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„Lastenausgleich“ auch bei uns?

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Im Verlaufe der Beratungen über das Budget 1962 teilte Finanzminister Dr. Klau im Parlament mit, daß seit dem Jahre 1945 für die Beseitigung der Kriegs- und Nachkriegsfolgen in Österreich nicht weniger als 41 Milliarden ausgegeben wurden. In dieser von den Steuerzahlern aufgebrachten Summe sind Besatzungskosten, Entschädigungen nach den Besatzungsund Bombenschadengesetzen, Beträge für den Wiederaufbau kriegszerstörter Wohnhäuser, Leistungen an die Opfer der politischen Verfolgung ebenso enthalten wie Leistungen der Kriegsopferfürsorge. Der einzelne Geschädigte hat sicher eine mehr als bescheidene Entschädigung für die erlittenen Verluste erhalten, und die kritischen Stimmen, die von ungenügender Schadensgut-machung sprechen, können gewiß nicht überhört werden. Und dennoch sind

41 Milliarden für einen sieben Millionen Einwohner zählenden Staat eine ganz beachtliche Leistung.

Dabei ist Österreich mit Entschädigungen und Wiedergutmachung noch keineswegs am Ende. Im Parlament wird zur Zeit über das elfte Staatsver-tragsdurchführungsgesetz verhandelt. Es wird jenen Österreichern, die ihr Eigentum in Jugoslawien verloren haben und das dort auf Grund des Staatsvertrages in Anspruch genommen wurde, die ihnen zustehende Entschädigung bringen. Die Kosten dafür werden sicher einige Milliarden betragen. In diesem Jahr wird der österreichisch-deutsche Finanz- und Ausgleichsvertrag — das Abkommen von Bad Kreuznach — m Kraft treten. Die voraussichtlichen Kosten können auch nicht annähernd errechnet werden.

Das deutsche Beispiel

Der zweite Weltkrieg hat nicht nur ungezählte Opfer an Menschenleben gefordert und zur Zerstörung unersetzlicher materieller Werte geführt, sondern er hat allen am Krieg beteiligt gewesenen Völkern gewaltige Nachkriegsbelastungen beschert. Unter diesen haben Sieger und Besiegte in gleicher Weise zu leiden. Dabei darf die Tatsache nicht übersehen werden, daß kleine und große Völker schon wieder gewaltige Summen ihres mühsam erarbeiteten Volkseinkommens zum Ausbau der Verteidigung abzweigen müssen, obwohl die Wunden des letzten Krieges kaum vernarbt sind.

In der Deutschen Bundesrepublik, wo die Zerstörungen besonders groß und die zusätzlich zu bewältigenden Lasten durch das Einströmen von Millionen Vertriebenen fast unvorstellbar geworden waren, führte man ein Experiment durch, von dem heute gesagt werden kann, daß es weitgehend gelungen ist: den Lastenausgleich. Mag sein, daß es dazu ohne einen gewissen Druck der Alliierten nicht gekommen wäre. Tatsache ist aber. daß sich die Verwirklichung des Grundsatzes' lohnte: Wer nichts oder wenig verloren hat, muß für die opfern, denen der Krieg alles genommen hat.

Dadurch wird zweierlei erreicht. Erstens ist die öffentliche Fürsorge dadurch wesentlich entlastet, daß aus dem Lastenausgleich Soforthilfe oder Unterhaltshilfe geleistet werden. Zweitens konnte mit Hilfe des Lastenausgleichs die Bildung neuen Eigentums erheblich gefördert werden. Für die Gründung neuer Betriebe und Unternehmungen sowie für den Wohnhausbau wurden aus Lastenausgleichsmitteln erhebliche Kredite zur Verfügung gestellt Ohne die Leistungen aus dem deutschen Lastenausgleich hätte sich der wirtschaftliche Wiederaufbau keineswegs so rasch und reibungslos vollzogen. Der Lastenausgleich ermöglichte auch die Eingliederung des Millionenheeres der Heimatvertriebenen in verhältnismäßig kurzer Zeit.

Warum nicht in Österreich?

Es ist müßig, die Frage aufzuwerfen, warum man sich nicht auch in Österreich für eine solche oder ähnliche Lösung entschieden hat. Zweifellos wäre das in den ersten Nachkriegsjahren möglich gewesen. Jeder Politiker, der aber heute die Einführung eines dem deutschen Lastenausgleich ähnlichen Gesetzes in Österreich verlangt, würde sehr bald von der öffentlichen Kritik heftig angegriffen. Es würde ein solches Gesetz nämlich bedeuten, den Besitzenden langfristige Belastungen aufzubürden, um auf der anderen Seite aber keineswegs alle offenen Wünsche befriedigen zu können. Diese sind nämlich noch immer in sehr großer Zahl vorhanden.

Die in Österreich lebenden Umsiedler und Heimatvertriebenen forderten in den letzten Jahren immer lauter eine Einbeziehung in den deutschen Lastenausgleich. Sie verwiesen dabei darauf, daß viele von ihnen nach dem Krieg in die Gebiete der heutigen Bundesrepublik einwandern wollten, aber von den Alliierten an der Verwirklichung dieseT Absicht gehindert wurden. Andere wieder hoben mit Recht hervor, daß die Umsiedler ihr Vermögen der offiziellen Deutschen Umsiedlungs- und Treuhandgesellschaft zur Verwertung übergeben

mußten und daß ihnen ein entsprechender Ersatz für die Zeit nach dem Krieg zugesichert worden war. Andere wieder argumentierten, daß die Bundesrepublik mit den drei westlichen Alliierten einen Vertrag abgeschlossen hat, durch den die Vermögenskonfiskationen in den Oststaaten ausdrücklich anerkannt und die Verpflichtung zur Schadloshaltung der Betroffenen übernommen wurde.

Im Juli 1958 begannen zwischen österreichischen und deutschen Beamten Gespräche darüber, ob und in welcher Form die Wünsche der in Österreich lebenden Umsiedler und Heimatvertriebenen erfüllt werden könnten. Die österreichische Seite war der Meinung, der genannte Personenkreis sollte in die deutsche Lastenausgleichsregelung einbezogen werden. Die deutsche Seite vertrat dagegen die Auffassung, der Lastenausgleich sei eine rein innerdeutsche Regelung und es könne daher eine Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten durch die Einbeziehung von im Ausland lebenden Geschädigten nicht in Frage kommen.

Jahrelang ging dieses Tauziehen hin und her, ohne daß sich greifb'are Ergebnisse abzeichneten. Erst im Frühjahr 1961 konnte das Eis gebrochen werden und es kam zum Entwurf für einen österreichisch-deutschen Finanz-und Ausgleichsvertrag, der schließlich im Sommer in Bad Kreuznach von den beiderseitigen Außen- und Finanzministerien sanktioniert wurde.

Hatten die Betroffenen bis zum Abschluß des Vertrages von Bad

Kreuznach noch immer auf eine Beteiligung am deutschen Lastenausgleich gehofft, wurden diese Vorstellungen nach Bekanntwerden der Abmachung gründlich zerstört, denn — das muß mit allem Nachdruck festgestellt werden — es wird in Österreich keine dem deutschen Lastenausgleich auch nur annähernd vergleichbare Lösung geben.

Der Vertrag von Bad Kreuznach

Der Vertrag selbst umfaßt fünf Teile, und es muß begrüßt werden, daß die Vertragspartner eine einwandfreie Aufteilung der bereitgestellten deutschen Beiträge vorgenommen haben. Jede andere Lösung hätte in Österreich wahrscheinlich zu schweren innerpolitischen Meinungsverschiedenheiten geführt, wäre die Aufteilung der insgesamt 321 Millionen Mark dem österreichischen Gesetzgeber überlassen worden.

Teil I — er trägt den Titel „Regelung für Vertriebene und Umsiedler“ — bringt einen deutschen Beitrag von 125 Millionen D-Mark. Teil II-„Regelung für Verfolgte“ — sieht einen deutschen Beitrag von 95 Millionen D-Mark, zuzüglich sechs Millionen D-Mark für die Sammelstellen A und B vor. Teil III — „Fragen aus dem sozialen Bereich“ — sichert einen deutschen Beitrag von weiteren 95 Millionen D-Mark für die Sozialversicherung. _Das sind also zusammen 321 Millionen D-Mark.

Durch den Vertrag hat sich Österreich verpflichtet, zu den deutschen Beträgen bestimmte Summen zuzuschießen und die zur Durchführung der einzelnen Teile erforderlichen gesetzlichen Maßnahmen zu treffen. Wie werden nun diese Gesetze aussehen und welche Leistungen haben die Betroffenen zu erwarten?

Umsiedler und Heimatvertriebene, aber auch die aus dem Osten vertriebenen Altösterreicher, erhalten Leistungen, wie sie dem bereits bestehenden Kriegs- und Verfolgungssachschädengesetz entsprechen. Das heißt also, daß eine Entschädigung für den verlorenen Hausrat, errechnet nach der Anzahl der verlorenen Wohnräume, und für die zerstörte Geschäftseinrichtung bis zum Betrag von 25.000 S gewährt wird. Außerdem kann in besonders gelagerten Fällen ein sogenannter „Härteausgleich“ bis zum Höchstbetrag von 25.000 S zuerkannt werden. Demnach wird also keine Entschädigung für verlorenen Hausund Grundbesitz, für Spareinlagen, Lebensversicherung oder Wertpapiere geleistet.

Durch das Zustandekommen des Vertrages kann ein Problem bereinigt werden, das immer wieder in der Öffentlichkeit besprochen wurde. Während des Krieges wurden nämlich viele Österreicher aus politischen Gründen in die von den Deutschen besetzten Gebiete zwangsweise dienstverpflichtet. Sie mußten ihre Wohnungen in Österreich räumen und ihr persönliches Eigentum in die ihnen im besetzten Gebiet zugewiesenen Unterkünfte mitnehmen. Im Verlauf der Kriegshandlungen ging dann in den meisten Fällen das in Österreich erworbene Eigentum verloren, und die Betroffenen hofften bisher vergeblich auf einen Ersatz. Ein solcher kann nunmehr geleistet werden.

Unter den Vertrag fallen österreichische Staatsbürger, und zwar ohne Rücksicht darauf, zu welchem Zeitpunkt sie die österreichische Staatsbürgerschaft erworben haben, deutsche Staatsangehörige und Staatenlose. Voraussetzung ist, daß sie wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit umgesiedelt oder vertrieben wurden.

Die beiden Vertragspartner sind übereingekommen, daß Österreich zur Durchführung des Teiles I zu den 125 Millionen D-Mark den Gegenwert von 200 Millionen D-Mark dazulegt. Das bedeutet also, daß zur Entschädigung der Umsiedler. Vertriebenen und Altösterreicher im Verlauf der nächsten vier Jahre rund 2,1 Milliarden Schilling zur Verfügung stehen beziehungsweise flüssiggemacht werden müssen.

Der Vertrag von Bad Kreuznach hat aber noch verschiedene Nebenwirkungen. Zunächst wird es möglich sein, den Artikel 26 des Staatsvertrages — Entschädigung für die aus politischen, religiösen oder rassisch Verfolgten des NS-Regimes — endgültig zu bereinigen. Die erforderlichen Ge-

setze sind vom österreichischen Parlament bereits verabschiedet worden. (12. Novelle zum Opferfürsorgegesetz, Beamtenentschädigung, Abgeltungsfondsgesetz.) Außerdem wäre es ohne den Vertrag von Bad Kreuznach nicht möglich gewesen, die Gleichstellung von Heimatvertriebenen und Umsiedlern auf dem Gebiet der Sozialversicherung durchzusetzen. Das vom Parlament beschlossene und im Bundesgesetzblatt bereits kundgemachte Auslandsrenten-Übernahmegesetz bringt für alle Sozialversicherten gleiche Rechte, ob ihre Beschäfti-gungs- oder Versicherungszeiten im heutigen Österreich oder in den Vertreibungsgebieten erworben wurden.

Die Durchführung des Vertrages

Die Vereinharungen von Bad Kreuznach wurden Ende November in Bonn vom deutschen Außenminister Doktor Schröder und vom österreichischen Botschafter DDr. Schöner formell unterzeichnet. Nun muß das Vertragswerk den beiden Parlamenten zur Ratifizierung unterbreitet werden, was aber kaum besondere Schwierigkeiten bereiten dürfte. Dann kann der österreichische Gesetzgeber die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen beschließen. Das erste Gesetz — das sogenannte „Anmeldegesetz“ — hat der österreichische Gesetzgeber bereits am 14. Dezember verabschiedet. Es sieht vor, daß die Betroffenen die erlittenen Schäden ab 1. April 1962 anmelden können, und zwar auf den amtlich aufzulegenden Anmeldeformularen.

Im Bundesfinanzgesetz 1962 ist be-

reits Vorsorge dafür getroffen, so daß mit dem Beginn der Entschädigungszahlungen noch in diesem Jahr gerechnet werden kann. Die Betroffenen werden die sich ergebenden Leistungen als unzureichend ansehen, denn es wird auch nicht annähernd das ersetzt werden, was an materiellen Werten durch Umsiedlung und Vertreibung verlorenging. So gesehen, kann das Abkommen von Bad Kreuznach daher auch nicht als „Lastenausgleich“, sondern bestenfalls als soziale Hilfsmaßnahme angesehen werden. Für zehntausende Betroffene aber, denen die Eingliederung in Österreich zufolge des fortgeschrittenen Lebensalters nicht mehr gelungen ist, wird es eine Erleichterung des Lebensabends bedeuten. Eine echte Bereinigung materieller Wünsche ermöglicht der Vertrag von Bad Kreuznach allerdings nicht.

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