bei uns zu Lande einer ähnlichen Waffe gegen das Volk bedient. Zahllose Verfahren vor Sonder- und Volksgerichten gingen auf das staatlich gezüchtete Denunziantentum zurück. Und es geschah“ nicht selten, daß sich in der eigenen Familie der Vater vor dem in der Schule zur Angeberei angeleiteten Sohne nicht mehr sicher fühlte. Eine Legion von Verurteilten wegen Rundfunkverbrechen, Führerbeleidigungen nach dem Heimtückegesetz beruhten auf Denunziationen. Aber schließlich lieferte nichts so sehr den Staat selbst und sein Sicherheits- und Rechtswesen der Verachtung aus, wie dies amtlich begünstigte widerwärtige Unwesen, das überall dort, wo es sich ausbreiten kann, in den verschiedenen Formen des Spitzelwesens zu einer gefährlichen Erkrankung des ganzen Gemeinschaftslebens wird.

Mir liegt ein Rechtsgutachten der BerlinerHeeresrechtsabteilung vor, das sich den Einwendungen eines Wiener Verteidigers gegen ein Urteil des Zentralgerichtes des, Heeres, Außenstelle Wien, nicht verschloß und wörtlich ausführte:

„Die Verlockung hat der Untersuchungsführer des Gerichtes der Division selber in Szene gesetzt, es handelt sich also um den absonderlichen Fall, daß ein Kriegsgericht durch einen Gefreiten eine Anzahl von Unteroffizieren und Feldwebeln, mithin Vorgesetzte, zu einer todeswürdigen Handlung anstiften läßt, u m daraufhin den Verführten zum Tode zu verurteilen. Dazu wurden dem Gefreiten agerit provocateur sogar hohe Geldbeträge ausgehändigt, mit denen er die Unteroffziere und Feldwebel bestechen sollte. Der Gefreite hat dann in raffinierter Weise mit reichlichem Alkoholgenuß und gutem Essen seine Opfer verführt und sie dem Untersuchungsführer an das Messer geliefert. Ich kann ein derartiges Verfahren keineswegs billigen. Es widerspricht meinem Gefühl von Anständigkeit und Gerechtigkeit.“

Trotz dieses einleuchtenden Votums und obgleich also in diesem Militärgerichtsprozeß aus dem Jahre 1944 sogar reichsdeutsche Juristen dem damaligen Chef des Ersatzheeres die Aufhebung des Todesurteils vorschlugen und begründeten, warum der zum Tode verurteilte Angeklagte straflos zu bleiben hätte, setzte sich der Reichsführer SS Himmler über

Äeses Bedenken der Humanität und des

Rechtes hinweg und bestätigte den Schuldspruch. Der Untersuchungsführer aber, der in Wien diese gebührend gekennzeichneten Methoden anwandte, war ein reichsdeutscher Richter, der heute auf der Kriegsverbrecherliste steht. So krasse Erscheinungen bringt ein staatliches Sicherheitswesen hervor, das sich des unmoralischen Instruments des Angeber- und Zubringertums bedient.

Bei uns in Österreich war von jeher das Spitzeltum gesellschaftlich, dann aber auch gesetzlich verfemt; 25 StPO bestimmt, daß es selbst zur Aufdeckung von Kriminalverbrechen strengstens untersagt ist, „auf die Gewinnung von Verdachtsgründen oder die Überführung durdi Verleitung zu einer strafbaren Handlung hinzuwirken.“

Wir werden gut tun an dieser traditionellen Auffassung auch praktisch festzuhalten und uns öfter daran erinnern:

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