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Wien, Bonn und Vertriebene

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Wenn nicht alle Zeichen trügen, wird in absehbarer Zeit zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland ein Abkommen über eine Entschädigung der in Österreich lebenden Umsiedler, Heimatvertriebenen und politisch Verfolgten abgeschlossen werden. Damit soll ein Schlußstrich unter die vermögensrechtlichen Probleme gezogen werden, die zwischen den beiden Staaten zu bereinigen waren. Es 1st in diesem Zusammenhang sicher nicht uninteressant, einen Überblick über die ganze Problematik aufzuzeichnen.

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges vereinbarten die Siegermächte, daß die deutschen Bewohner aus der' Tschechoslowakei, Ungarn, Polen und Rumänien nach Deutschland umzusiedeln sind. Es ist allerdings zu bezweifeln, ob die Unterhändler der Westmächte überhaupt wußten, welches Dokument des Unrechts sie unterzeichneten, als sie dem sowjetischen Verlangen nach einer Austreibung von rund 20 Millionen Menschen im mitteleuropäischen Raum zustimmten, denn Geschlechter der Auszusiedelnden lebten schon in den Gebieten, bevor noch Amerika entdeckt war. Aber wie immer in der Geschichte, so zeigte sich auch hier, daß ein Unrecht rasch geschehen, aber kaum mehr aus der Welt zu schaffen ist.

Was uns möglich war

Als im Jahre 1945 zehntausende Vertriebene nach Österreich kamen und hier Zuflucht suchten, stellte sich die sowjetische Besatzungsmacht auf den Standpunkt, daß sie in ihrer Zone keine „Flüchtlinge“ dulde. In Melk wurde ein großes Umsiedlungslager eingerichtet und laufend gingen Transporte über die Ennsbrücke. So entstanden dann in Oberösterreich und Salzburg, aber auch in der Steiermark und Kärnten jene großen Barackenlager, die bis heute noch nicht gänzlich geräumt werden konnten.

In den Jahren 1945 bis 1947 wanderten ungezählte Vertriebene durch Österreich, um schließlich auf dem Territorium.}gr heutigen Bundesrepu»- bjik 1 eine neue Heimstatt zu finden.' Im März 1947 ordneten allerdings die westįįchgn ?,l?esatzungsbehärdeiv $' Deutschland an, daß jeder weitere Zuzug aus Österreich zu unterbleiben habe. Als diese Einwanderungssperre kam, waren in Wien allein 12.000 Heimatvertriebene vorgemerkt, die nach Deutschland wollten, aber nunmehr zum dauernden Verbleihen in Österreich gezwungen wurden.

Damit hatte Österreich eine zusätz

liche Sorge aufgebürdet bekommen. Zwar versuchten die Vertriebenen mit allen Mitteln, ihren Lebensunterhalt durch ehrliche Arbeit zu verdienen, und was an positiver Aufbauarbeit von den heimatlos gewordenen Menschen in jenen Jahren geleistet wurde, haben offizielle Stellen wiederholt gewürdigt und anerkannt.

Es würde zuweit führen, wollte man die einzelnen Phasen jener ungewissen Zeit in allen Einzelheiten aufzeigen. Allmählich wurden zahlreiche Heimatvertriebene eingebürgert und durch Gleichstellungsgesetze den Nichteingebürgerten die gleichen Rechte eingeräumt, wie sie alle anderen Österreicher hatten. So beschloß beispielsweise der Nationalrat am 7. Juli 3 952 acht Gleichstellungsgesetze für die einzelnen Berufszweige. Ab 1. September 1953 wurden die Vertriebenen in die österreichische Kriegsopferversorgung einbezogen. Im Jahre 1953 lief eine Aktion zur Seßhaftmachung heimatvertriebener Bauern an. In Form von Krediten wurden für diesen Zweck seither 50,8 Millionen Schilling ausgegeben.

Teilabkommen mit Deutschland

Nach Schaffung der Bundesrepublik Deutschland gab es wieder eine geordnete deutsche Verwaltung, und so wurde im Jahre 1951 der erste Versuch unternommen, ein zwischenstaatliches Abkommen über die Versorgung der heimatvertriebenen Pensionisten des öffentlichen Dienstes zu erreichen. Österreich stellte sich auf den Standpunkt, es könne die Pensionslasten allein nicht tragen, denn öffentlich- rechtlicher Dienstgeber war bei Kriegsende das Deutsche Reich. Im November 1952 konnte in Bonn das Pensionsabkommen vereinbart und im Jänner 1953 in Gmunden unterzeichnet werden. Es brachte den rund 7000 heimatvertriebenen Pensionisten die gleichen Bezüge, wie sie Österreicher in der vergleichbaren Kategorie erhalten. Die Bundesrepublik leistet dazu einen finanziellen Beitrag.

Das nächste Abkommen wurde am '•11,- Juli 1953 in Salzburg unterzeichnet. Es ' betraf die 'Soziilversicherifhg und bestimmte, daß die in der Heimat ' zflefka'ftfiteh SözfaWehÄtr in Ö'st6trefch weitergewährt und die im Ausland erworbenen Versicherungszeiten in Österreich angerechnet werden. Hier ist es nicht gelungen, einen angemessenen deutschen finanziellen Beitrag zu erreichen.

Im Jahre 1955 wurde der österreichische Staatsvertrag wirksam. In diesem mußte Österreich einerseits auf

alle Ansprüche gegenüber Deutschland verzichten, bekam aber das im Einzelfalle den Wert von 10.000 Dollar übersteigende sogenannte „deutsche Eigentum“ zugesprochen. Diese Bestimmung des Staatsvertrages machte Durchführungsvereinbarungen zwischen Wien und Bonn erforderlich und es kam zum Abschluß eines Vermögensvertrages. Im Schlußprotokoll erklärten die beiderseitigen Delegationen, zu einem späteren Zeitpunkt Verhandlungen über die Fragen der Umsiedler, Hei-

matvertriebenen und politisch Verfolgten führen zu wollen. Damit war grundsätzlich anerkannt, daß es noch offene Fragen zwischen den beiden Staaten gab, trotz Staatsvertrag und V ermögensvertrag.

In der Bundesrepublik Deutschland war in der Zwischenzeit ein sehr großzügiger Lastenausgleich durchgeführt worden und die. rechtzeitig von Österreich weitergewanderten Heimatver- triebenen hatten nun offensichtlich das große Los gezogen. Dagegen kennt Österreich keine ähnliche Einrichtung, und von den hier lebenden Vertriebenen wurde deshalb der Ruf nach einer Beteiligung am deutschen Lastenausgleich immer lauter erhoben. Österreich meldete diese Forderung offiziell in Bonn an und es kam im Juli 1958

zu einer ersten Aussprache darüber in Bad Kissingen. Bei dieser Gelegenheit erklärten die deutschen Unterhändler, der Lastenausgleich sei eine rein innerdeutsche Angelegenheit und eine Einbeziehung der in Österreich lebenden Umsiedler und Heimatvertriebenen könne nicht in Frage kommen. Die Verhandlungen blieben ergebnislos.

Die Gespräche wurden dann im Jänner 1959 in Wien fortgesetzt. Im wesentlichen vertraten die deutschen Unterhändler die gleiche Auffassung wie in Bad Kissingen, machten aber schließlich das Zugeständnis, für die echten deutschen Staatsbürger, soweit sie in Österreich leben, einen finanziellen Beitrag leisten zu wollen, falls Österreich einen innerösterreichischeu Lastenausgleich durchführt. Allerdings war das Angebot so bescheiden, daß es die österreichischen Unterhändler nicht annehmen konnten.

Im Jahre 1960 machte Außenminister Dr. Kreisky einen Staatsbesuch in Bonn und forderte bei dieser Gelegenheit eine Fortsetzung der Entschädigungsverhandlungen. Er nannte eine Globalsumme, die von der Bundesrepublik Deutschland zu leisten wäre. Grundsätzlich stimmte die deutsche Seite einer Wiederaufnahme der Verhandlungen zu.

Rechtsgefiihl auf allen Seiten

Es muß nun aufgezeigt werden, wie sich die verschiedenen Standpunkte herausgebildet haben.

1. Österreich. Die österreichische Bundesregierung vertritt die Auffassung, daß Österreich nicht Rechtsnachfolger des Dritten Reiches ist und daher Verpflichtungen, die Deutschland zu erfüllen hat, von Österreich nicht zu erfüllen sind. Die Vertriebenen haben ihr Eigentum zu einem Zeitpunkt verloren, als sie noch rechtlich deutsche Staatsbürger waren.

2. Umsiedler und Heimatvertriebene. Die Umsiedler haben ihr Vermögen ordnungsgemäß der Deutschen Umsiedlungs- und Treu- handgesellschaft übergeben, die es auch zugunsten Deutschlands verwertete. Daher ist der Entschädigungsanspruch aus der Tatsache der Vermögensübergabe abzuleiten. Die Heimatvertriebenen stehen auf dem Standpunkt, daß viele von ihnen in die Bundesrepublik wollten, aber durch die Verfügung der Alliierten vom März 1947 daran gehindert wurden. Schließlich Verweisen sie darauf, daß šie Besitz und Heimat nur infolge des vom Dritten Reich geführten Krieges verloren haben.

3. Bonn. Hier vertritt man die Ansicht, der Lastenausgleich ist eine innerdeutsche Angelegenheit, der aus sozialen Gründen durchgeführt wurde, und jeder Staat habe die Verpflichtung, jene Maßnahmen zu treffen, die zur

Überwindung eines sozialen Problems erforderlich sind. Außerdem wird darauf verwiesen, daß die Heimatvertriebenen inzwischen auch österreichische Staatsbürger geworden sind, und daher erstrecke sich der im Staatsvertrag enthaltene Forderungsverzicht auch auf diesen Personenkreis.

Wie man sieht, gehen die Standpunkte sehr weit auseinander, und es war daher nicht leicht, schließlich doch zu einer Einigung zu gelangen, die allerdings von den zuständigen Ministern noch zu unterzeichnen und von den Parlamenten zu ratifizieren ist. Der zu erwartende Vertrag wird mehrere österreichische Durchführungsgesetze erforderlich machen.

Der im Jänner 1961 in Wien vorbereitete Vertrag umfaßt drei Teile:

• Entschädigung für die Umsiedler und Heimatvertriebenen;

• Entschädigung der politisch Verfolgten und

• Regelung der von der österreichischen Sozialversicherung geltend gemachten Ansprüche. Hier geht es im wesentlichen um einen Ersatz für jene nicht unerheblichen finanziellen Reserven, die den österreichischen Versicherungsträgem 1938 und während des Krieges entzogen

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Zwischen den beiderseitigen Delegationen würde "ein Einvernehmen darüber erzielt, daß keine Ausdehnung des deutschen Lastenausgleichsgesetzes, des deutschen Entschädigungsgesetzes oder einer sonstigen in der Bundesrepublik getroffenen gesetzlichen Regelung auf Österreich erfolgt, sondern daß in Österreich selbst entsprechende Gesetze geschaffen werden. Die Bundesrepublik Deutschland wird sich an

dem sich daraus ergebenden finanziellen Aufwand in einem bestimmten Verhältnis beteiligen. Das Ausmaß dieser Beteiligung steht allerdings noch nicht fest, sondern soll erst von den zuständigen Ressortministern festgelegt werden. Die deutsche Seite ist also auf den Vorschlag des Außenministers Dr. Kreisky, die österreichischen Forderungen durch Leistung einer Globalsumme abzugelten, nicht eingegangen. Ohne allerdings die genauen Zahlen über den deutschen Beitrag zu kennen, läßt sich nicht sagen, ob die getroffene Vereinbarung zu einer befriedigenden Regelung der noch ungelösten Fragen führen wird. Besonderen Wert legt die deutsche Seite auf eine Schlußklausel, aus der hervorgehen soll, daß mit dem Abschluß dieses Vertrages alle noch offen gewesenen finanziellen Fragen zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland als geregelt zu betrachten sind.

Ein Schlußstrich muß gezogen werden

Wie immer schließlich die Auswirkung der mit der Bundesrepublik getroffenen Regelung sein wird, auf einem sehr wesentlichen Teilgebiet dürfte eine Beruhigung eintreten. Damit sind allerdings keineswegs alle Wiedergutmachungs- und Entschädigungsforderungen bereinigt. Es fehlt hier einfach der Raum, um eine umfassende Darstellung geben zu können. Daher mag eine kurze Zusammenfassung genügen.

Nach Artikel 26 des Staatsvertrages muß Österreich den aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen durch das NS-Regime Geschädigten eine Wiedergutmachung leisten. Wohl ist in den vergangenen 15 Jahren sehr viel geschehen, aber vor allem die im Ausland lebenden Geschädigten mel- den immer lauter die Forderung an, Österreich möge endlich die im Staatsvertrag enthaltenen Verpflichtungen erfüllen. In jüngster Zeit hat man sogar damit gedroht, man werde sich an „entsprechende Stellen“ wenden, falls Österreich nicht bald eine befriedigende Regelung treffen sollte. Hinter den Forderungen dieser Kreise stehen einzelne Signatarmächte des Staatsvertrages. Das heißt also, daß eine abschließende Regelung auch im Interesse des Ansehens Österreichs notwendig ist.

Der Staatsvertrag räumte Jugoslawien das Recht ein, den auf seinem Gebiet gelegenen österreichischen Besitz zu enteignen. Im Artikel 27 des Staatsvertrages mußte sich Österreich verpflichten, den Betroffenen eine angemessene Entschädigung zu leisten. Das entsprechende Durchführungsgesetz ist bis heute nicht erlassen worden. Wohl erhalten mehr als siebzig Jahre alte Geschädigte Vorschüsse, aber diese Regelung befriedigt nicht und ist vor allem keine Erfüllung einer im Staatsvertrag festgelegten Verpflichtung.

Ein böses und leider noch immer nicht abgeschlossenes Problem ist das der Rückstellung. Die zur Erfassung rückstellungspflichtiger Vermögens

werte geschaffenen Sammelstellen bereiten manchem Österreicher schwere Sorgen. Wenn zum Beispiel jemand aus zweiter oder dritter Hand Besitz erworben hat und plötzlich erfährt, daß die Sammelstellen darauf Anspruch erheben und er unter mehr oder weniger Druck zu einem Vergleich gezwungen wird, dann hinterläßt eine solche Handlung einen bösen Stachel.

Und schließlich muß erwähnt werden, daß in den Oststaaten, vor allem in der Tschechoslowakei, Polen und Ungarn, viele Milliarden an österreichischen Werten liegen, für welche diese Staaten auf Grund des österreichischen Staatsvertrages Ersatz zu leisten haben. Die große Gruppe der Auslandsösterreicher, die im Jahre 1945 ihr ehrlich erworbenes Eigentum vielfach unter den gleichen Umständen verloren haben wie die Heimatvertriebenen, erheben den Vorwurf, Österreich sei nicht energisch genug, um diese sehr großen Vermögenswerte zu retten bzw. entsprechende Entschädigungsbeträge zu erreichen. Wo immer die Ursachen für die Nichterfüllung des Staatsvertrages durch die andere Seite liegen mögen, eines wird niemand bestreiten können: daß nämlich im umgekehrten Falle keine Gelegen

heit versäumt wurde, um Österreich in der ganzen Welt wegen Nichterfüllung eingegangener Verpflichtungen anzuklagen. Vielleicht wäre wirklich etwas mehr Energie in der angedeuteten Richtung erforderlich. Es geht um österreichisches Vermögen und vielfach um alte Menschen, die einen Anspruch auf eine gerechte Entschädigung haben.

So verschiedenartig die Probleme gelagert sein mögen, sie werden Gesetzgebung und Verwaltung noch viele Sorgen bereiten. Vor allem muß aber doch gesagt werden, daß bald 16 Jahre nach Kriegsende ein Schlußstrich gezogen werden muß und endgültige Bereinigungen anzustreben sind, geht es doch nicht allein um Rechte und Interessen von Menschen, sondern um die Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen und vor allem um nicht unerhebliche finanzielle Belastungen für den Staat und damit für den einzelnen Staatsbürger. Daher wäre es an der Zeit, in aller Offenheit eine Bilanz darüber zu erstellen, was Österreich an Entschä- digungs- und Wiedergutmachungsleistungen erbracht hat und welche Probleme noch offen sind. Es wäre denkbar, daß man für deren Regelung auch einen Terminplan zu erstellen versucht.

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