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Mord wird nicht verjähren

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Nachdem schon seit Monaten die Diskussion um die Frage der Verjährung von NS-Verbrechen, nicht zuletzt ausgelöst durch eine entsprechende Resolution bei den Vereinten Nationen, welche die deutsche Öffentlichkeit stark beschäftigt, hat sich Mitte Oktober Bundesjustizminister DDr. Heinemann — und das nicht zum ersten Male — eindeutig für die Aufhebung der Verjährung von Mord ausgesprochen. In einem Artikel in der Tageszeitung „Die Welt”, vom 16. Oktober 1968, schreibt Bundesjustizminister DDr. Heinemann unter anderem:

„Die Aufhebung der Verjährung für jeden Mord erscheint mir nicht nur geboten, sondern auch dringlich, weil die Aufklärung der unter dem NS-Regime begangenen Mordtaten unzureichend geblieben ist. Die Erwartungen des Bundestages, bis zum Ende des Jahres 1969 würden die Ermittlungen so weit durchgeführt sein, daß die Verjährung bei allen in Betracht kommenden Tätern unterbrochen werden könne, haben sich trotz redlicher Bemühungen aller Behörden nicht erfüllt.”

Propaganda aus Ost-Berlin

Die Sowjetzonenregierung in Ost- Berlin hat am 22. Oktober 1968 eine Erklärung an die 23. Tagung der Vollversammlung der Vereinten Nationen zum Tagesordnungspunkt 55 „Frage der Verurteilung der Kriegsverbrecher und von Personen, die Verbrechen gegen die Menschličhkeit begangen haben” abgegeben, um, wie schon so oft, mit wilden Angriffen gegen die Bundesrepublik und Verdrehung von Tatsachen auch dieses Thema propagandistisch zu nützen. So spricht man in dieser Resolution von mehr als 2000 „völkerrechtswidrigen Todesurteilen”, die man den Justizbehörden der Bundesrepublik übergeben hat. Aus Gesprächen im Bundesjustizmini- sterium ist zu ersehen, daß weniger als die Hälfte von Urteilen der genannten Zahl übergeben wurde, die bei genauer Durchsicht im Ministerium kaum mehr als 10 Prozent derartiger Urteile ergaben. Die Problematik, die Richter zu ermitteln, die an diesen Urteilen mitgewirkt haben, besteht darin, daß bei einem Gericht von drei Personen ein betroffener Richter sagen kann, er habe dagegen gestimmt. Der Beweis, daß er anders gehandelt habe, ist oftmals nicht zu erbringen. Außerdem behaupten die kommunistischen Behörden in Ost-Berlin, die Bundesrepublik beschäftige heute noch.

Man vergißt leicht

Es ist im Augenblick zu früh, ins Detail zu gehen und zu schildern, wie eingehend die Diskussion um die Verjährung nationalsozialistischer Straftaten in der Bundesrepublik läuft. Man wird bei all den Betrachtungen, die darüber angestellt werden, eines nicht vergessen dürfen: daß die Durchführung von Prozessen eine große Zahl nationalsozialistischer Richter, die in den Ausnahmegerichten dieser Zeit gearbeitet hätte. All diese Behauptungen sind eindeutig falsch. Die belastenden Personen sind entweder durch Aufforderung, sich pensionieren zu lassen, schon vor Jahren ausgeschieden oder aber haben freiwillig den Dienst schon vor langen Jahren verlassen. Es ist nicht so, daß in der Bundesrepublik die Führungsspitzen mit ehemaligen Nationalsozialisten besetzt sind, die hinter Schloß und Riegel gehörten. Immer wieder versucht Ost-Berlin der Bundesrepublik diesen nationalsozialistischen Mantel anzuhängen. Das Groteske daran ist, daß es das zu einer Zeit tut, in der seine Aggressionsteilnahme in der Tschechoslowakei noch nicht vergessen sein dürfte. Wahrscheinlich tut es das, um die Aufmerksamkeit der Welt von seinen eigenen Taten abzulenken, denn in der Bundesrepublik Deutschland wird das NS-Verbrechen laufend verfolgt nach einer derartig langen Zeit nicht leichter geworden ist, sondern von Tag zu Tag schwieriger wird, wenn es weniger Dokumente für die einzelnen Fälle gibt. Das menschliche Gedächtnis versagt oftmals, wenn es um klare Präzisierung von Straftaten geht, und viele Zeugen sind eben auch nicht mehr am Leben.

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