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Die Eingliederung der Heimatvertriebenen

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Vor Schluß der Frühjahrssession verabschiedete der Nationalrat acht Gesetze, die für die Heimatvertriebenen in Österreich von besonderer Bedeutung sind.

Arbeitsrechtlich gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Einheimischen und Vertriebenen. Diese können auch Unter den gleichen Voraussetzungen wie Inländer einen Gewerbebetrieb eröffnen. Es mag ein Schönheitsfehler sein, daß in dem Gesetz über die gewerberechtliche Gleichstellung die Anerkennung der im Ausland erworbenen Befähigungsnachweise nicht zwingend vorgesehen ist, aber hier mußte der Gesetzgeber berücksichtigen, daß auch der Meisterbrief eines Österreichers, den dieser im Ausland erworben hat, anerkannt werden kann. Die heimatvertriebenen Kriegsopfer fallen jetzt unter das Invalideneinstellungs- geset.2; ebenso wird der Mutterschutz auf die heimatvertriebenen werdenden Mütter ausgedehnt. Ärzten, Dentisten und Notaren Wurde der Zugang zu ihren ursprünglichen Berufen geebnet, und junge Heimatvertriebene dürfen in die Krankenpflegeschulen auch dann aufgenommen werden, wenn sie selbst oder ihre Eltern die Staatsbürgerschaft noch nicht besitzen. Das alles sind erfreuliche und positive Fortschritte.

Durch die Zustimmung zu diesen Gesetzen, die ein parlamentarischer Sonderausschuß behandelt und vorbereitet hatte, öffnete der Gesetzgeber den sogenannten Intelligenzberufen die Tore. Für die Rechtsanwälte soll im Herbst ein entsprechender Beschluß gefaßt werden, nachdem die Anwaltskammern ihre ursprüngliche Haltung einer Revision unter-

zogen haben. Daß es bei der Erledigung dieser Fragen da und dort Bedenken gab, muß man im Hinblick auf die Überfüllung gewisser Berufszweige verstehen. Wenn die gesetzlichen Interessenvertretungen schließlich ihre Zustimmung erteilten, so ist das immerhin ein Beweis dafür, daß sich Österreich der sozialen und menschlichen Verpflichtung den Vertriebenen gegenüber bewußt ist.

Aber noch harren einige Fragen der Erledigung, Für die Eingliederung der bäuerlichen Schichten unter den Vertriebenen fehlen bisher entscheidende Maßnahmen; sie müssen kommen, weil die österreichische Landwirtschaft diese wertvollen Fachkräfte nicht entbehren kann. Allerdings Wird man berücksichtigen müssen, daß die Masse der bäuerlichen Flüchtlinge aus dem Südosten kommt und in den westlichen Besatzungszonen untergebracht ist. In diesen Gebieten gibt es nur beschränkte Möglichkeiten zur bäuerlichen Seßhaft- machung, denn der Flachlandbauer aus der Batschka wird jenen harten Anforderungen kaum gewachsen sein, die an einen Gebirgsbauern gestellt werden. In Niederösterreich und im Bürgenland aber sind ausgedehnte landwirtschaftliche Nutzungsflächen Von der Besatzungsmacht beschlagnahmt, und der Neulandgewinnung durch Meliorationen sind in den westlichen und südlichen Bundesländern enge Grenzen gezogen. Wenn also zunächst die bäuerliche Ansiedlung der Vertriebenen in großem Umfang nicht möglich ist, so gibt es doch in, ganz Österreich tausende sogenannte auslaufende Höfe", die sich zur Verpachtung an Heimatver-

triebene eignen. Hier hat die Klemens- gemeinde eingegriffen und in zahlreichen Fällen Pachtungen vermittelt. Diese Aktionen auf freiwilliger Basis sollten verstärkt werden.

Bei dem Problem der Wohnraumbeschaffung darf nicht übersehen werden, daß auch viele Österreicher noch in Obdachlosenasylen und Notquartieren untergebracht sind. Dennoch muß es ein Hauptanliegen der verantwortlichen Stellen bleiben, die 50.000 Barackenbewohner in menschenwürdige Quartiere zu bringen. Bei allen Planungen sollte man stets bedenken, daß die Bevölkerungsbilanz Österreichs ein Passivum zeigt, das durch die Heimatvertriebenen zum Teil ausgeglichen werden kann. Es sei dankbar anerkannt, daß kirchliche und andere private Hilfsorganisationen sehr Viel zur Lösung der Wohnungsnot der Heimatvertriebenen beigetragen haben. Am Stadtrand von Salzburg sind mit ausländischer Unterstützung zahlreiche schmucke Siedlungen entstanden, in Lainz hat die evangelische Kirche eine große Siedlung erstellt, Caritas und „Heimat Österreich" haben Vorbildliches geleistet. Was aber dabei noch immer fehlt, ist die Initiative des Staates. Das Innenministerium beschränkt sich darauf, die bestehenden Lager recht und schlecht zu erhalten, ohne konkrete Pläne zum Abbau dieser Barackenlager zu haben. Auch die nicht dem Bund unterstehenden sogenannten Firmenlager abzubauen, wäre allmählich an der Zeit. Die für Wohnraumbeschaffung erforderlichen großen Geldmittel kann Österreich allein nicht aufbringen. Wenn aber konkrete Pläne und die richtige Zentralstelle bestehen, wird das Ausland seine Hilfe nicht versagen.

Das dritte und leider noch immer ungelöste Problem sind die Sozialrenten, die Pensionen und die Kriegsopferversorgung. Hier ist man inzwischen einen Schritt weitergekommen, denn noch im September sollen zwischen Wien und Bonn Verhandlungen über eine Bereinigung dieser Fragen stattfinden. Im Oktober sollen dann Besprechungen über die Sozialversicherungsfragen folgen. Offen bleibt dann noch immer die Versorgung der Kriegsopfer. Flier gibt-es einige alte Witwen, deren Männer im ersten Weltkrieg als österreichische Soldaten gefallen sind, Oder verdiente Offiziere, die für Österreich gekämpft haben. Es wäre eine Dankėspflicht, wenn sich Österreich zu einer Bereinigung dieser Angelegenheit entschließen könnte, denn die dafür erforderlichen Beträge dürften nicht sehr hoch Sein.

Daß wir in der Lösung der Vertriebenen- frage noch nicht weiter sind, hat verschiedene Ursachen. Einmal entdeckte die öffentliche Hand verhältnismäßig spät, daß die Masse der Opfer von Potsdam für absehbare Zeit in Österreich bleiben wird. Aber auch die Vertriebenen selbst haben Fehler gemacht. So haben beispielsweise die Südostdeutschen jahrelang die Auswanderung propagiert, ohne zu bedenken, daß auch in Übersee das Leben nicht leicht ist. Führende Männer dieser Gruppe haben von der Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft und von einer wirtschaftlichen Eingliederung abge'raten. Das alles mußte sich eines Tages bitter rächen, denn man hätte den Vertriebenen einen besseren Dienst erwiesen, wenn man sie vorbehaltlos zu einer sinnvollen Eingliederung veranlaßt

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