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Schlußstrich unter NS-Verbrechen

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Wieder einmal, wie schon 1965 und 1969, wird in der Bundesrepublik Deutschland über die Verjährung schwerster Verbrechen aus der nationalsozialistischen Zeit diskutiert. Nach dem „Deutschen Strafgesetzbuch“ träte sie mit Ende 1979 ein. Im Ausland werden Stimmen dagegen unüberhör-bar laut. In der BRD überlegt man, auf welche Weise man verhindern solle, daß z. B. KZ-Morde die Gerichte nicht mehr beschäftigen dürften.

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Wieder einmal, wie schon 1965 und 1969, wird in der Bundesrepublik Deutschland über die Verjährung schwerster Verbrechen aus der nationalsozialistischen Zeit diskutiert. Nach dem „Deutschen Strafgesetzbuch“ träte sie mit Ende 1979 ein. Im Ausland werden Stimmen dagegen unüberhör-bar laut. In der BRD überlegt man, auf welche Weise man verhindern solle, daß z. B. KZ-Morde die Gerichte nicht mehr beschäftigen dürften.

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Vor allem zwei Wege werden erwogen: Die Verjährung für Mord überhaupt aufzuheben oder sie speziell für NS-Morde zu beseitigen. Als Drittes bliebe, sich mit dem Eintreten der Verjährung abzufinden. Anscheinend wird vor allem der erste Weg, die Aufhebung der Verjährung für, Mord überhaupt, ins Auge gefaßt. Dafür wird auf ausländische Vorbü-der, etwa Großbritannien, Italien, Staaten der USA und Israel, verwiesen.

Auch Österreich wäre in dieser Reihe zu nennen. Freüich ist die Verjährung nicht nur bei Mord, sondern - wie auch in Italien - für alle Delikte ausgeschlossen, die mit schwersten Strafen (in Österreich mit lebenslanger oder 10- bis 20jähriger Freiheitsstrafe) bedroht sind. Das Problem, mit dem in der BRD noch gerungen werden muß, ist damit für Österreich erledigt. Es ist auch an uns nicht vorbeigegangen. Aber es wurde schon 1965 auf eine Weise bereinigt, die eine Sonderregelung für Verbrechen in der NS-Zeit vermied. Dabei konnte man an alte österreichische Rechtstraditionen anknüpfen.

Nach dem Strafgesetz von 1803 gab es bei Taten, die mit dem Tod bedroht waren, keine Verjährung. So blieb es zumindest, bis 1919 die Todesstrafe im ordentlichen Verfahren durch lebenslangen schweren Kerker ersetzt

wurde. In der Folge meinte die herrschende Auffassung, daß die Unverjährbarkeit gegenstandslos geworden sei; einzelne lehrten dagegen, daß diese für die bis dahin mit dem Tod bedrohten Delikte weitergelte.

Als nun 1965 die Frage der Verjährung von NS-Verbrechen aktuell wurde, machte das Strafrechtsänderungsgesetz 1965 diese zweite Auffassung zum Gesetzesinhalt. Dies rückwirkend, weil beim Inkrafttreten dieser „Klarstellung“ die Verjährung in vielen Fällen nach der herrschenden und auch vom Obersten Gerichtshof vertretenen Auslegung des alten Gesetzes schon eingetreten war.

Das Rückwirkungsverbot nach der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten erfaßt die Rückwirkung ungünstigerer Verjährungsbestimmungen nicht, und in der Lehre gibt es Stimmen, die eine solche Rückwirkung grundsätzlich unbedenklich finden.

Das Strafgesetzbuch 1975 übertrug die Unverjährbarkeit, da die Todesstrafe nun ja restlos beseitigt war, auf Taten, die mit lebenslanger oder mit 10- bis 20jähriger Freiheitsstrafe ausschließlich oder wahlweise bedroht sind. Nach Ablauf von 20 Jahren entfällt jedoch die Androhung lebenslanger Freiheitsstrafe.

Rechtspolitisch stellen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage für die Verjährung allgemein auf den Wegfall des Bedürfnisses nach Bestrafung oder Sicherung ab. Dafür komme es darauf an, wie sehr durch die Tat das Bewußtsein der Rechtssicherheit erschüttert worden und ob ein Rückfall zu befürchten sei.

Für die abstrakte Betrachtungsweise, die für die Verjährung der Verfolgung praktisch allein möglich ist, sind diese Maßstäbe vielleicht etwas fragwürdig. Bei sehr schweren Verbrechen kann man aber als Durchschnittswahrheit annehmen, daß es das Rechtsbewußtsein erschüttern würde, wenn bloß wegen Zeitablaufs der Verdacht nicht untersucht und der Täter nicht bestraft werden dürfte.

Aber auch eine andere Erfahrung ist zu bedenken, die für das Rechtsinstitut der Verfolgungsverjährung spricht: daß mit Zeitablauf typischerweise Erinnerung und Beweismöglichkeiten abnehmen. Das kann sich zum Nachteü des Verdächtigen auswirken, weil er den wahren Sachverhalt nicht mehr vorbringen oder nicht mehr wenigstens soweit erhärten kann, das zumindest ein echter Zweifel an seiner vemeintli-chen Schuld entsteht. Aber auch eine Anhäufung von Freisprüchen ist nicht erwünscht.

Das Gerechtigkeitsbedürfnis der Allgemeinheit wird durch das Verfahren geweckt und bleibt im Hinblick auf die Tat zuletzt doch unbefriedigt. In den vom Verbrechen Betroffenen werden schreckliche Erinnerungen aktualisiert, und dieses Aufreißen der Wunden bleibt zuletzt doch vergeblich. Auch andere Erwägungen sprechen gegen allzulange Verjährungsfristen oder die Unverjährbarkeit selbst schwerster Taten. Man kann also sicher verschiedener Meinung darüber sein, ob es sachgerecht ist, solche Verbrechen von der Verjährung auszunehmen.

Gewiß kann man das Ziel verfolgen, bestimmte kriminelle Erscheinungen der Vergangenheit dem Bewußtsein dauernd gegenwärtig zu halten. Das würde folgerichtig eine Sonderregelung für diese Sachverhalte nahelegen. Aber ob der Strafprozeß das geeignetste oder auch nur ein vertretbares Mittel dafür wäre? Jedenfalls könnte er einer solchen Sonderaufgabe im gegebenen Fall nur noch kurze Zeit hindurch - und da schön immer weniger-dienen. So sollte sie auch nicht als Grund oder wesentliches Argument für die Unverjährbarkeit schwerster Verbrechen - z. B. von Morden - herangezogen werden.

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